Rotlicht-Viertel – 13:30 Uhr
André sagte seinem ehemaligen Partner Semir die Richtung, wohin er den Wagen in der Innenstadt lenken sollte. Sie fuhren durch das normale Viertel von der Boxschule weg hinein in ein Viertel mit schlechtem Ruf. Es war keine schillernde Rote Meile wie in St.Pauli, sondern ein Rotlicht-Viertel, wie man es aus Krimis kannte. Dreckig, abgewrackt. Selbst die strahlende Sonne konnte aus den recht unansehnlichen Clubs keine noblen Etablisements machen. Ein Club aber stach heraus aus der grauen Masse. Die Villa Maxim war äusserlich im neuesten Stand, hatte moderne Leuchtreklame und einen einladenden Eingang. „Das ist ein Laden, den Horn von Berger übernommen hatte.“, sagte André, als die beiden vor dem Eingang hielten. Auffallend war, dass im Gegensatz zu den anderen Bordellen hier vor allem schwere Audis, BMWs und Porsche geparkt waren. „Berger hatte nur 4 Bordelle in Deutschland. In Bremen, Berlin, München und hier. Wenn Stefan den Überfall verübt hat, dann hat er hier noch die Leitung.“ Er sah dabei aus dem Seitenfenster des Mercedes, Semir sass neben ihm und schaute an André vorbei zum Eingang. „Und du willst da jetzt einfach reingehen? Was ist, wenn er dich erkennt?“, fragte Semir und ihm war nicht ganz wohl bei dem Gedanken mit André in das Bordell zu gehen, im Wissen dass dieser Mann es auf ihn abgesehen hatte. „Dann sehen wir auch gleich seine Reaktion.“, gab der zur Antwort und sah Semir herausfordernd an. Der türkische Kommissar verkniff das Gesicht, wie immer wenn er Bedenken hatte, einer Sache zuzustimmen. „Sollen wir nicht lieber Ben und Kevin anrufen? Kevin kennt sich in diesem Milieu auch recht gut aus.“ „Semir, was ist los? Du bist vor 14 Jahren alleine in eine Kneipe voller Nazis marschiert.“, versuchte André an Semirs Stolz zu rütteln, was ihm auch gelang. Mit einem Ruck stieg Semir aus dem Mercedes und sein Freund folgte ihm.
Dienststelle – gleiche Zeit
Die beiden Kommissare Ben und Kevin saßen an Bens Schreibtisch. Genauer gesagt stand Kevin dicht hinter Ben um auf dessen Monitor zu sehen, der fast schon apathisch Bildchen für Bildchen, mit Drogen vorbestraften Personen mit Vornamen „Stefan“, durchklickte um jemanden zu finden, der auf die Beschreibung der jungen Frau passte. Doch nichts kam, niemand tauchte auf wo beide es für nötig befanden auffällige Merkmale wie ein Tattoo abzuchecken. Nach einer Stunde wandte sich Kevin hinter Ben ab und stöhnte: „Ich kann nicht mehr. Das bringt doch nix.“ Auch Ben war von dem angestrengten Gucken müde geworden, er rieb sich die Augen und lehnte sich im Stuhl zurück. „Vielleicht findet Semir was bei André raus.“
Plötzlich kam Andrea Gerkhan, Semirs Frau ins Büro der Polizisten. Sie sah ein wenig überrascht aus, und hatte einen Zettel in der Hand. „Wart ihr heute morgen in dieser WG von Christina König und Isabelle Rother?“, fragte sie vorsichtig. „Ja, warum?“, gab Ben zur Antwort und hing an Andreas Lippen, die sich langsam und zaghaft bewegten, ihre Stimme kam nur mühsam zwischen den Lippen hervor. „Da kam gerade eine Meldung… in der Wohnung wurden gerade eben zwei Frauenleichen gefunden.“ Kevin sah zu Ben, der Andrea mit großen Augen anstarrte. „Scheiße.“, murmelte der junge Kommissar, nahm seinen Mantel vom Haken und machte sich sofort auf den Weg nach draussen. Ben folgte ihm, zum Wagen.
Rotlicht-Viertel – 13:40 Uhr
Semir und André betraten den Nobelschuppen von Stefan Kerler. Der Laden war fast leer, ein paar Mädels tanzten zur Probe an der Stange und ein kräftig gebauter, blonder Kerl stand hinterm Tresen und spülte Gläser. Als die beiden Männer sich an den Tresen stellten, kam er langsam zögerlich auf die beiden zu. „Wir öffnen erst um 20 Uhr, meine Herren.“, meinte er höflich aber bestimmt, doch Semir kümmerte das nicht. Er zog seinen Ausweis und meinte trocken: „So lange haben wir heute keinen Dienst. Wir wollen Herr Kerler sprechen.“ Der Typ verdrehte die Augen, und wollte gerade nach seinem Chef sehen, als der von sich aus den Raum betrat. Die allgemeine Beschreibung von Christina König passte auf den Kerl, ob er nun ein Tattoo am Oberarm hatte konnten die beiden Polizisten natürlich nicht erkennen. Andrés Gesichtsausdruck verriet aber, dass er Kerler sofort erkannte, und auch dessen süffisantes Lächeln als er den ehemaligen Polizisten sah, sprach Bände. Der Mann war im Anzug gekleidet , und trat als Geschäftsmann auf. „Was kann ich für sie tun, meine Herren?“, fragte er übertrieben höflich und trat hinter den Tresen. Bevor Semir fragen konnte, kam André ihm bereits zuvor. „Kerler… hat Ralf mittlerweile so wenig Personal, dass du die Drecksarbeit verrichten musst?“ Er sah den blonden Mann fest ins Gesicht, der sich aber noch keinerlei Blöße gab. „André bitte…“, sagte Semir leise und stieß seinem Freund gegen den Arm. Dann zeigte er seinen Ausweis vor, und sprach Kerler an: „Herr Kerler, wir haben Hinweise darauf, dass sie gestern Abend auf der Autobahn zwei Polizisten mit einer Waffe bedroht haben.“ Der Mann hinter dem Tresen beugte sich betont nach vorne, um Semirs Ausweis genau zu lesen. „Herr… Gerkhan…“, begann er hochnäsig und betont arrogant. „Ich glaube, da liegen ihnen falsche Informationen vor. Gestern Abend führte ich Geschäftsverhandlungen im Hinterzimmer dieses Clubs.“ „Das kann sicherlich jemand bezeugen?“, fragte Semir routinemäßig, obwohl er die Antwort schon ganz genau kannte. Geschäftspartner waren in diesen Kreisen nichts anderes als Alibigeber. „Natürlich. Ich kann ihnen gerne die Kontaktdaten der jeweiligen Geschäftspartner geben, wenn sie mir sagen wie sich ihr Verdacht aufbaut.“ Die beiden Kommissare blickten sich kurz an, doch Semir winkte nur ab. Er wusste, mit welchem gefährlichen Typen er es zu tun hatte, und wie gefährlich es für die Zeugin werden konnte. Kerler lächelte zufrieden. „Kennen sie Ralf Horn?“, fragte der türkische Polizist dann wieder in Richtung des blonden Mannes. Der wich aus: „Das sollten sie ihren Kollegen fragen. Der kann ihnen darüber mehr erzählen.“ „Wir fragen aber dich, Kerler!“, raunte André mit seiner rauen Stimme über den Tresen. Semir spürte, wie langsam in der Stimme seines Freundes die Aggression anstieg. Auch Kerler merkte das, und stocherte mit einer Gegenfrage weiter. „Wie kommt es, dass ein offensichtlicher Straftäter bei der Polizei ermitteln darf?“ Dabei sah Kerler genau André ins Gesicht, nicht Semir der allerdings darauf reagierte. „Was meinen sie damit?“ Ein unerklärliches Kribbeln lief Semir über den Rücken, ein ungutes Gefühl breitete sich in seinem Magen aus. André’s Gesicht schien eingefroren. „Fragen sie ihren Kollegen…“, wiederholte Kerler freundlich um dann einige Schritte zur Seite zu gehen, nun direkt gegenüber André stand und sicher nach vorne über den Tresen beugte. „Du weißt, was Ralf gegen dich in der Hand hat.“, sagte er leise, jedoch deutlich genug dass Semir es auch verstehen konnte, was in der Absicht des blonden Mannes lag. „Leg dich besser nicht mit ihm an.“ Das war mehr als eine Warnung, und in diesem Moment reagierte André und griff Kerler am Kragen. Ein Stück wurde der Mann aufs Tresen gezogen, doch er wehrte sich nicht, er lächelte André an, der die Oberlippe nach oben zog und durch die Zähne presste: „Gar nichts hat er!“ Semir legte sofort eine Hand um Andrés Handgelenk. „Hör auf! Es reicht!“ Ein kurzer Augenblick verging, und der hochgewachsene Karatekämpfer ließ Kerler los, der sich erst mal wieder die Kleider ordnete. André drehte sich vom Tresen weg und fuhr sich mit zwei Händen durch die Haare. „Herr Gerkhan, ich werde mich wohl bei ihren Vorgesetzten beschweren müssen.“ „Wir sehen uns wieder, Kerler. Das verspreche ich ihnen.“, meinte Semir kurz angebunden und folgte seinem Freund, der bereits den Weg nach draussen eingeschlagen hatte. Noch kurz vor dem Wagen griff Semir André am Arm und zwang ihn, sich zu dem Türken umzudrehen. „Ich will jetzt endlich eine Erklärung von dir!“