Beiträge von Campino

    Rotlicht-Viertel – 13:30 Uhr

    André sagte seinem ehemaligen Partner Semir die Richtung, wohin er den Wagen in der Innenstadt lenken sollte. Sie fuhren durch das normale Viertel von der Boxschule weg hinein in ein Viertel mit schlechtem Ruf. Es war keine schillernde Rote Meile wie in St.Pauli, sondern ein Rotlicht-Viertel, wie man es aus Krimis kannte. Dreckig, abgewrackt. Selbst die strahlende Sonne konnte aus den recht unansehnlichen Clubs keine noblen Etablisements machen. Ein Club aber stach heraus aus der grauen Masse. Die Villa Maxim war äusserlich im neuesten Stand, hatte moderne Leuchtreklame und einen einladenden Eingang. „Das ist ein Laden, den Horn von Berger übernommen hatte.“, sagte André, als die beiden vor dem Eingang hielten. Auffallend war, dass im Gegensatz zu den anderen Bordellen hier vor allem schwere Audis, BMWs und Porsche geparkt waren. „Berger hatte nur 4 Bordelle in Deutschland. In Bremen, Berlin, München und hier. Wenn Stefan den Überfall verübt hat, dann hat er hier noch die Leitung.“ Er sah dabei aus dem Seitenfenster des Mercedes, Semir sass neben ihm und schaute an André vorbei zum Eingang. „Und du willst da jetzt einfach reingehen? Was ist, wenn er dich erkennt?“, fragte Semir und ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken mit André in das Bordell zu gehen, im Wissen dass dieser Mann es auf ihn abgesehen hatte. „Dann sehen wir auch gleich seine Reaktion.“, gab der zur Antwort und sah Semir herausfordernd an. Der türkische Kommissar verkniff das Gesicht, wie immer wenn er Bedenken hatte, einer Sache zuzustimmen. „Sollen wir nicht lieber Ben und Kevin anrufen? Kevin kennt sich in diesem Milieu auch recht gut aus.“ „Semir, was ist los? Du bist vor 14 Jahren alleine in eine Kneipe voller Nazis marschiert.“, versuchte André an Semirs Stolz zu rütteln, was ihm auch gelang. Mit einem Ruck stieg Semir aus dem Mercedes und sein Freund folgte ihm.


    Dienststelle – gleiche Zeit

    Die beiden Kommissare Ben und Kevin saßen an Bens Schreibtisch. Genauer gesagt stand Kevin dicht hinter Ben um auf dessen Monitor zu sehen, der fast schon apathisch Bildchen für Bildchen, mit Drogen vorbestraften Personen mit Vornamen „Stefan“, durchklickte um jemanden zu finden, der auf die Beschreibung der jungen Frau passte. Doch nichts kam, niemand tauchte auf wo beide es für nötig befanden auffällige Merkmale wie ein Tattoo abzuchecken. Nach einer Stunde wandte sich Kevin hinter Ben ab und stöhnte: „Ich kann nicht mehr. Das bringt doch nix.“ Auch Ben war von dem angestrengten Gucken müde geworden, er rieb sich die Augen und lehnte sich im Stuhl zurück. „Vielleicht findet Semir was bei André raus.“
    Plötzlich kam Andrea Gerkhan, Semirs Frau ins Büro der Polizisten. Sie sah ein wenig überrascht aus, und hatte einen Zettel in der Hand. „Wart ihr heute morgen in dieser WG von Christina König und Isabelle Rother?“, fragte sie vorsichtig. „Ja, warum?“, gab Ben zur Antwort und hing an Andreas Lippen, die sich langsam und zaghaft bewegten, ihre Stimme kam nur mühsam zwischen den Lippen hervor. „Da kam gerade eine Meldung… in der Wohnung wurden gerade eben zwei Frauenleichen gefunden.“ Kevin sah zu Ben, der Andrea mit großen Augen anstarrte. „Scheiße.“, murmelte der junge Kommissar, nahm seinen Mantel vom Haken und machte sich sofort auf den Weg nach draussen. Ben folgte ihm, zum Wagen.


    Rotlicht-Viertel – 13:40 Uhr

    Semir und André betraten den Nobelschuppen von Stefan Kerler. Der Laden war fast leer, ein paar Mädels tanzten zur Probe an der Stange und ein kräftig gebauter, blonder Kerl stand hinterm Tresen und spülte Gläser. Als die beiden Männer sich an den Tresen stellten, kam er langsam zögerlich auf die beiden zu. „Wir öffnen erst um 20 Uhr, meine Herren.“, meinte er höflich aber bestimmt, doch Semir kümmerte das nicht. Er zog seinen Ausweis und meinte trocken: „So lange haben wir heute keinen Dienst. Wir wollen Herr Kerler sprechen.“ Der Typ verdrehte die Augen, und wollte gerade nach seinem Chef sehen, als der von sich aus den Raum betrat. Die allgemeine Beschreibung von Christina König passte auf den Kerl, ob er nun ein Tattoo am Oberarm hatte konnten die beiden Polizisten natürlich nicht erkennen. Andrés Gesichtsausdruck verriet aber, dass er Kerler sofort erkannte, und auch dessen süffisantes Lächeln als er den ehemaligen Polizisten sah, sprach Bände. Der Mann war im Anzug gekleidet , und trat als Geschäftsmann auf. „Was kann ich für sie tun, meine Herren?“, fragte er übertrieben höflich und trat hinter den Tresen. Bevor Semir fragen konnte, kam André ihm bereits zuvor. „Kerler… hat Ralf mittlerweile so wenig Personal, dass du die Drecksarbeit verrichten musst?“ Er sah den blonden Mann fest ins Gesicht, der sich aber noch keinerlei Blöße gab. „André bitte…“, sagte Semir leise und stieß seinem Freund gegen den Arm. Dann zeigte er seinen Ausweis vor, und sprach Kerler an: „Herr Kerler, wir haben Hinweise darauf, dass sie gestern Abend auf der Autobahn zwei Polizisten mit einer Waffe bedroht haben.“ Der Mann hinter dem Tresen beugte sich betont nach vorne, um Semirs Ausweis genau zu lesen. „Herr… Gerkhan…“, begann er hochnäsig und betont arrogant. „Ich glaube, da liegen ihnen falsche Informationen vor. Gestern Abend führte ich Geschäftsverhandlungen im Hinterzimmer dieses Clubs.“ „Das kann sicherlich jemand bezeugen?“, fragte Semir routinemäßig, obwohl er die Antwort schon ganz genau kannte. Geschäftspartner waren in diesen Kreisen nichts anderes als Alibigeber. „Natürlich. Ich kann ihnen gerne die Kontaktdaten der jeweiligen Geschäftspartner geben, wenn sie mir sagen wie sich ihr Verdacht aufbaut.“ Die beiden Kommissare blickten sich kurz an, doch Semir winkte nur ab. Er wusste, mit welchem gefährlichen Typen er es zu tun hatte, und wie gefährlich es für die Zeugin werden konnte. Kerler lächelte zufrieden. „Kennen sie Ralf Horn?“, fragte der türkische Polizist dann wieder in Richtung des blonden Mannes. Der wich aus: „Das sollten sie ihren Kollegen fragen. Der kann ihnen darüber mehr erzählen.“ „Wir fragen aber dich, Kerler!“, raunte André mit seiner rauen Stimme über den Tresen. Semir spürte, wie langsam in der Stimme seines Freundes die Aggression anstieg. Auch Kerler merkte das, und stocherte mit einer Gegenfrage weiter. „Wie kommt es, dass ein offensichtlicher Straftäter bei der Polizei ermitteln darf?“ Dabei sah Kerler genau André ins Gesicht, nicht Semir der allerdings darauf reagierte. „Was meinen sie damit?“ Ein unerklärliches Kribbeln lief Semir über den Rücken, ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. André’s Gesicht schien eingefroren. „Fragen sie ihren Kollegen…“, wiederholte Kerler freundlich um dann einige Schritte zur Seite zu gehen, nun direkt gegenüber André stand und sicher nach vorne über den Tresen beugte. „Du weißt, was Ralf gegen dich in der Hand hat.“, sagte er leise, jedoch deutlich genug dass Semir es auch verstehen konnte, was in der Absicht des blonden Mannes lag. „Leg dich besser nicht mit ihm an.“ Das war mehr als eine Warnung, und in diesem Moment reagierte André und griff Kerler am Kragen. Ein Stück wurde der Mann aufs Tresen gezogen, doch er wehrte sich nicht, er lächelte André an, der die Oberlippe nach oben zog und durch die Zähne presste: „Gar nichts hat er!“ Semir legte sofort eine Hand um Andrés Handgelenk. „Hör auf! Es reicht!“ Ein kurzer Augenblick verging, und der hochgewachsene Karatekämpfer ließ Kerler los, der sich erst mal wieder die Kleider ordnete. André drehte sich vom Tresen weg und fuhr sich mit zwei Händen durch die Haare. „Herr Gerkhan, ich werde mich wohl bei ihren Vorgesetzten beschweren müssen.“ „Wir sehen uns wieder, Kerler. Das verspreche ich ihnen.“, meinte Semir kurz angebunden und folgte seinem Freund, der bereits den Weg nach draussen eingeschlagen hatte. Noch kurz vor dem Wagen griff Semir André am Arm und zwang ihn, sich zu dem Türken umzudrehen. „Ich will jetzt endlich eine Erklärung von dir!“


    Vergiss bitte auch nicht, dass die Story ja für mich nicht wirklich neu ist, auch wenn du sie verändert hast.

    Das ist falsch ;) "Blinde Liebe" war eine alte Story, diese hier ist neu und immer noch in der Entstehung. :thumbup: . Aber okay, ich war nur neugierig und werde mir eure Worte zu Herzen nehmen.

    Das war überhaupt nicht böse gemeint, Yon. Ich wollte nur den Grund wissen weil ich dachte es liegt an meiner Geschichte.

    Ich würde gerne auch andere Storys hier lesen, aber dazu fehlt mir leider schlicht die Zeit. Werde es dennoch versuchen. Danke für deine Rückmeldung.

    @Simon: du hast nix besseres zu tun, als im gesamten forum nach "ähnlichen" beiträgen zu suchen und wenn du fündig geworden bist es gleich zu posten, was? Anstatt etwas Produktives zu schreiben schreibst du nur deine verstrahlten worte: "aber das steht schon woanders drin *heul heul* " es ist UNGLAUBLICH !!!

    Und wenn wir 8 Threads zum gleichen Thema haben wird das Forum schnell unübersichtlich, meinst du nicht auch?

    Übrigens finde ich den Ausdruck "verstrahlte Worte" äusserst geschmacklos. :thumbdown:

    WG - 12:15 Uhr

    Für kurze Zeit herrschte Stille in der WG der drei Frauen, nachdem Christina König ihre Frage gestellt hatte. Die drei Polizisten sahen sich gegenseitig an, als könnten sie sich mit Blicken verständigen. Kevin fragte dann das, was die beiden anderen gedacht hatten: "Sie wissen offenbar nicht, mit wem sie sich da eingelassen haben, oder?" Aus der lockeren lässigen Haltung der Frau wurde langsam eine geduckte, ängstliche. "Nein...", sagte sie zögerlich und schaute wieder zu Kevin hinauf. Semir schüttelte kurz den Kopf und sagte dann bestimmt: "Natürlich sagen wir niemandem, von wem wir unsere Informationen haben. Aber sie sollten jetzt mit uns zusammenarbeiten." Die Frau nickte erneut zögerlich und sagte kleinlaut: "Er ist recht groß... hat dunkelblonde Haare, ungefähr bis über die Ohren. Bl... blaue Augen und recht sportlich." Ihre Augen wanderten immer weiter nach unten, Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. "Irgendetwas auffälliges?", fragte Kevin. "Er... er hat ein Tattoo. Am linken Oberarm, einen Totenkopf mit Zylinder." Semir nickte zufrieden: "Na, das ist ja immerhin schon mal etwas." Er klappte seinen Notizzettel zusammen und stand ruckartig vom Tisch auf. Die junge Frau nickte zögerlich, ihr Widerstand war gebrochen und sie ahnte offenbar, dass die Urlaubs-Affäre offenbar nicht nur ein kleiner Drogendealer war. Bevor die Polizisten die Wohnung verließen, fragte sie kleinlaut: "Was hat er getan?" Ben sah Semir kurz an, und entschied dann selbst, die Wahrheit zu sagen: "Wir ermitteln in einem Mordfall. Mehr können wir nicht sagen." Bei dem Wort Mordfall wich Christina noch ein wenig mehr Farbe aus dem sowieso schon bleichen Gesicht.

    Die drei Kommissare stiegen die Treppenstufen herunter und heraus an die eisig kalte klare Luft. Kevin steckte das Beutelchen mit dem Koks in seine Manteltasche, wo er auch die Hände darin vergrub. "Ich fahre noch zu André. Vielleicht kennt er diesen Stefan.", meinte Semir und hielt Ben die Hand hin, um um den Schlüssel des Mercedes zu bitten. "Sollen wir nicht mitkommen?", fragte dieser wiederrum, als er nach dem Schlüssel in seiner dunkelgrünen Jacke kramte. "Nein... das mache ich lieber alleine.", meinte sein türkischer Freund mit ernster Miene und seine beiden Kollegen dachten wohl gerade das Gleiche... zwischen André und Semir schien noch nicht alles geklärt zu sein, es gab offenbar noch ernsthafte Zweifel zwischen den beiden Männern. Ben tat Semir den Gefallen gerne und fragte nicht weiter nach, händigte den Schlüssel aus und stieg zu Kevin in den BMW.


    Boxclub - 12:30 Uhr

    Der Anfahrtsweg war kurz, die Boxschule war nur wenige Minuten von der WG entfernt. Semir parkte den Mercedes an der gleichen Stelle wie gestern, als sie André quasi "überrascht" hatten. Der türkische Kommissar hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch, als er die Straße überquerte und gegen die Scheibe der Eingangstür klopfte. War André überhaupt da? Wie wird das Gesprächsthema heute sein? Würde ein wenig mehr die alte Verbundenheit zu spüren sein, als gestern?
    Beim zweiten Klopfen gab die Tür nach, sie war diesmal überhaupt nicht abgeschlossen. Semir drückte sie auf und trat in den Eingangsbereich, als er Geräusche hörte. Ein Klatschen und Pochen kam aus den Trainingsräumen, und der Kommissar knöpfte den Halfter seiner Waffe vorsichtshalber auf, als er den Weg der Geräusche folgte. Er drückte eine Tür zu einer der Trainingshallen auf und sah im hinteren Teil André, wie er sich an einem Boxsack abreagierte... Oberkörperfrei, verschwitzt, nur mit einer roten Sporthose bekleidet. Mit blanken Fäusten schlug der ehemalige Polizist auf den wehrlosen Sandsack, ging ein Schritt zurück, vollführte eine Drehung um den Sportgerät auch noch einen Fußtritt mit zugeben. Erst als er Semir sah, brach er seine Bewegungen ab, atmete durch und kam auf ihn zu. "Hey, Semir.", begrüßte er seinen ehemaligen Partner. "Ich wollte dich nicht stören.", meinte der und lächelte. "Du störst doch nicht. Komm, wir trinken was.", meinte André, ging an Semir vorbei aus der Halle heraus in den Vorraum, wo die alte Bar noch stand. Den Kühlschrank hatte André wieder zum Leben erweckt und befüllt, er nahm für sich eine Apfelsaftschorle und für Semir eine Flasche Cola heraus. Der wiederrum setzte sich auf einen der roten Barhocker, als André ihm die offene Flasche hinstellte. "Danke." Cola und Apfelsaft... wie früher als sie Stammgäste in der Raststätte Stolpe waren, zu Mittagspausen, zu Gesprächen, sogar zu Vernehmungen. Semir bemerkte dies, und war sich nicht sicher, ob André sich daran erinnert hatte, oder ob es einfach Zufall war, dass er das gegriffen hatte. Die beiden prosteten sich zu und nahmen einen Schluck. "Es tut mir wirklich leid, was ich gestern gesagt habe.", meinte André dann unvermittelt, ohne lange überlegen zu müssen. Offenbar hatte er wegen gestern eine recht unruhige Nacht gehabt, nach Semirs eindrucksvoller Führung auf dem Kölner Friedhof. "Ich hatte die Situation von Mallorca aus völlig falsch eingeschätzt. In den ersten Jahren konnte ich mich wirklich nicht melden, aber danach hätte ich es tun sollen." Semirs Blick ging nach unten, er nickte. Es war fast ein verständnisvolles Nicken. "Aber mal im Ernst... wenn ich nach drei Jahren einmal kurz angerufen hätte und gesagt hätte: 'Semir, ich lebe und es geht mir gut, ich kann hier aber nicht weg.' Sei ehrlich, was hättest du dann getan?", fragte sein Freund dann und ließ Semir wieder aufblicken. Das war eine gute Frage, auf die der türkische Polizist auf Anhieb keine rechte Antwort fand. Aber er spürte, was André mit dieser Frage bezwecken wollte. Natürlich hätte Semir wohl keine Ruhe gelassen, bis er alles herausgefunden hätte, wo André sich aufhielt, warum er nicht von dort fort könnte. "Ich hätte dich wohl gesucht.", sagte Semir ein wenig kleinlaut. "Ja...", nickte André. "Und das wollte ich eben nicht. Du hättest dich und mich in Gefahr gebracht. Ich musste das Spiel mitspielen, auch wenn es länger gedauert hat, als gedacht." Es entstand eine Redepause zwischen den beiden, in der man nur das mechanische Summen des Kühlschrank hören konnte. Semir trank an seiner Cola, und dachte nach wie er in so einer Situation reagiert hätte. Er konnte es sich nicht vorstellen, war sich aber sicher dass sein Freund im umgekehrten Falle, wohl genauso reagiert hätte wie er. So wie früher, als sie immer füreinander da waren, und niemals der eine den anderen hängen gelassen hatte.

    André wollte die unangenehme Pause unterbrechen. "Warum bist du überhaupt hier? Habt ihr etwas rausgefunden?" Plötzlich kam Semir der eigentliche Grund des Besuches in den Sinn. Er erzählte von dem Verhör der Frau, von dem großen Unbekannten mit Namen Stefan und gab dessen Beschreibung weiter. André dachte nach und nickte. "Das müsste Stefan Kerler sein. Er ist einer von Horns Mitarbeiter. Offenbar soll er mich zurückholen." "Hmm ja... oder schlimmeres.", meinte Semir düster und schaute André ein wenig sorgenvoll an. "Hast du eine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte?" André lächelte, es war sein typisches Lächeln wenn er eine Lösung für ein Problem gefunden hatte. "Ja, das weiß ich." sagte er, stand auf und ging in die Umkleidekabine, um sich umzuziehen.

    WG - 11:45 Uhr

    Die drei Polizisten kamen mit Christina im Schlepptau wieder zurück in die Wohngemeinschaft... diesmal auf normalem Wege über das Treppenhaus. Semir hielt sie sicherheitshalber weiter fest am Arm, den auf eine erneute Hinterherrennerei hatte weder er, noch seine Kollegen Ben und Kevin besonders Lust. Sophie Esche, die rothaarige Frau, die ihnen die Tür geöffnet hatte, war die dritte Mitbewohnerin in der Wohnung, und schaute reichlich verwirrt drein, als sie alle wieder in die Wohnung hinein liess. Christina meckerte immer noch, fuhr Semir wiederholt an, seine "Drecksfinger" von ihr zu lassen und wurde schließlich auf einen Stuhl beordert, der am Esstisch im Wohnbereich stand. Die WG war geräumig und neuwertig, ein idealler Platz für drei Freundinnen, die sich ein Haus nicht leisten konnten. Auch war alles aufgeräumt und sauber, nochmal kam Ben der Vergleich mit Kevins Bude in den Sinn.
    Semir setzte sich gegenüber von Christina, während Kevin und Ben in der Nähe stehen blieben. "Sie haben gestern mit ihrer Freundin eine Autopanne vorgetäuscht.", begann Semir, der sich mit den Ellbogen auf dem Tisch abstützte. Sein Gegenüber lag mehr auf dem Stuhl, als sie saß, hatte ein Bein angezogen dass sie am Tisch abstützte und sah recht gelangweilt drein. "Ich kann mich gerade nicht erinnern.", sagte sie schnippisch. Ben beugte sich von hinten ein wenig nach unten an sie ran und meinte nur kurz: "Wir aber." Die Frau schreckte kurz hoch, hatte sie Ben hinter sich überhaupt nicht wahrgenommen. "Wo waren sie gestern gegen 17 Uhr?", fragte Semir, der noch ganz ruhig wirkte, auch wenn ihn das unverschämte Benehmen der jungen Frau nervte. "Hier zu Hause, ich habe gelernt... mit meiner Mitbewohnerin.", sagte sie triumphierend grinsend. "Waren sie auch zu Hause?", fragte Ben in Richtung von Sophie Esche, die aber den Kopf schüttelte. "Welche Mitbewohnerin?", fragte Semir, obwohl er die Antwort eigentlich schon kannte, die dann auch prompt von der blonden Frau gegeben wurde. "Mit Isabelle..." "Hören sie doch auf zu lügen.", polterte Semir nun etwas lauter. "Isabelle Rother war ebenfalls auf der Autobahn dabei. Meine Kollegen haben sie eindeutig erkannt." Christina König blickte herum zu Ben, der nur noch allein hinter ihr stand. "Dann haben sich ihre Kollegen wohl geirrt.", sagte sie mit einer provozierenden Gelassenheit.

    Kevin hatte sich zu Sophie umgedreht, als Semirs Stimme laut wurde und leise nach den beiden Zimmern der Frauen gefragt. Sophie Esche schien kooperativer zu sein, konnte die beiden nicht leiden oder war von der Überraschung einfach noch überrumpelt, als sie wortlos vor ging, und Kevin ihr folgte. Er trat zuerst in das Zimmer von Christina und sah sich um. Er zog ein zwei Schubladen heraus, fühlte in losem Papier auf dem Schreibtisch und schaute sorgfältig in die Regale. Umsonst werden die beiden den Job sicherlich nicht getan haben, dachte der junge Polizist bei sich selbst. Ausserdem wäre es nicht schlecht, wenn man etwas findet, was uns helfen könnte. Gerade wollte er das erste Zimmer verlassen, als sein Blick auf das Bett der jungen Frau fiel, genauer gesagt auf den Nachttisch des Bettes. Neben der Lampe lag ein halb zusammengerolltes Stück Papier, das Kevin prüfend in die Hand nahm. Reiche Drogenabhängige benutzten 500-Euro-Scheine um sich das weiße Pulver durch die Nase zu ziehen... arme Studenten nahmen weißes Paper. Nun war sich Kevin fast sicher, dass er hier etwas finden würde, wenn er nur genügend suchen würde. Er schaute in die Nische zwischen Bett und Nachttisch, konnte aber nichts erkennen. Völlig ihn Gedanken griff der junge Polizist den Anschalter der Nachttischlampe, um in den kleinen Raum zwischen Bett und Nachttisch zu leuchten, doch das Klicken blieb wirkungslos. Ein kurzes Nachdenken folgte, dann stand er vom Bett auf und sah den Kabel nach, der in eine Steckdose führte. Strom hatte die Lampe also. Die Nachttischlampe war eine Stehlampe mit unten offener und oben geschlossener Milchglasdeko. Kevin schob eine Hand unter die Verglasung um die Birne zu ertasten, fühlte auf der Fassung allerdings keine Birne, sondern ein kleines Päkchen, das sich anfühlte wie typische 5g-Päkchen mit einem Pulver. Unvermittelt musste der Polizist ob dieses recht einfallsreichen Versteckes grinsen, nahm die Lampe und schüttelte sie so lange bis das Päkchen auf den Nachttisch fiel. "Na bitte...", meinte er für sich selbst, nahm das Päkchen und ging zurück ins Wohnzimmer, blieb im Rücken von Christina und gegenüber von Semir. Der allerdings verlor so langsam die Nerven, weil Christina nicht zugab, auf der Autobahn gewesen zu sein. Er sah Kevin an, als der sehr auffällig mit dem kleinen weißen Päkchen winkte und grinste. Semirs Gesichtsausdruck wandelte sich vom ärgerlichen ins zuversichtliche, auch er lächelte und nickte seinem jungen Kollegen zu, der dann langsam an Christina vorbei auf Semirs Tischseite wanderte. "War das die Bezahlung?", fragte er mit seiner monotonen, manchmal ebenfalls provokant gelassenen Stimmlage und sah Christina direkt an. Deren Gesichtszüge entglitten, vom arrogant überlegenen ins panisch ärgerliche. Sie sprang auf und fauchte "Wo hast du das her??" Ben stand immer noch hinter ihr, griff sie beherzt an den Schultern um sicher zu gehen, dass sie sich nicht wie eine Wildkatze auf Kevin stürzte. Kevin dagegen blieb unbeeindruckt und ließ den Blickkontakt nicht abreißen. "War es die Bezahlung?" Die blonde Frau sah den jungen Polizisten an, als würde sie ihn umbringen wollen und ließ sich mit wütendem Blick von Ben wieder auf den Stuhl zurück drücken. Semirs Stimme lag wieder im normalen Bereich, vor allem fühlte er sich jetzt überlegen. "Also, sie haben jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder wir nehmen sie jetzt mit aufs Revier, nehmen den eindeutigen Drogenfund auf und ihre Akte wird noch dicker, was dann eventuell auch nicht mehr mit einer Bewährungsstrafe ausgeht... oder sie sagen uns jetzt ganz genau, wer ihnen den Auftrag gegeben hat, die Autopanne zu simulieren und wir verlieren das Koks zufällig unter 100 anderen Päkchen in der Asservatenkammer." Kevin blickte Semir etwas überrascht an, dann auf Ben. Offenbar war der die Methoden von Semir, auch gerne mal ein wenig das Gesetz großzügiger auszulegen gewohnt. Wieder lächelte Kevin, diese Arbeitsweise gefiel ihm, während er sich bei Erwin penibel an alle Dienstvorschriften halten musste. Der wollte ihm sogar mal ein Dienstaufsichtsverfahren an den Hals hängen, als Kevin einen Zeugen nur am Kragen packte, weil der ein dunkelhäutiges Mordopfer als "Negerschwein" bezeichnet hatte.

    Im Kopf von Christina arbeitete es. Sie sah unsicher zwischen Semir und Kevin hin und her. "Ich... war vor einiger Zeit zum Auslandspraktikum im Ausland. Dort... dort habe ich einen Mann kennengelernt, in den ich... also in den ich mich verliebt habe." Sie setzte einen Unschuldsblick auf und sah wieder zu Kevin. "Ja und?", half der ihr ein wenig auf die Sprünge. "Naja, das war eine typische Urlaubsaffäre. Und jetzt vor einigen Tagen stand er bei mir vor der Tür und hat mich um diesen Gefallen gebeten. Er hatte gesagt, dass sei nur ein harmloser Scherz, sobald er hinter euch auftaucht sollten wir die Böschung runterlaufen zu einem zweiten Auto." Kevin und Ben sahen sich kurz an während Christinas Ausführungen und wollten im ersten Affekt den Kopf schütteln. "Und sie haben das für einen harmlosen Scherz gehalten?", fragte Semir, ebenfalls ein wenig ungläubig. Entweder log sie wie gedruckt und wusste, was dieser Stefan vor hatte, oder sie war einfach unglaublich naiv. "Ja... es sei eine Überraschung... oder so." Die Frau wich den Blicken aus. "Wie heisst dieser Stefan noch?", fragte Kevin nun, und erntete wieder Blicke von der blonden Frau. "Weiß ich nicht." Kevin verdrehte die Augen und ging hinter Semir von der rechten auf die linke Seite des Stuhls. "Wie sieht er aus?", fragte nun Ben, der immer noch hinter Christina stand. Die drehte sich unsicher zu ihm um, sah Ben kurz an um dann wieder, diesmal mit leicht ängstlichem Blick und leicht offenem Mund Semir und Kevin an zu sehen. "Sie... sie sagen ihm doch nicht, dass ich ihn verraten habe?" Jetzt begriffen die Polizisten, dass Christina offenbar sich gar nicht bewusst war, auf wen sie sich eingelassen hatte...

    Ben’s Dienstwagen – 11:15 Uhr

    Im lockeren Verkehr steuerte Ben den dunkelgrauen Mercedes über die Autobahn. Er sah ernst aus, kein lockerer Spruch, kein Lächeln auf seinem Gesicht. Sein Partner Semir, der neben ihm saß, bemerkte dies natürlich, und es fiel ihm auf, dass sein Freund auffallend oft in den Rückspiegel schaute. Kevin folgte den beiden Autobahn-Kommissaren im BMW X3, auf dem Weg zur Zeugenbefragung der beiden Frauen, die an dem Überfall auf der Autobahn auf Ben und Kevin beteiligt waren. „War’s spät gestern abend?“, fragte Semir noch mit einem leichten Lächeln und einem sarkastischen Unterton. Von Ben erntete er als Antwort nur ein Kopfschütteln. Wäre Semir selbst locker drauf gewesen hätte er Ben wohl noch weiter mit Fragen gefoppt, doch auch er hing seinen Gedanken nach, die stumm machten und ihn schweigsamer erscheinen ließen. Er dachte weiter an André, an ungeklärte Fragen, die zwischen ihnen standen. Doch er würde keine Antworten bekommen, solange er nicht mit André zusammen war, aber jetzt ging es erst einmal darum die Drahtzieher des Mordes zu finden, um eben auch André zu schützen. Ben fand die Stimme zuerst wieder: „Sag mal, wie gut kennst du Kevin eigentlich?“ Es war ein vorsichtiges Abtasten, ob Semir über die Vorgeschichte des jungen Polizisten, der hinter ihnen fuhr, überhaupt Bescheid wusste. Semir zuckte ein wenig mit den Schultern. „Naja, so gut nun nicht. Wir haben ja nicht lange zusammengearbeitet. Was willst du wissen?“ Ben wandte seine Augen nicht von der Straße. „Naja, hatte er mal was von früher erzählt?“ Ein leichtes Kopfschütteln war Semirs nonverbale Antwort. „Naja. Ich weiß, dass er mal Kontakte zum Rotlicht-Milieu hatte, aber ich denke die waren eher beruflicher Natur. Und sonst… hmm.“ Semir dachte nach. Hatte Kevin damals etwas von sich erzählt? Hatte er damals etwas erwähnt, von Freunden, Bekannten. „Naja, ich denke, Lisas Tod geht ihm immer noch nahe.“, dachte Semir laut nach. Daran hatte Ben gar nicht gedacht, dass dieser Schicksal ebenfalls noch Kevin zu schaffen macht, ihn vielleicht schon in eine Art Rückfall getrieben hatte. „Warum fragst du das?“, fragte Semir und sah Ben fragend von der Seite an, der die Augen immer noch nicht von der Straße nahm. Ben biss sich auf die Lippen. Er hatte eigentlich tatsächlich keine Geheimnisse vor Semir, aber in diesem Fall... hatte er Kevin versprochen niemandem etwas zu erzählen. Auch Semir nicht. Der Polizist mit dem Wuschelkopf war zwar überzeugt, dass sein türkischer Kollege nicht sofort zu Frau Engelhardt laufen würde, und ihr erzählen würde das Kevin ein Alkoholproblem habe, aber trotzdem brachte er die Worte nicht über die Lippen. "Ach nur so... ich will ihn selbst halt nicht fragen..."
    Semir schaute ein wenig verständnislos zu Ben. "Ihr habt euch doch gestern bestimmt unterhalten, oder?", fragte er mit leicht hochgezogenen Augenbrauen. Ben wiegte den Kopf hin und her, er spürte wie er unbewusst von Semir in die Enge getrieben wurde. "Ja klar... aber nicht über private Sachen.", wich der Polizist geschickt aus, und bog von der Autobahn ab Richtung Innenstadt. "Ich denke, dass Kevin ein guter Kerl ist, der auch stabil ist nach Lisas Tod. Der steckt das weg, das merkst du doch schon, wenn du ihn siehst.", meinte Semir und schaute offenbar nur auf die Fassade. 'Ich habe zumindest teilweise dahinter geschaut', dachte Ben bitter und wusste dass die coole Aussenhülle von Kevin eher Mittel zum Zweck war, und dass sich dahinter ein zerbrechlicher Charakter befand. Denn irgendetwas in Ben drin sagte ihm, dass der Alkohol nicht Kevins einziges Problem war.


    WG - 11:30 Uhr

    Die beiden Dienstwagen hielten auf dem Seitenstreifen vor einem hohen Reihenhaus in der Kölner Innenstadt. Kurioserweise war die Karateschule nur ein paar 100m entfernt. Im Erdgeschoss befand sich eine Apotheke, daneben der Eingang für die höheren Stockwerke. Ben und Semir schauten auf die Klingel und fanden die Namen "Rother, König, Esche" auf einer Klingel zusammengeschrieben, 1. Stock, als gerade eine ältere Frau die Haustür aufdrückte und Kevin die Tür festhielt. Mit einer Kopfbewegung bat er seine Kollegen hinein, dann konnte man verhindern, dass die Frauen erst gar nicht die Tür öffneten, wenn man sich durch die Sprechanlage bereits bekannt gab. Sie gingen durch einen renovierten Altbauflur, die Treppen nach oben. Ben fiel sofort der Unterschied zu Kevins Behausung auf, die trostlos und kühl wirkte. Hier wurde vor kurzem offenbar renoviert, es war warm und freundlich, das alte Treppengeländer frisch gestrichen, die Böden aus Holzidielen die aufbereitet wurden. Vor der Tür blieben die drei stehen, Semir klopfte. Ein kurzes Rumoren im Inneren der Wohnung, dann wurde die Tür von einer schlanken, jungen rothaarigen Frau geöffnet. "Ja, bitte?", fragte sie freundlich. "Guten Tag, Gerkhan Kripo Autobahn. Das sind meine Kollegen Peters und Jäger.", sagte Semir und zeigte seinen Dienstausweis. Auch Ben hatte seinen Ausweis bereits in der Hand, als eine blonde Frau den Kopf und halben Oberkörper aus einem Nebenzimmer streckte und die drei Polizisten ansah. Ben's Augen wurden größer, er erkannte die Frau sofort als eine derer, die beim Überfall dabei waren und die beiden Polizisten in eine Falle lockten. Auch sein Kollege der leicht versetzt hinter ihm stand, erkannte die Frau, die wiederrum die beiden Polizisten sofort wieder erkannte. Ein kurzes "Scheisse" drang aus ihrem Mund, dann verschwand sie wieder im Raum und man hörte schnelles Getrappel von Füßen, und das Geräusch eines sich öffnenden Fensters. "Die verpisst sich!", rief Kevin noch, bevor er sich erst an Ben, dann an der Rothaarigen vorbei quetschte und in die Wohnung lief. Die Müdigkeit und die Nachwirkungen des gestrigen Drogentrips waren plötzlich vergessen, er bog nach rechts ab und kam in eine Küche, in der das Fenster offenstand. Ben war sofort hinter ihm und rief "Die ist über die Feuerleiter raus."

    Mit einem Satz sprang Kevin auf das Fensterbrett, warf dabei zwei Blumentöpfe um und schwang sich auf die Feuerleiter, die links am Fenster herausführte. Mit schnellen Schritten kletterte der junge Polizist herunter, die letzten 5 Sprossen ließ er aus und sprang auf dem Asphalt. Ben folgte ihm dicht, und beide liefen durch die Gasse Richtung Hauptstraße, wo Christina König verschwunden war.
    Semir hatte sich sofort, als er sah dass die junge Frau fliehen wollte, auf dem Absatz umgedreht und war die Treppe runter gespurtet und auf die Hauptstraße gelaufen. Glücklicherweise bog Christina nach der Gasse falsch ab und lief Semir so direkt in die Arme. "Hey hey, stehen bleiben.", rief der drohend und hob beide Hände. Es widerstrebte sich ihm, auf eine unbewaffnete Frau die Waffe zu richten. Doch Christina dachte erstmal nicht daran, Semirs Anweisung Folge zu leisten, stoppte und drehte sich hastig um. Gerade wollte sie wieder loslaufen als sie direkt gegen Kevin stieß, der sie sofort festhielt. "Na, ist es dir im Morgenmantel nicht ein wenig kalt?", fragte der mit schwerem Atem und hielt Christina an beiden Armen fest. Sie trug tatsächlich nur einen Morgenmantel, und darunter noch kurze schlafshorts und ein t-shirt. "Leck mich, du Wichser.", stieß Kevin entgegen, der sie frech angrinste, einen blöden Spruch aber stecken ließ. "So, jetzt ist Schluß!", sagte Semir bestimmt, als er merkte dass schon einige Passanten auf der Straße auf das Schauspiel aufmerksam wurden. Er kam zu Kevin und Christina, und nahm sie ihm ab. "Los, nach oben!", sagte er bestimmt und drückte die Frau wieder zum Hauseingang. Ben kam neben Kevin und atmete ebenfalls schwer, Kondenswolken bildeten sich vor den Gesichtern der beiden Männer. "Mein lieber Mann. Dafür, dass du letzte Nacht eine dreiviertel Flasche Whisky vernichtet hast, bist du ganz schön fit...", sagte Ben und beugte sich ein wenig nach vorne um besser Luft zu bekommen. Kevin lächelte ihn an, ein merkwürdiges Lächeln was durch seinen schnellen schweren Atem noch skuriller wirkte. "Alles eine Frage des Trainings." Dann ging er voraus zur Tür und Ben blieb einen Moment zurück. Meinte Kevin tatsächlich sportliches Training, oder war es eine bittere Anmerkung dazu, dass er das Trinken längst gewöhnt war. Ben ließ dieser Satz erstmal nicht los...

    Dienststelle – 10:50 Uhr

    Semir saß bereits seit 10:30 Uhr an seinem Platz und wartete ungeduldig auf seine beiden Kollegen Ben und Kevin. Alle drei hatten später Dienst an diesem Tag, da sie gestern bis in den späten Abend gearbeitet hatten. Der türkische Kommissar hatte trotzdem wenig geschlafen, musste er doch zu intensiv über die Begegnung mit André nachdenken, vor allem über die Art und Weise wie André sich verhielt und seine Beweggründe warum er sich jahrelang nicht bei Semir gemeldet hatte. Sofort als er ihn sah spürte Semir diese Vertrautheit, diese Verbundenheit die er an seinem ehemaligen Partner immer geschätzt hatte. Doch im Laufe des Abends wechselte das Gefühl sich ständig ab mit einer seltsamen Fremdheit gegenüber André, vor allem als sie beide bei Semir im Haus waren. Dieses Gespräch lag ihm schwer im Magen, genauso die Ungewissheit, in welche illegalen Geschäfte André wirklich verwickelt war… und noch ist? Der Polizist hatte den großgewachsenen Mann wieder zur Karateschule gefahren, weil André darauf bestand, und ihm versicherte, auf sich aufzupassen. Darüber machte Semir sich am allerwenigsten Sorgen, eher darum, dass André sich vielleicht doch wieder absetzen könnte. Er spürte bei diesen Gedanken, dass das Vertrauen nicht vollständig da war, was ihn selbst in einer Art und Weise enttäuschte, die er selber nicht erklären konnte.
    Er schreckte kurz aus seinen Gedanken, als Andrea in sein Büro trat und ihm einen viel beschriebenen Zettel auf den Tisch legte. „Hier, die Anfrage nach eurem Toten.“, sagte sie schräg hinter ihm und Semir nahm das Blatt in die Hand. „Er war tatsächlich, nachdem er hier von der Bildfläche verschwand im Süden unterwegs. Lanzarote, Estoril, Barcelona, Mallorca…“, las Semir mehr für sich als für Andrea mit. Sie setzte sich bei ihren Mann an den Schreibtisch, und betrachtete ihn. Gestern abend schlief sie schon, als er nach Hause kam und musste heute morgen früher weg als er. Sie konnten gemeinsam noch nicht über André sprechen. „Was denkst du von André? Glaubst du ihm?“, fragte sie ihren Mann direkt und ohne Umschweife, blickte ihm dabei fest ins Gesicht. Semir lächelte wie immer, wenn er auf eine Frage nicht direkt eine Antwort wusste. „Andrea, ich weiß es nicht.“, sagte er ehrlich. „In einem Moment denke ich, da steht jemand Fremdes vor mir und im nächsten Moment ist es wieder André, dem ich vertraue.“ Andrea nickte nachdenklich, sie spürte in welchem inneren Zweikampf sich ihr Mann befand. „Du glaubst also, er verheimlicht dir etwas?“, hakte sie nach und betrachtete ihren Mann von Neuem, der erneut nachdenken musste. „Ich glaube, er hat mir einfach noch nicht alles erzählt. Was er genau auf Mallorca gemacht hat, und warum er sich nicht gemeldet hat. Und warum er jetzt plötzlich hierher kommen konnte.“ Eine Menge Fragen für Semirs Kopf, über den er sich mit der rechten Hand fuhr. Andrea bemerkte leichte Augenringe unter den Augen ihres Mannes, der nicht viel geschlafen hatte letzte Nacht. „Am meisten hat mich getroffen, als er annahm, dass wir ihn nicht vermissen würden, nach einiger Zeit… und er sich deshalb auch nicht gemeldet hatte.“, erzählte Semir leise und musste an das Übelkeitsgefühl denken, das sich in diesem Moment in seinem Magen ausgebreitet hatte. Doch die kleine Tour an die Gräber seiner ehemaligen Kollegen schien André mächtig beeindruckt zu haben. Vor allem sein eigenes Grab, was von Semir nach 14 Jahren immer noch gepflegt wurde, weil André keinerlei Verwandtschaft in Köln hatte. „Es ist schwierig. Ihr wart zwar Freunde, aber 3 Jahre zusammen Dienst ist sehr wenig im Vergleich zu 14 Jahren, in denen ihr euch nicht gesehen habt.“, meinte Andrea und streichelte ihrem Mann über den Arm. Der nickte und meinte: „Ich hoffe nur, dass er keinen Mist baut…“

    Im gleichen Moment kam Ben mit Kevin im Schlepptau ins Büro rein, ein kurzes „Guten Morgen“ wurde ausgetauscht. „Kommt ihr auch schon?“, meinte Semir vorwurfsvoll und sah demonstrativ auf die Uhr. Ben blickte kurz zu Kevin und meinte dann: „Ich hatte verschlafen.“ Sofort fing er Kevins Blick auf, der sofort merkte dass Ben wohl erst mal dicht halten würde und sogar die Schuld für die Verspätung auf seine Kappe nahm, damit es keine Nachfragen gab. Andrea aber betrachtete das Gesicht von Kevin kurz und dachte sofort daran, dass auch er sehr wenig Schlaf abbekommen hatte die letzte Nacht. Leichte Augenringe, müde wirkender Blick. Viel reden tat er sowieso nie, aber ihr kam Kevin ein wenig lethargischer vor als sonst. Sie vermied aber irgendwelche Anmerkungen und verließ nach einem Kuss auf die Wange ihres Mannes das Büro, während Kevin und Ben die Jacken auszogen. „Hier, kam eben rein. Timo hielt sich die letzten 14 Jahre in verschiedenen Städten in Spanien und Portugal auf. In Mallorca hat er dann vermutlich André kennengelernt.“, sagte Semir, während Ben das Blatt las und es dann an Kevin weitergab, der kurz anmerkte: „Also bis dahin stimmt Andrés Geschichte?“ Semir nickte: „Sieht ganz so aus. Und der Anschlag gestern abend lässt darauf hindeuten, dass Horn noch eine Rechnung mit André offen hat.“ „Wo ist André jetzt?“, fragte Ben und warf einen Blick in den Nebenraum, wo er aber nur verschiedene Kollegen, sowie Hotte und Bonrath sehen konnte. „Wieder in seinem Karateclub… dort wohnt er momentan.“, antwortete Semir und hatte eigentlich keine Lust über die weiteren Geschehnisse gestern abend zu reden, weswegen er auch nicht davon anfing. „Hast du keine Bedenken, dass er sich in die nächste Maschine setzen könnte?“, sprach Ben seine Bedenken offen aus, eine Sorge die auch Semir mit sich herum trug, seit er seinen ehemaligen Kollegen in dem Haus verschwinden sah. „Ich kann es mir nicht vorstellen.“, sagte der türkische Kommissar leise. Kevin, der am halbhohen Schrank hinter Ben stand und die Arme verschränkt hatte, nickte und sagte mit seiner leicht monotonen Stimme: „Wenn Semir ihm vertraut, können wir ihm doch auch vertrauen… oder?“ Er sah Ben an, der sich umdrehte und der verstand sofort was Kevin meinte. Er hatte Ben heute morgen auch vertraut, weil Semir Ben vertraute, obwohl Kevin Ben nicht kannte, und der wiederrum verstand. „Okay…“, sagte er nur und senkte den Blick wieder auf das Stück Papier, obwohl er alles gelesen hatte. Semir nickte Kevin dankbar zu, als Andrea erneut ins Büro kam. „Der Computer hat von euren Phantomzeichnungen zwei Übereinstimmungen gefunden. Die Damen heißen Isabelle Rother und Christina König, sind zusammen in der gleichen Adresse gemeldet, und sind bereits mehrfach wegen Drogenbesitz aufgefallen.“ Semir erhob sich direkt vom Stuhl, als er die Namen hörte. „Haben wir die Adresse?“, fragte er in Richtung seiner Frau, die ihm sofort zwei Blatt Papier vor die Nase hielt und keck lächelnd meinte: „Na, was denkst du denn von mir?“ Semir lächelte, nahm die beiden Blätter und verließ gefolgt von Ben und Kevin das Büro.

    Kevin’s Wohnung - 10:30 Uhr

    Für einen kurzen Moment herrschte Stille in der trostlosen Wohnung von Kevin, als Ben ihn auf seine gestrige Stimmung und seinen jetzigen Zustand ansprach. Doch mit einem Mal reagierte Kevin auf Ben’s Frage, stand ruckartig auf, dass ihm ein Schmerz sofort in die Stirn stach. „Nein, es ist nichts. Ich hab einfach gestern zu viel getrunken, okay?“ Seine Stimme war gefestigt, wirkte leicht genervt. Er machte in diesem Moment nicht den Eindruck eines labilen Menschen, sondern eher eines dickköpfigen Menschen, der seine Fehler nicht zugeben wollte. Dabei ging er einige Schritte durch den Raum, wobei er Ben den Rücken zukehrte, der erneut Blick auf das Konterfei und die beiden Stichwunden hatte. „Hat es was mit den Narben auf dem Rücken zu tun?“, fragte Ben vorsichtig und mit einer undrängenden Tonlage. Kevin blieb ruhig im Raum stehen, sah durch die geöffnete Tür ins Nichts. Seine blauen Augen fixierten einen Punkt, sein Mund leicht offen. Ben sah ihn an, wartete auf eine Antwort, beinahe atemlos. Es MUSSTE etwas damit zu tun haben, zu eindeutig war Kevins Reaktion auf diese Frage. Seine Schultern hoben und senkten sich mit seinem Atem, er kämpfte mit sich. Er wollte sich schon lange mal alles von der Seele reden, doch hatte er niemanden, der ihm zuhörte. Er hatte keine engen Freunde auf seiner Dienststelle, seine Jugendfreunde waren entweder im Knast oder noch in kriminellen Kreisen unterwegs. Er kannte Ben aber nicht, und wusste nicht ob er nicht seine Drogensucht sofort an die Öffentlichkeit bringt. Wenn Kevin jetzt auch noch seinen Job verlieren würde, würde er endgültig zerbrechen. Langsam drehte er sich zu Ben um, der in angestrengte, aber klare Augen sah. „Du willst es nicht wissen…“, sagte er leise in die Richtung des Kommissars, der nun selbst aufstand und auf Kevin zukam. „Pass mal auf. Semir und ich, wir wissen beide alles über den Anderen. Wir vertrauen uns blind, und das kannst du auch.“ Ben suchte aktiv den Blick zu seinem Gegenüber der sich mit der rechten Hand durch die ohnehin abstehende Frisur fuhr, und dem Blick erneut auswich. Ben setzte nach: „Ich weiß, du kennst mich erst seit zwei Tagen. Aber wenn du Probleme hast, dann können wir sie lösen… ohne dass ich sie jemandem weitererzähle.“ Mit einer kurzen Pause setzte er hinzu: „Auch Semir nicht…“, wobei ihm bewusst war, dass er dann etwas von dem, was er sagte, nicht einhielt. Doch Kevin beachtete den Widerspruch nicht und ging mit langsamen Schritten an Ben vorbei, um sich wieder auf die Matratze des Bettes zu setzen. Die Arme auf die Beine gestützt, den Kopf kurz darin vergraben. Offenbar kämpfte er sich gerade dazu durch, Ben reinen Wein einzuschenken. „Es war ein Jahr, nachdem ich den Absprung aus einer Jugendgang geschafft hatte.“, erzählte Kevin leise, sah Ben dabei aber nicht an. Er hatte das Kinn auf seine Hände gestützt, die Hände dabei zu Fäusten geformt. Sein Kollege lehnte sich an eine kleine Kommode, und hörte Kevin aufmerksam zu, ohne ihn aus den Augen zu lassen. „Ich war gerade 18 geworden… wir hatten in einem Club gefeiert und ich hatte ziemlich viel getrunken.“ Kevins Stimme war ruhig, doch es entging Ben nicht wie seine Augen sich zwischen mehreren Punkten schnell hin und her bewegten. „Gegen Mitternacht sollte ich meine kleine Schwester nach Hause bringen. Wir haben eine Abkürzung durch zwei dunkle Gassen in der Innenstadt genommen.“ Bens Magen krampfte sich zusammen, und er war sich bewusst, dass er keine schöne Geschichte hören würde. Kleine Schwester, das Mädchen auf seinem Rücken, das Todesdatum. Etwas schreckliches musste passiert sein. „Drei Typen der Gang haben uns dort zufällig gesehen und haben uns dann aufgelauert. Zuerst…“ Kevins Stimme stockte kurz, und langsam wurde er unruhiger und sein Atem ging schneller. Es war, als könne er die Schritte hinter ihm wieder hören, als könne er die feuchte Abendluft nach einem Regenschauer wieder spüren. „Sie haben mich niedergestochen. Von hinten. Ich… ich lag am Boden, und konnte mich nicht rühren.“ Der junge Polizist bewegte den Kopf, schaute kurz zum Boden, als hätte er sich dort Stichworte aufgezeichnet um die Geschichte fortzusetzen. Es war der Versuch die Brücke zu den nächsten Worten zu schlagen. „Ich hab gesehen, was sie mit ihr gemacht haben. Ich habe sie schreien hören, als die beiden sie vergewaltigt haben.“ In Kevins Kopf hallten laute Schreie wider, Schreie eines jungen Teenagers in Todesangst, im Hall von zwei dunklen Steinmauern alter Häuser. „Ich kam einfach nicht hoch… ich wollte es aber…“ Kevins Stimme wurde hektischer, sein Atem schneller. Ben wollte ihn beruhigen, doch er wollte Kevin nicht unterbrechen, und hörte weiter atemlos zu. Dessen Gesichtsausdruck war plötzlich von Hilflosigkeit gezeichnet, als würde er die Szene von damals gerade vor seinem inneren Auge sehen. Das Geschrei seiner Schwester, das Klatschen als ihre kleinen Hände ins Gesicht der beiden Typen knallte… und ihr Würgen und Gurgeln, ihren Todeskampf als sie mit ihr fertig waren. „Sie haben ihr einfach die Kehle durchgeschnitten.“, sagte Kevin plötzlich ruhig und immer noch fassungslos, wie in Trance. „Sie war doch meine kleine Schwester. Ich war für sie verantwortlich… ich hätte sie schützen müssen…“ Seine Augen sahen geradeaus, alle Geräusche in seinem Kopf waren weg, seine Augen ganz ruhig. Über seine nackte Haus hatte sich eine Gänsehaut gezogen, und langsam suchte sein Blick erneut Ben, der einen leicht mitleidigen, aber besonders fassungslosen Gesichtsausdruck machte und vor allem dann nach Worten suchte. „Kevin… ich weiß nicht was ich… also…“, stammelte er und wollte Kevin nicht ein lapidares „Das tut mir leid“ vor die Füße werfen. Der kam ihm jedoch zuvor: „Ich hab das noch nie jemandem erzählt… Manchmal hab ich Wochen, in denen es mir gut geht und ich nicht all zu oft daran denke. Manchmal habe ich aber auch Abende wie gestern… und dann…“, er verstummte und deutete auf die Whiskey-Flasche neben seinem Bett. Ben nickte nur, eine Hand vor dem Mund, es war ein fast verständnisvolles Nicken obwohl sich in seinem Kopf bereits viele Fragen ausbreiteten. Sollte er nicht doch jemandem etwas erzählen? Semir, der Chefin? Man musste Kevin doch helfen…

    Der allerdings stand nun auf. „Aber es ist wirklich selten… und es ist wirklich nur der Alkohol. Ich komm damit klar.“, sagte er zu Ben, und es würde für einen fremden durchaus überzeugend klingen, als er es sagte. Doch für Ben klang es nicht überzeugend. Einen Tod eines lieben Menschen steckte man nicht einfach so weg. Kevin blieb bei Ben stehen und sah ihn diesmal genau an. „Es wäre gut wenn du wirklich niemandem davon erzählst.“, sagte er, und schämte sich in diesem Moment nicht, Ben die volle Wahrheit verschwiegen zu haben. Die Drogen behielt er lieber für sich. Ben nickte und sagte nur kurz: „Versprochen.“ „Ich bin in 10 Minuten fertig.“, gab ihm Kevin zur Antwort und verschwand wieder hinter der Badezimmertür. Kurze Zeit später hörte Ben die Dusche erneut, diesmal aber nur wenige Augenblicke und ging aus dem Schlafzimmer heraus.
    Was hatte Kevin nur erlebt? Hilflos mit anzusehen wie seine kleine Schwester vergewaltigt und getötet wurde. Und war der Alkohol wirklich seine einzige Flucht? Ben würde Kevin in den nächsten Tagen im Dienst genau beobachten, ob er diesen ohne Probleme durchstand oder nicht. Nur wenige Minuten später kam Kevin in anderen Shorts wieder ins Schlafzimmer, wo er in eine schwarze verwaschene Jeans, ein langärmeliges Shirt und in seine Schuhe schlüpfte. Darüber zog er eine Weste mit Kapuze und seinen schwarzen Mantel, der ihm bis zu den Kniekehlen reichte. „Lass uns fahren.“, meinte er mit fast wachem, normalen Ausdruck in den Augen. Nur eine Stimme klang etwas müde. Bevor sie die Wohnung verließen, hielt Kevin Ben an der Schulter fest. „Und… Danke.“

    Ich schätze mal das Original werden wir nicht mehr hören, sondern immer nur noch in verschiedenen Mixen.,.. heute der fand ich ganz gut, kam er doch am ehesten an das Original ran.

    Ansonsten war die Folge mittelmäßig, bisher die schwächste der Staffel, was bei den vorherigen drei Folgen aber keine Schande ist.

    Wenn ich das mit den ersten 20 Minuten "Turbo & Tacho reloaded" vergleiche, war "Das große Comeback" allerdings ne Hammerfolge!

    Scahde dass man Flashbacks zu André nicht eingebaut hat, das wäre ne gute Gelegenheit gewesen, als Semir auf Malle war.