Beiträge von Elvira


    „Andrea, wir haben heute Morgen den Wagen von Semir gefunden. Er ist ausgebrannt und im Fahrzeug wurde eine Leiche gefunden.“ gab die Dienststellenleiterin von sich. Es schien eine Weile zu dauern, bis Andrea den Sinn der Worte verstand, dann schüttelte sie den Kopf und stand auf. „Nein! Wollt ihr mir sagen, dass Semir … das er …?“ fragte sie leise nach. Die Stimme versagte und Alex sah etwas hilflos zu Kim Krüger. „Nein ... das kann nicht sein! Das geht nicht! Das darf nicht sein!“ stieß Andrea aus. Alex wollte sie in den Arm nehmen, doch Andrea stieß ihn weg und machte einen Schritt zurück. „NEIN!!! Das ist ein dämlicher Scherz! Das ist ein absolut dämlicher Scherz! Du hast mich heute Morgen angelogen! Du hast gesagt, dass du nichts hast! Das war eine LÜGE!! Die Obduktion wird das beweisen!!“ fauchte sie ihn an. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Alex senkte den Blick und nickte. „Ich weiß… Andrea, die Obduktion wurde bereits durchgeführt. Es steht zu 85 % fest, dass es Semir ist. Beim Toten wurden das Armband und auch die Kette von Semir gefunden. Der Mann wurde erschossen und er lag in Semirs Dienstwagen.“ Andrea sah Kim an und dann Alex. Sie schüttelte den Kopf und weinte hemmungslos. Kim nahm sie in den Arm. Sie ließ es geschehen und der Körper bebte. „Andrea, wir werden alles tun, um den Mörder von Semir zu finden, das verspreche ich.“ sagte sie leise. „Andrea, können wir jemanden anrufen, der jetzt bei dir ist?“ wollte Alex wissen, denn er machte sich große Sorgen. „Ich kann Ihnen Susanne zur Seite stellen.“ bot Kim an, doch Andrea schüttelte den Kopf. „Meine Eltern… sie werden sicher herkommen.“ antwortete sie schluchzend. Alex ließ sich die Nummer geben und rief an. Margot Schäfer war sehr betroffen und versprach umgehend mit ihrem Mann Hans-Hubert zu kommen. Dennoch dauerte es fast drei Stunden, bis sie da waren. Während Margot sich um Andrea kümmerte, zog Hans-Hubert Alex aus dem Raum. „Wie sicher ist es, dass es mein Schwiegersohn ist?“ wollte er wissen. Alex atmete tief durch. „Derzeit steht es zu 85% fest. Es fehlt noch die DNA Analyse und ich hoffe sie sehr, sie spätestens in zwei Tagen auf dem Tisch zu haben.“ erklärte er. Hans-Hubert nickte nachdenklich. „Und was denken Sie?“ Alex verstand die Frage nicht. „Wie meinen Sie das, Herr Schäfer?“ Hans-Hubert sah ihn fest an. „Was denken Sie? Was sagt Ihnen Ihr Gefühl?“ Alex zog die Schultern hoch und lachte verbittert auf. „Ich muss derzeit die Tatsachen sehen. Die Obduktion sagt aus, dass es Semir ist. Der Wagen sagt aus, dass es Semir ist. Aber noch halte ich diesen kleinen Strohhalm fest, der noch Hoffnung gibt. Dazu müssen wir die Analyse abwarten.“ Kim unterbrach die Beiden. „Brandt, wir fahren zur PAST zurück! Herr Schäfer, sollte etwas sein, rufen Sie mich bitte sofort an.“ wandte sie sich an Hans-Hubert, der sofort nickte. „Wir kümmern uns um Andrea und den Kindern. Finden Sie den Mörder von Semir! Bitte…“ Alex nickte entschlossen. „Das werden wir.“

    Kim und Alex fuhren zur PAST zurück. „Es gibt also nur noch wenig Zweifel, dass es tatsächlich Semir ist? Ich werde morgen Druck im Labor machen, damit die Analyse vorgezogen wird. Ich kann es mir immer noch nicht vorstellen.“ sagte sie zu Alex, während sie auf die Straße schaute. Alex sah sie nur kurz an. „Ich kann es mir auch nicht vorstellen, aber ich wüsste auch nicht, wieso man seinen Tod vortäuschen sollte. Ich meine, wer hätte was davon? Das macht einfach keinen Sinn.“ Kim zog die Schultern hoch. „Sie denken also, dass es einer der Leute ist, die Gerkhan mal ins Gefängnis gebracht hat?“ Alex stöhnte leise auf. „Ich weiß es nicht. Irgendwas sagt mir, dass es nicht Semir ist, aber auf der anderen Seite sind die Fakten ganz klar.“ Er hob die Hände ein Stück an und ließ sie dann wieder fallen. „Okay, so kommen wir nicht weiter. Was ist mit diesem Informanten? Haben Sie da irgendwelche Informationen über den Mann gefunden?“ Wieder schüttelte Alex den Kopf. „Nein, Andrea kennt den Mann nicht.“ Kim nickte nachdenklich. „Und in den Akten von Gerkhan?“ Alex setzte sich gerade hin. „Da ist nichts über Sam zu finden. Aber ich würde ja auch keine Informanten im PC festhalten. Ich meine, man weiß nie, wer welche Daten liest.“ Wieder folgte ein Nicken. „Das ist wohl wahr. Aber wir müssen etwas finden.“ Sie sah auf die Uhr. „Wie dem auch sei, wir haben es jetzt Acht am Abend und bis die Analyse vorliegt, können wir nichts machen. Sie sollten nach Hause fahren.“ schlug die Vorgesetzte vor. Alex sah sie an. „Ich werde mir noch ein paar Akten von Semir vornehmen. Ich brauche einen Hinweis und irgendwie hoffe ich, dort einen zu finden. Ich weiß nur nicht, wie weit ich zurückgehen muss.“ stöhnte er auf und stieg aus, als Kim den Wagen auf dem Parkplatz anhielt. „Soll ich Ihnen helfen?“ bot sie an doch Alex lehnte lächelnd ab. „Lassen Sie mal, ich werde auch nicht mehr lange machen.“ versprach er und betrat die PAST. Er machte sich wieder dran, die Akten zu sichten. Hier und da machte er sich Notizen um später noch einmal nachzuforschen. Wer zum Teufel war Sam? Vielleicht brachte er etwas, wenn er sich am Flughafen umhören. Immerhin hatte Semir dort seinen Informanten getroffen. Um sechs am nächstem Morgen sackte er über der Tastatur zusammen und schlief ein.


    Marvin Traber und Tom waren nach guten vier Stunden mit der Obduktion durch. Die Blutprobe wurde umgehend ins Labor gebracht und nun hiess es abwarten. Es brauchte Tage, bis das Ergebnis da war, denn die herausgefundene DNA musste mit etwas Persönlichem, wie die Zahnbürste oder der Kamm von Semir verglichen werden. Das Armband und auch die Kette gehörten Semir und damit war klar, dass er es tatsächlich war, der im Wagen verbrannte. Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken. „Traber…“ meldete er sich mit müder Stimme. „Alex hier, Marvin hast du die Obduktion schon durch?“ wollte der Partner von Semir wissen. „Ja, der Bericht ist auch fast fertig. Der Tote war zwischen 45 und 50 Jahre alt. Leider konnten wir die Organe nicht untersuchen, da diese nicht mehr vorhanden waren. Wir haben aber eine Schusswunde in Höhe des Herzens gefunden. Die Kugel ist auch die Todesursache. Leider konnten wir kein Projektil sicherstellen. Das Gesicht des Toten wurde zertrümmert und daher ist eine Gebissanalyse nicht möglich. Wir konnten aber Blut aus der Beinvene entnehmen und haben diese zur DNA-Bestimmung ins Labor geschickt. Die Kette und das Armband konnten…“ fing Marvin an doch Alex unterbrach ihn. „Marvin! Ich will nur eines wissen. Ist es Semir oder nicht?“ Der Rechtsmediziner schluckte und holte tief Luft. „Ich kann es dir nicht sagen. Die Kette und das Armband sagen ja, das Alter des Toten sagt ebenfalls ja. Es tut mir leid, Alex. Aber nach dem Stand der Dinge muss ich davon ausgehen, dass es Semir ist.“ presste er heraus und Tränen liefen ihm über das Gesicht. Auch am anderen Ende war es still. „Es tut mir leid Alex. Ich hätte gern bessere Nachrichten. Ich kann und will es eigentlich nicht glauben, dass es Semir ist. Die Analyse wird sicher noch zwei bis drei Tage dauern und wenn du bei Andrea nach einer Zahnbürste oder nach einem Kamm von Semir fragst, dann wird sie es sofort wissen.“ gab er zu bedenken. „Das muss ich nicht. Semir hat seine Ersatz-Zahnbürste hier im Büro. Ich bringe sie gleich noch ins Labor.“ versprach Alex. „Alex, ich wünsche mir sehr, dass er es nicht ist. Ich weiß, dass es sehr schwer ist, aber wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, hörst du? Noch ist die Möglichkeit, dass er lebt, sehr groß. Ich will ganz ehrlich sein, ich kann und will nicht glauben, dass er es ist. Ich will es einfach nicht, verstehst du?“ fragte er. Wieder spürte er die Trauer aufsteigen. „Ich weiß Marvin und mit diesem Gedanken bist du nicht allein. Niemand will, dass es Semir ist. Aber vieles sprich dafür. Der Dienstwagen von Semir, das Armband…“

    Alex beendete das Gespräch und ging zu Kim Krüger, die in ihrem Büro saß. „Frau Krüger, ich habe eben mit Traber gesprochen.“ Er machte eine Pause. Kim Krüger sah ihn erwartungsvoll an. „Und, wie ist sein Ergebnis? Hat er etwas gefunden, das einen Hinweis auf die Identität des Toten gibt?“ Alex holte tief Luft und nickte. „Er sagte mir, dass der Mann im Wagen eine Schusswunde hat. Der Tote ist zwischen 45 und 50. Und der Tote trug Armband und Kette. Das Armband ist eindeutig Semir zuzuordnen. Die Namen von den Kindern und Andrea sind zu lesen.“ Die Stimme wurde immer leiser. Kims Augen weiteten sich. „Soll das heißen, dass es wirklich Gerkhan ist? Was ist mit einem Gebissabdruck? Was mit einer Blutuntersuchung? Organuntersuchung?“ schoss sie die Fragen ab. „Das Gesicht der Leiche wurde zertrümmert. Marvin konnte kein Gebissabdruck machen. Es sind keine Organe drin außer dem Magen. Was Traber sagen konnte war, dass die Organe von einem Fachmann, also einem Arzt, entfernt wurden. Das Armband und die Kette sind die einzigen Hinweise auf den Toten.“ erkläre er und versuchte angestrengt sachlich zu bleiben. „Das heißt, man hat ihn ausgeschlachtet?“ Alex sah sie an. „So sieht es derzeit aus. Traber will den Magen noch untersuchen, verspricht sich aber nicht viel davon.“ Kim nickte. „Wir können es Andrea nicht verschweigen.“ Alex senkte den Kopf. „Können wir ihr nicht erst einmal sagen, dass er nur verschwunden ist? Sehen Sie, wenn er noch lebt – und davon gehe ich immer noch aus – dann würde es …“ Kim kniff die Augen zusammen. „Wir sollen Andrea anlügen? Was wollen Sie ihr denn sagen? Wollen Sie sie ein paar Tage hinhalten und dann?“ Alex beugte sich vor. „Traber konnte Blut abnehmen. Wenigstens bis das Ergebnis da ist. Bitte, Andrea wird es nicht verkraften, wenn… wenn ...“ flehte er regelrecht. Kim wusste, dass Alex recht hatte doch sie lehnte nach einer Bedenkzeit ab. „Tut mir leid, aber ich halte absolut nichts davon, dass man Andrea anlügt. Wir können ihr sagen, dass es nicht 100%ig nachgewiesen ist und es immer noch Hoffnung gibt, aber die ist, nach dem was wir bisher wissen, sehr klein. Begleiten Sie mich?“ wollte sie von dem Hauptkommissar wissen. Alex nickte stumm und nur wenig später waren sie auf dem Weg zu Andrea, um ihr die Nachricht zu überbringen. Während der Fahrt herrschte eisernes Schweigen. Als sie das Haus der Gerkhans erreicht hatten, sah Alex seine Vorgesetzte an. „Wie wollen Sie ihr das sagen?“ fragte er leise und rieb sich den Bauch, denn er bekam starke Schmerzen. Kim atmete tief durch. „Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Aber wir können es nicht für uns behalten. Wir müssen es ihr sagen.“ erklärte sie. „Wenn Sie wollen, dann werde ich es ihr sagen.“ schlug Alex vor, doch Kim lehnte ab. „Das ist meine Aufgabe.“ sagte sie entschlossen und stieg aus. Alex folgte ihr und nur wenig später klingelten sie an der Tür. Andrea machte ihnen auf und lächelte ihn strahlend an. „Alex, hast du ihn gefunden?“ wollte sie wissen und der Hauptkommissar sah zu Boden. Das Lächeln von Andrea verschwand und sie schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Alex hob den Kopf. „Andrea, können wir uns kurz unterhalten?“ bat er leise. Andrea sah nun zu Kim. Sie spürte eine starke Unsicherheit und ein sehr sonderbares Gefühl in sich. „Was ist denn los? Ist Semir verletzt? Liegt er im Krankenhaus?“ hakte sie nach, doch Kim schüttelte den Kopf. Nur wenig später saßen sie in der Küche.


    Semir schreckte auf, als die Tür sich öffnete. Er kniff die Augen zu, als die Männer ihn mit einer Taschenlampe in die Augen leuchteten. Semir stand sofort unter Strom, doch als sie zu dritt auf ihn zukamen, wagte er keinen Aufstand. Gegen drei Männer hatte er keine Chance. „Aufstehen!“ fauchte einer und packte auch sofort zu. Er zog Semir auf die Beine und brachte ihn wieder in die Küche. Dort standen Wagner und der zweite Mann im Raum und sahen ihn an. „Setz dich!“ forderte Wagner auf und nickte seinen Leuten zu. Sie zwangen Semir auf den Stuhl. „Was soll das Spielchen?“ fragte der Hauptkommissar und versuchte seine Stimme gleichgültig klingen zu lassen.Während Wagner ein Glas füllte und in das Wasser ein paar Tropfen fallen ließ, verschwand der ihm unbekannte Mann aus seinem Gesichtsfeld. Da eine Tür klappte, dachte Semir, dass der Mann den Raum verlassen hatte und konzentrierte sich auf Wagner. Dieser reichte ihm das Glas. „Austrinken!“ befahl er und Semir schüttelte den Kopf. „Nein!“ gab er mit fester Stimme von sich. „Dann müssen wir uns andere Wege einfallen lassen. Gerkhan, ich wollte es wirklich nicht mit Gewalt machen, aber wenn du nicht freiwillig trinkst, dann muss ich meine Freunde bitten, mir zu helfen. Willst du das wirklich?“ Semir sah Wagner an und spürte im gleichen Augenblick einen Stich im Genick. Etwas Heißes floss in seinen Körper und er fasste hin und wollte wissen, was es war, doch alles fing an zu tanzen und alles tauchte in Watte. Semir drehte sich noch einmal um und sah in das grinsende Gesicht des Unbekannten. Langsam sackte er vom Stuhl und als er am Boden lag, wehrte er sich gegen dieses schwammige Gefühl, welches sich in seinem Körper ausbreitete. „Mach es dir nicht so schwer. Schlaf einfach! Lass dich fallen. Genieße die Ruhe, die du noch hast. Ab morgen ist es vorbei.“ verhöhnte ihn Wagner. Semirs Augen fielen immer wieder zu, doch er öffnete sie genauso oft. Was er nicht wirklich merkte, sie wurden immer kleiner und nach einigen Sekunden schaffte er es nicht mehr, sie zu öffnen. Er versank in einen tiefen Schlaf und bekam nicht mehr mit, das die Männer ihn in einen Wagen legten.

    Hartmut kroch in den Wagen und versuchte etwas in der Asche zu finden, was nicht durch den Löschschaum aufgelöst wurde. Doch das Feuer hatte kaum etwas übriggelassen, was man untersuchen konnte. Der Gestank im Wagen erinnerte ihn an Brandbeschleuniger und ließ ihn stutzen. Sollte der Wagen erst nach dem Unfall in Brand gesteckt worden sein? Aber klar, durch den Aufprall konnte der Wagen kein Feuer gefangen haben. Dass ein technischer Defekt für den Brand verantwortlich war, schloss er kategorisch aus, denn die Fahrzeuge der Polizei wurden regelmäßig untersucht und geprüft und so schlimm war der Schaden an der Karosserie nicht. Er untersuchte alles akribisch, doch das Ergebnis war ernüchternd und ließ alle Hoffnungen schwinden. Was konnte er noch tun? Er sah sich die Felgen an und stutzte. Die Reifen waren nicht mehr vorhanden. Nicht einmal Gummifetzen hingen an den Felgen, aber das rechte Hinterrad wies einige sonderbare Kratzer auf. Hartmut nahm sich eine Lupe und schaute sich die Kratzer genau an. „Also doch!“ stieß er aus, als er die Kratzer analysiert hatte. Ein Reifen musste zerschossen worden sein, denn die Kratzer stammten eindeutig von Projektilen. Hartmut machte sich Notizen und ging den Wagen weiter durch. Noch immer waren deutlich Zweifel zu spüren. Irgendwas sagte ihm, das es nicht Semir war, der im Auto verbrannte und doch gab es auch Zweifel, dass er es war. Klar war, dass Semir niemals seinen Wagen verlieh. Das ließ nur einen Schluss zu, den Hartmut einfach nicht akzeptieren wollte. „Nein, Hartmut. Es war nicht Semir. Aber es war gut möglich, das Semir nicht allein auf der Flucht war! Vielleicht war er verletzt und konnte nicht fahren, oder ein anderer fuhr und Semir versuchte die Verfolger mit Schüssen fernzuhalten. Im Innenwagen müssen Projektile zu finden sein. Du musst genauer schauen!“ mahnte er sich selbst und schüttelte den Kopf. Er musste etwas finden, das ganz sicher ausschloss, das Semir der Tote war. Doch wie sollte er das herausfinden? Er war doch nur Techniker. In dem Wagen war nichts, was ihm helfen konnte. Absolut gar nichts! Eine Flut von Tränen lief ihm über das Gesicht. Musste er sich mit dem Gedanken vertraut machen, einen sehr guten Freund auf einer grausamen Art und Weise verloren zu haben? Er atmete nach einer Weile tief durch und durchsuchte den Innenraum des ausgebrannten Wagens erneut sehr akribisch.


    Werner Klinke hob langsam den Kopf und sah Rolf Wagner an. „Er ist an der Schulter verletzt. Schusswunde?“ fragte er kühl und Wagner nickte. „Das war ein Unfall. Er wollte nicht aufgeben und eine Kugel hat sich verirrt. Aber das verkraftet er schon.“ Klinke atmete hörbar durch. „Hast du nachgesehen, ob die Kugel noch drin ist?“ Wagner stöhnte leise auf. „Nein! Und ganz ehrlich ist es mir auch egal. Er wird doch eh nicht überleben.“ Klinke stand auf. „Du hast schon Recht, aber was wenn die Wunde sich entzündet? Jede Infektion schadet den Organen! Ich werde ihn untersuchen müssen, aber das mache ich bei mir in meinen Räumen.“ Rolf Wagner nahm einen Schluck aus seinem Glas. „Das kannst du ruhig machen, sobald du mir das Geld überwiesen hast.“ Klinke nickte, holte seinen Laptop hervor und rief sein Bankprogramm auf. „Du bekommst von mir 3 Mio. Euro auf dein Schweizer Konto.“ Rolf Wagner sah ihn erstaunt an. „Wir hatten 6 ausgemacht!“ stieß er aus. „Das ist richtig, da bin ich aber von unversehrter Ware ausgegangen. Er ist verletzt und das birgt Gefahren der Infektion. Damit ziehe ich dir die Hälfte ab.“ Wagner lachte höhnisch auf. „Das ist Wucher! 5,5 und wir sind im Geschäft. Du kannst ihn ausschlachten! Das sollte es dir doch wohl wert sein!“ fauchte er wütend und zeigte deutlich, dass er mit dieser Regelung unzufrieden war. Klinke sah ihn über den Rand der Brille an. „Ja, das kann ich. Dennoch habe ich das Recht, die Ware zu reklamieren. Du kannst gern vom Geschäft zurücktreten und einen neuen Käufer suchen. Ich sage dir nur, dass die Zeit knapp wird. Außer mir wirst du keinen finden und der Bulle ist ein heißes Eisen.“ mahnte er. Rolf Wagner wusste genau, dass Klinke Recht hatte. „Okay, aber für die Organe des Penners bekomme ich auch noch was. 5 Mio. und er gehört dir.“ Klinke lachte laut auf. „3,5! Die Organe waren in einem extrem desolaten Zustand. Davon kann ich nichts gebrauchen.“ Wieder zog Wagner scharf Luft ein. „Was die Leber angeht, magst du Recht haben, aber nicht die Nieren oder das Herz! 4 für Gerkhan und dem Penner.“ Klinke war einverstanden. „Das nenne ich ein Geschäft. Ich habe schon drei potentielle Patienten, die nächste Woche in meine Klinik kommen. Du solltest das Land möglichst schnell verlassen. Lass Gerkhan abreisefertig machen!“ „Lass ihn noch zwei Tage in meinen Händen, danach gehört er dir.“ Klinke sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Nein, besser nicht. Ich brauche ihn unversehrt.“ Rolf knurrte zwar, aber er fügte sich. „Wie willst du sichergehen, dass er unterwegs nicht abhaut? Der ist nicht leicht zu beherrschen.“ mahnte er seinen Geschäftspartner. Klinke griff seine Tasche und zog eine Spritze hervor. „Wer schläft kann auch keine Probleme machen.“ Wagner grinste böse. „Dann sollten wir unseren Freund mal darauf vorbereiten.“ Klinke prüfte die Spritze. „Lass ihn herbringen!“ befahl er und Wagner führte den Befehl aus.

    „Hartmut! Hast du schon was gefunden?“ wollte Alex wissen, als der Techniker ihn anrief. „Ja und nein! Also auf den Wagen ist mehrfach geschossen worden. Ich habe insgesamt elf Einschüsse gezählt. Hauptsächlich im hinteren Bereich und an der Fahrerseite. Es scheint ganz so, dass Semir auf der Flucht vor etwas war und dann gegen den Baum gerast ist. Leider ist von den Reifen nichts mehr übrig, sonst könnte ich feststellen, ob ein zerschossener Reifen zum Verlust der Kontrolle führte.“ berichtete der Techniker. Alex schloss kurz die Augen. „Okay, dann müssen wir jetzt herausfinden, warum man Jagd auf ihn gemacht hat. Hast du noch mehr? Konntest du Kugeln sicherstellen?“ hakte er nach. „Leider nein. Aber ich fange ja auch gerade an. Vielleicht finde ich noch die eine oder andere Kugel. Ich melde mich bei dir, soweit noch etwas zu finden ist.“ antwortete der Techniker und beendete das Gespräch. Alex sah wieder den Monitor. Was Hartmut herausgefunden hatte, deutete darauf hin, dass Semir verfolgt und beschossen wurde. Aber warum? Sicher, Semir hatte bestimmt einige Feinde, die mit ihm noch eine Rechnung offen hatten, doch warum sollten sie ihn verbrennen lassen? Er musste sich mit den Fällen beschäftigen, die Semir in der letzten Zeit bearbeitet hatte. Nur wie weit sollte er zurückgehen? Fünf Jahre? Zehn Jahre? Oder noch weiter? Welche Fälle sollte er besonders in Betracht ziehen? Er rief er sich die Akte von Semir auf und klickte dann auf abgeschlossene Fälle. Mehrere Seiten mit Namen und Fakten, die er nun durchgehen musste. „Albert Hein, wegen Diebstahl eine Bewährungsstrafe von sechs Monaten, Thomas Bruchmann, ein Jahr wegen Überfall, Klaus Henke, zwei Jahre wegen Vergewaltigung…“ las er vor und schloss direkt einige von seinem Verdacht aus. So ging es mehrere Stunden weiter und Alex rieb sich gegen fünf am Nachmittag müde die Augen. Das Lesen am PC war sehr anstrengend und machte müde. Das Telefon riss ihn aus seinen Gedanken. „Andrea hier. Alex, hast du schon was herausgefunden?“ wollte die Exfrau seines Partners von ihm wissen. „Nein, bisher noch nicht.“ log er. Er wollte Andrea nicht damit belasten, dass der Wagen bereits gefunden wurde. Er hörte wie sie durchatmete. „Alex, du sagst mir doch alles, oder?“ fragte sie nach. „Natürlich. Andrea, sobald ich etwas weiß, gebe ich dir Bescheid. Mach dir keine so großen Sorgen. Ich bin mir sicher, dass wir ihn schon bald finden werden.“ versprach er. „Okay, ich werde warten.“ Alex legte auf und wandte sich wieder den Akten zu. Es klopfte und Susanne trat ein. „Hey, hast du was? Brauchst du irgendwie Hilfe?“ bot sie an. „Ja, sag mir, wer so einen Hass auf Semir hat, dass er ihn umbringen will.“ bat er die Sekretärin. „Nun, ich denke da gibt es schon einige, die das wollen. Soll ich dir helfen, die Akten durchzugehen?“ Alex nickte dankbar.


    Tom tat, was Marvin wollte und sprach immer wieder mit ihm, doch irgendwie kam Marvin ihm sehr abwesend vor. Seit diesem Telefonat schien sein Lehrmeister komplett in Gedanken zu sein. Tom sah, wie er die Schädeldecke in den Händen hielt und regelrecht hilflos aussah. „Sag mal, mit dir stimmt doch was nicht. Seit dem Anruf bist du völlig durch den Wind. Kann ich dir irgendwie helfen?“ wollte Tom wissen. Marvin sah ihn an und schüttelte zunächst den Kopf. „Machen wir weiter. Hast du schon Blut abnehmen können?“ Tom schüttelte den Kopf. „Das wollte ich jetzt machen.“ Er nahm sein benötigtes Equipment und stellte sich an die untere Seite des Metalltisches. Er nahm das Messer und schnitt die Beckenvene auf. Dann übte er einen kräftigen Druck auf und ließ das Blut, welches er herauspresste, auf Leinenläppchen laufen. Nun hieß es, das Blut an der Luft trocknen zu lassen. Erst dann konnte er das Tuch in ein steriles Gefäß packen und zur Untersuchung bringen. Und während er damit beschäftigt war, bemerkte er, wie konfus Marvin doch arbeitete. Noch schwieg er und bemerkte, dass der Tote ein Armband am linken Handgelenk trug. Vorsichtig entfernte er es. „Okay, raus mit der Sprache! Und komme mir jetzt nicht mit irgendwelchen Ausflüchten!“ forderte er Marvin auf, der ihn gequält lächelnd ansah. Marvin atmete tief durch und schien sich die Worte zurecht zu legen. „Der Anruf eben, kam von Alexander Brandt, das ist ein Polizist an der Autobahn. Er ist der Dienstpartner von meinem Freund Semir und er hat mir eben gesagt, dass der Wagen, in dem er hier gefunden wurde, der Dienstwagen von Semir war. Ich weiß, dass mein Freund niemanden mit seinen Wagen fahren lässt.“ kam leise von Marvin und Tom sah ihn erschrocken an und dann auf die Leiche. „Oh verdammt! Du denkst, dass das dein Freund ist?“ fragte er nach. „Tom, ich will es wissen. Ich will wissen, ob es mein Freund Semir ist. Hilf mir dabei!“ bat Marvin leise. „Klar…“ stimmte sein Helfer zu. „Wie alt würdest du diese Person schätzen?“ fragte er und Tom machte sich an die Arbeit. „Also von der Größe her ist es schlecht einzuschätzen, aber ich würde sagen, Ende 40, höchstens Mitte 50. Wir wissen ja schon, dass es ein Mann ist.“ Marvin konnte ihm nur zustimmen. „Mein Freund war 50…“ Tom schluckte und suchte nach einer Möglichkeit, seine Behauptung wieder zu verwerfen. Marvin atmete tief durch. „Hey, es kann doch auch ein Irrtum sein. Ich meine, vielleicht hat man ihm den Wagen gestohlen oder er war auch im Wagen und konnte noch entkommen. Er ist vielleicht verletzt und irrt jetzt irgendwo am Fundort herum.“ gab Tom zu besten. Marvin sah ihn mit einem sonderbaren Blick an. „Semir hätte es niemals zugelassen, dass jemand Anderer den Wagen fährt. Außerdem haben wir das Armband und die Kette am Toten. Wir sollten das Armband reinigen…“ schlug er vor. Tom nickte und setzte sich an den kleinen Tisch. Er nahm eine Bürste und putzte die Asche von dem Armband. Nach einigen Minuten kam eine Gravur hervor. „Andrea, Dana, Ayda, Lilly…“ las er vor. Marvin schluckte schwer. „Das sind die Namen von Semirs Familienmitglieder…“ gab er leise von sich.

    Während die Rechtsmediziner die Leiche zu identifizieren versuchten, wachte Semir auf. Seine Handschellen hielten ihn an einer Stange, die etwas einen halben Meter über seinem Kopf von einer Wand zur Anderen ging. Seine Wunde an der Schulter blutete wieder, denn er spürte, wie es warm an seiner Hüfte herunterlief. Nach seiner Schätzung konnte der Raum nicht größer als zwei mal zwei Meter sein. Die Wände glitzerten in dem wenigen Licht, welches durch ein über ihn angebrachtes Gitter fiel, wie Metall. Er trug zu allem Überfluss einen Knebel und konnte sich nicht bemerkbar machen. Die ganze Zeit hatte er schon versucht sich so hochzuziehen, damit er sich diesen entledigen konnte, doch es war ein Kraftakt, der von seinem geschundenen Körper das Letzte forderte. Nachdem er sich eine Weile ausgeruht hatte, versuchte Semir sich erneut an der Stange hochzuziehen. Durch den Knebel stieß er ein Schmerzenslaut aus, da die Anstrengung in der Schulter zu spüren war. Dennoch schaffte er es fast und als er einen allerletzten Versuch starten wollte, wurde es plötzlich hell. Die Luke über ihn verschwand und er wurden hochgezogen. Oben angekommen, wurde er einfach fallen gelassen. Semir kam sofort auf die Beine und wollte nur weg. Er taumelte einfach los, doch er kam nicht weit. Irgendjemand packte ihn am Kragen, zerrte ihn über die Grünfläche und warf ihn in ein Auto und nur wenig später startete die Fahrt. Er lag einfach da und haderte den Dingen, die nun auf ihn zukamen. Die Fahrt war nach knappen zehn Minuten vorbei und wieder wurde er aus dem Wagen gezerrt und in ein Haus gebracht. Semir ließ sich einfach ins Haus schleifen und nur wenige Augenblicke später, stand er in der Küche des Hauses. Erst jetzt wurde ihm der Knebel abgenommen. Er sah die Männer an, die hier am Tisch saßen. Zum einen war es Rolf Wagner, der höhnisch grinste und ein weiterer Mann, den Semir nicht kannte. Auf einen Wink von Wagner wurden die Fesseln gelöst und Semir rieb sich die Handgelenke, die anfingen zu brennen, da die Blutzirkulation eine ganze Weile unterbrochen war. Seine Hände gehorchten ihm nicht. „Ich denke, wir sind zivilisiert genug, um miteinander zu kommunizieren, oder?“ wollte der Unbekannte von ihm wissen und er nickte leicht. „Sehr gut. Greif nur zu. Es ist alles frisch und ich denke, nach den Stunden, die du da gehangen hast, ist der Hunger doch sehr groß, oder?“ Dem Wunsch des Mannes wurde mit einem Stoß in Richtung Tisch unterstrichen. Semir setzte sich. „Was wollen Sie von mir?“ fragte er leise. Der Mann lachte. „Du sollst essen und keine Fragen stellen.“ „Wer sind Sie?“ ließ der Polizist sich nicht beirren. „Keine Fragen!“ wiederholte sein Gegenüber. „Sie sagten eben, dass wir kommunizieren wollen. Also, wer sind Sie und was wollen Sie?“ Der Unbekannte schlug plötzlich mit der Faust auf den Tisch. Das Geschirr tanzte und Semir zuckte zusammen. „Entweder isst du jetzt oder ich bringe dich wieder in das Loch! Ich werde keine Fragen beantworten!“ fauchte er. Nur zögerlich griff Semir zu und fing an zu essen. Es war wirklich sehr köstlich, dennoch musste er das Essen herunterwürgen. Unmerklich musterte er den Mann, der hier scheinbar auch über Rolf Wagner das Sagen hatte. Semir brannten etliche Fragen auf der Lippe, doch er wagte nicht, auch nur einen Ton zu sagen. Nach einer Stunde wurde er in den Keller gebracht und in einen Raum gestoßen. Semir sah sich um. Der Raum war leer. Ein vergittertes Loch in der Wand, sollte wohl als Fenster dienen. Langsam ließ er sich zu Boden sinken und schloss die Augen.


    Marvin und Tom legten den Leichnam auf den Metalltisch. Sie wuschen sich die Hände und zogen sich Handschuhe über. „Okay, dann gehen wir das ganze einmal durch. Wie fängst du an?“ Tom nickte. „Okay, äußere Leichenschau. Kleidung kann ich nicht mehr erkennen, Größe und Geschlecht ebenfalls nicht. Aber mir fällt auf, dass das Gesicht stark deformiert ist. Außerdem sehe ich einen langen Schnitt vom Hals bis zur Hüfte. Wenn ich es richtig sehe, wurde diese Leiche bereits einmal geöffnet.“ Marvin stutzte. „Bitte was?“ „Ja, sieh doch mal. Hier, der Schnitt geht vom Kehlkopf bis runter zur Hüfte.“ wiederholte Tom. Marvin sah sich die Leiche genau an. „Du hast Recht! Scheint als wäre er schon mal obduziert worden aber das kann ja nicht. Okay, drehen wir den Körper mal.“ forderte er. „Okay, hier ist ein Loch. Scheinbar eine Schussverletzung…“ murmelte Marvin weiter, als die Leiche auf der Seite lag. Tom nickte ebenfalls. „Also dann würde ich Suizid ausschließen. Niemand schießt sich selbst in den Rücken.“ Marvin hob eine Augenbraue. „Er könnte sich von vorn erschossen haben und die Kugel ist dann durch.“ schlug er vor doch Tom schüttelte den Kopf. „Kann er nicht. Vorn ist keine Wunde zu sehen. Marvin schlug ihm sanft auf die Schulter. „Sehr gut, Tom. Okay, du wirst dich um den Torso kümmern und ich nehme mir den Schädel vor!“ Tom sah ihn an. „Wieso bekommst du den angenehmeren Teil?“ maulte er grinsend. „Weil ich der Ältere bin.“ gab Marvin zurück und fing an, mit der Oszillationssäge den Schädel zu öffnen. Er bemerkte Toms fragenden Blick. „Was ist?“ wollte er deshalb von seinem Gehilfen wissen. „Nichts, es hörte sich nur etwas ekelig an.“ murmelte Tom. Wieder wandte er sich dem Brustkorb zu und öffnete die Bauchhöhle nun ganz. „Oh!“ stieß er aus. Marvin unterbrach seine Arbeit und sah ihn an. „Was ist denn jetzt schon wieder?“ „Da ist nichts drin.“ kam etwas ungläubig von Tom. „Bitte was?“ wollte Marvin wissen, der glaubte nicht richtig gehört zu haben. „Ich sehe nur den Magen. Kein Herz, keine Leber, die Nieren und Lungen sind auch weg.“ Marvin wollte gerade etwas sagen, als sein Handy klingelte. „Warte eben...“ forderte er auf und ging ein paar Schritte zurück. „Traber!“ meldete er sich. „Hier ist Alex. Ist die verkohlte Leiche schon bei dir?“ Marvin sah zu dem Tisch. „Ja, warum fragst du?“ Er hörte wie der Anrufer tief durchatmete. „Hör zu, Marvin. Diese Leiche ist vermutlich Semir.“ erklärte er. Marvin schüttelte etwas ungläubig den Kopf und sah auf die Leiche. „Was redest du denn da für ein Blödsinn?“ fauchte er, denn auf solche Scherze legte er überhaupt keinen Wert. „Ich wünschte, es wäre Blödsinn aber es ist mir ernst. Die Leiche war in Semirs BMW, der ausgebrannt ist.“ ging es bei Alex Brandt weiter und in der Stimme war zu erkennen, dass er traurig und erschüttert war. „Verstehe…“ gab Marvin mit gepresster Stimme von sich. „Bitte zieh die Obduktion vor und sag mir möglichst schnell, wer es ist.“ bat Alex leise.

    „Wir sind schon dabei. Und wir haben auch schon etwas Erschreckendes gefunden. Die Leiche wurde bereits geöffnet.“ meinte Marvin und sah auf den Leichnam, den Tom gerade untersuchte. „Wie meinst du das?“ hakte Alex nach. „Die Leiche hat keine Organe mehr. Außer Magen und Milz ist alles raus. Selbst die Lungen sind weg.“ Am anderen Ende schwieg Alex. „Hör zu Alex, ich werde jetzt mal die Obduktion beenden und dann sprechen wir wieder. Außer dass die Organe bereits entnommen wurden, haben wir auch eine Schusswunde entdeckt. Aber alles später.“ „Verstanden Marvin…“ gab Alex leise von sich. Marvin beendet das Gespräch und ging zu Tom zurück. „Woran erkennst du, was für ein Geschlecht die Leiche hat?“ Tom dachte kurz nach. „Am Beckenstand! Und nachdem zu urteilen, was ich hier sehe, war es ein Mann. Hier haben wir die Vorsteherdrüse, da die Prostata. Ja, eindeutig ein Mann.“ stellte der angehende Rechtsmediziner fest. Marvin spürte Nervosität aufsteigen. Wieder ein Punkt, der den Verdacht von Alex Brand bekräftigte. Ihm wurde übel. Sollte es doch Semir sein? Er atmete tief ein und nickte Tom zu. „Sehr gut. Wie geht es weiter?“hakte er nach. „Wenn es ein normaler Fall wäre, würde ich mir die Organe vornehmen, aber die fehlen ja. Was ich dir auf jeden Fall sagen kann, ist das die von einem Fachmann entnommen wurden. Gut möglich, dass er durch eine Kugel getötet wurde und dann den Unfall verursacht hat. Das heißt dann auch, dass er schon tot war, als das Feuer ausbrach. Nur warum ist das Gesicht so zertrümmert. Wir müssten wissen, ob der Aufprall so hart war, dass dies dadurch verursacht wurde.“ erklärte Tom weiter. Marvin nickte nachdenklich und untersuchte den Schädel. Die Hirnmasse wurde in einer Schale gesammelt und auf den Organtisch gestellt. „Das gesamte Gesicht ist zertrümmert worden. Hier ist kein Knochen mehr ganz. Das Jochbein ist Brei, die Kieferknochen sind nur noch Mus. Ein paar Zähne fehlen auch. So können wir nicht einmal einen Gebissabdruck nehmen, um auszuschließen das es nicht Semir ist.“ murmelte Marvin und Tom stutzte. „Du kennst den Toten?“ hakte er nach. Marvin schüttelte stumm den Kopf. „Und warum nennst du ihn dann Semir?“ hakte Tom nach. Marvin lächelte gequält. „Du hörst verdammt gut, Tom. Das kann manchmal ein Problem sein.“ wich der Rechtsmediziner aus. Tom zog die Schultern hoch. „Okay, wenn du es mir nicht sagen willst. Ich würde vorschlagen, dass wir aus der Beinvene Blut entnehmen. Dann können wir eine DNA – Analyse machen lassen.“ Marvin nickte stumm. Seine Gedanken gingen zu dem zurück, was Alex ihm eben offenbart hatte. Sollte dieses Etwas wirklich sein bester Freund sein? Konnte das wirklich sein? Der Mann, der für ihn nach dem Tod seines Vaters ein noch besserer Freund geworden war? Der Mann, der ihn vor kurzem überglücklich davon erzählte, dass er seine Exfrau noch einmal für sich gewinnen wollte und er zu einer nicht ausgeschlossenen Hochzeit eingeladen war? Dieser Mann sollte nun vor ihm liegen? Verbrannt bis zur Unkenntlichkeit? „Marvin?!“ riss ihn die Stimme seines Helfers aus den trüben Gedanken. „Ja? Ja entschuldige…“ murmelte er leise. „Bist du noch dabei?“ Wieder nickte Marvin. „Mach weiter!“

    Ich wäre an Semirs Stelle auch ausgerastet. Hätte dann aber auch das Schulaufsichtsamt informiert. Das habe ich in der Vergangenheit gemacht, als mein Sohn wegen seinem asiatischen Vaters gehänselt, geschlagen und erpresst wurde. Die Sache war danach schnell erledigt.

    Leider gibt es solche Personen auf der Schule überall. Und mir scheint dass diese Sabrina ausländerfeindlich ist. Ich hasse solche Leute.


    Hartmut sah auf, als die Kollegen vom Abschleppdienst einen ausgebrannten BMW in die KTU brachten. Er sah auf das Kennzeichen und grinste leicht. „Also diesmal kann Semir nicht davon ausgehen, dass ich den wieder hinbekommen.“ meinte er zu Alex, der fast gleichzeitig eintraf. Dieser sah ihn nur ernst an und atmete tief durch. Hartmut spürte, dass etwas nicht stimmte und sah ihn fragend an. „Hartmut, ich habe keine Zeit für irgendwelche Scherze. Der Wagen … Semirs Wagen, ist wie du siehst, ausgebrannt. Auf dem Fahrersitz hat man eine Leiche gefunden. Bis zur Unkenntlichkeit verbrannt und diese Leiche trug ein Armband und eine Kette, genau wie Semir…“ erklärte der Kommissar mit schwerer Stimme. Tränen liefen das Gesicht runter. Hartmuts Grinsen verschwand und er schüttelte ungläubig den Kopf. „Moment! Alex, willst du mir sagen, dass … das Semir in diesem Wagen verbrannt ist?“ fragte er nach und Alex sah ihn traurig an. Er holte tief Luft. „Derzeit sieht es so aus. Nimm den Wagen auseinander! Egal wie, aber finde mir einen Beweis dafür, dass es nicht Semir ist. Bitte! Finde irgendwas! Ich will Andrea nicht diese Nachricht überbringen müssen!“ Hartmut zog die Unterlippe zwischen die Zähne. „Ich werde sehen, was ich tun kann und mache mich sofort an den Wagen. Und glaube mir, ich werde etwas finden!“ versprach er. In seinen Augen blitzte kurz Zorn auf. „Weißt du, was genau passiert ist?“ wollte er von Alex wissen, doch dieser schüttelte den Kopf. „Ich kann nur vermuten. Der Wagen stand wohl am Baum und brannte. Vielleicht hat Semir die Kontrolle über den Wagen verloren, ist gegen den Baum und der Wagen hat Feuer gefangen. Ruf mich an, sobald du was hast. Egal wie klein es auch ist. Ich brauche einen Hoffnungsschimmer. Irgendwas sagt mir, dass es nicht Semir ist. Ich will aber nicht, dass es nur ein Gefühl ist.“ bat Alex ihn und Hartmut nickte entschlossen. Er legte dem Hauptkommissar die Hand auf die Schulter. „Ich bin mir sicher, dass es nicht Semir war. Ich meine, es kann nicht sein. Gestern, da war er doch noch hier und hat dumme Witze gerissen. Er kann nicht tot sein. Das geht gar nicht. Er…“ Hartmut suchte nach Worten, doch er wusste auch, dass damit nichts geändert werden konnte. Alex nickte nur und verließ die KTU. Hartmut machte sich sofort an die Arbeit. Der Techniker ging um den Wagen herum und besah sich jede Stelle der Karosserie. Die Motorhaube war komplett verbeult, was kein Wunder war, denn nach Angaben von Alex stand der Wagen am Baum. Scheinbar hat Semir die Kontrolle über den Wagen verloren und einen Baum geküsst. In der Karosserie bemerkte er diverse Löcher und besah sie sich genau. Der Techniker stöhnte leise auf und ging weiter um den Wagen herum. Weitere Löcher im hinteren Bereich und auf der Fahrerseite des Wagens zeigten ihm deutlich, dass auf den Wagen geschossen wurde. Entschlossen griff er zum Handy und wählte Alex an, der sich direkt meldete.

    In der Rechtsmedizin wurden gerade die Tische von der letzten Obduktion gereinigt. Die Sektionsassistenten reinigten und desinfizierten die Werkzeuge gründlich und packten sie an ihren festen Platz. Am Schreibtisch stand Marvin Traber und zeichnete den letzten von ihm geschriebenen Bericht ab. Er reichte ihn an seinen Assistenten, einen weiteren Rechtsmediziner weiter, der bei der Obduktion zugegen war, damit dieser ebenfalls die Richtigkeit des Berichtes mit seiner Unterschrift bestätigte. Neben dem festen Team war auch Tom Berger anwesend. Tom war Medizinstudent, der sich für die Richtung "Rechtsmedizin" entschieden hatte und durfte seiner ersten Obduktion unter den strengen Augen von Marvin und seinem Kollegen Paul durchführen. Marvin wandte sich an ihn. „Und Tom? Hast du das von der Rechtsmedizin erwartet?“ wollte er wissen. Der junge Mann zog die Schultern hoch. „Ja doch. War schon sehr interessant.“ gab er von sich. Marvin lächelte leicht. „Sehr gut. Ich muss sagen, und ich denke ich spreche da für mich und auch Paul, dass du sehr gute Arbeit geleistet hast.“ lobte er den jungen Mann, der sichtlich stolz darauf war. „Gut, dann haben wir unseren Feierabend wohl verdient. Paul, hast du noch Lust auf ein Feierabendbier?“ wollte Marvin wissen, doch sein Kollege lehnte ab. „Ich muss nach Hause, du weißt ja, dass es bei Caro jeden Moment soweit sein kann und dann will ich bei ihr sein.“ erklärte Paul und wandte sich zum Gehen, als die Eingangstür aufgestoßen wurde und zwei Männer einen Zinksarg hineintrugen. Traber sah die Männer fragend an. „Brandleiche. Nach einem Unfall im Fahrzeug verbrannt. Geschlecht unklar.“ kam im Telegrammstil von einen der Männer. Marvin sah zu Paul. „Das war es dann wohl. Du musst die Geburt von deiner Hundemeute verpassen oder aber verschieben.“ Paul stöhnte auf und zog sich wieder seinen Kittel an. Tom sah zu Marvin. „Kann ich dir nicht assistieren? Ich meine, Paul will sicher dabei sein und wenn ich er wäre, würde ich es auch machen.“ Marvin sah zu Paul. „Meinst du, er kann das schon?“ Paul zog die Schultern hoch. „Können ja, nur ob das dann auch vor Gericht zählt. Ich meine, noch ist er kein Rechtsmediziner.“ Marvin nickte. „Tja, dann musst du wohl doch ran.“ Paul sah zu Tom, der wiederum mit einem flehenden Blick erwiderte. „Aber andererseits wäre ich wirklich sehr froh, wenn ich Caro unterstützen kann. Du kennst mich doch, meine Dalmatiner sind mein Ein und Alles.“ Marvin stand auf. „Okay, auch wenn das nicht wirklich zulässig ist, werde ich es mit Tom machen. Gratuliere mein Junge, zwei Obduktionen an einem Tag für einen Studenten sind sehr selten.“Tom strahlte mit Paul um die Wette. „Machen wir uns ans Werk!“

    Ja, Kinder können grausam sein. Mobbing gehört leider zum Schul- und Berufsalltag. Und viele Mobbingopfer lassen es geschehen. Ich finde es gut, das Semir mit den Lehrern sprechen will, ob das was bringt, sei jetzt mal dahin gestellt. Warten wir mal ab, wie die Lehrer reagieren. Es gibt einige in dieser Branche, die die Augen vor solchen Dingen verschließen und dann behaupten, dass so etwas an dieser Schule nicht passiert.

    Alex sah Jenny nach, die von dem Sanitäter in den RTW gebracht und von dem Notarzt versorgt wurde. Er spürte Wut aufsteigen. Jenny hatte auf eine grausame Art und Weise ihren Dienstpartner verloren und nun sollte es auch mit Semir so sein? Dieter Bonrath starb bei einer Explosion und damals musste sie hilflos zusehen. Der Notarzt kam zu ihm. „Ihre Kollegin hat einen Nervenzusammenbruch. Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben und es wäre gut, wenn wir sie für ein oder zwei Tage in der Klinik behalten.“ erklärte der Arzt und Alex nickte leicht. Seine Atmung wurde heftiger und er spürte die Wut aufsteigen, als er dem abfahrenden RTW nachsah. Nur mühsam gelang es ihm, seine Fassung zurück zu gewinnen. Wieder sah er auf die Plane unter der die Leiche seines Freundes lag. Es konnte einfach nicht sein! Es durfte nicht sein! Nicht Semir! Nicht sein Freund! In seinem Kopf liefen Bilder ab. Bilder, wie er Semir kennengelernt hatte. Bilder, wie er mit ihm stritt, wie sie lachten, wie sie weinten. Und Bilder wo Semir ihm das Leben rettete. Noch einmal hockte er sich vor die Plane, die die menschlichen Überreste seines Freundes verdeckten. Die Tränen waren jetzt kaum aufzuhalten und plötzlich schrie er „NEIN!“ Er stand auf und ging hin und her. Dabei fuhr er sich mit den Händen durch die Haare und schob sie nach hinten. „Das ist nicht Semir! Das kann er nicht sein! Das darf nicht sein!“ Er atmete ein paar Mal tief durch und hockte sich wieder hin. Der Einsatzleiter kam zu ihm. „Herr Brandt, ich weiß, dass es nicht viel nützt aber, es muss nicht Ihr Kollege gewesen sein, der im Auto saß…“ Alex schüttelte den Kopf. „Er verleiht sein Auto nicht, aber dennoch kann ich nicht glauben, dass es mein Freund ist. Es darf einfach nicht sein.“ Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich die Tränen weg. Plötzlich wurden seine Gesichtszüge hart wie Stein und er wandte sich an Heiners, der zurückzuckte. Im Blick von Alex waren deutlich die Wut zu sehen. „Herr Brandt, …ähm … Alex, Ihr solltet die Obduktion abwarten und dann wisst ihr es genau. Versuchen Sie sich zu beruhigen.“ schlug Heiners vor und Alex lachte höhnisch und gleichzeitig verzweifelt auf. „Ich soll mich beruhigen? Kapieren Sie das eigentlich nicht? Das hier soll mein Freund sein! Mein Partner! Ich kann mich nicht beruhigen!“ schrie er wütend. Doch so schnell die Wut aufgetaucht war, verschwand sie auch wieder und er hatte sich in der Gewalt. Wieder wandte sich Alex der Plane zu, hockte sich hin und legte seine Hand auf die Leiche. „Ich verspreche dir …“ seine Stimme erstickte und er holte tief Luft. „Ich verspreche dir, dass ich herausfinden werde, was passiert ist, wer auch immer du bist oder warst.“ schwor er und in der Stimme lag Entschlossenheit.

    Gegen 13 Uhr betrat Kim Krüger das Büro und sah Susanne an. „Guten Morgen. Gibt es etwas Neues?“ wollte sie von ihrer Sekretärin wissen. „Ja, wir haben einen ausgebrannten Wagen mit Leiche an der B9, Worringer Bruch. Semir ist nicht zur Arbeit erschienen und auch nicht zu erreichen. Jenny und Alex sind zum Unfallort“ berichtete diese. Kim sah sie nachdenklich an. „Haben Sie versucht Gerkhan zu erreichen? Was ist mit der Ortung?“ Susanne schüttelte den Kopf. „Er ist nicht zu orten und weder über Funk noch über Handy zu erreichen. Von Andrea wissen wir, dass er sich am Flughafen mit einem Informanten treffen wollte. Allerdings war das heute Morgen um 6 Uhr. Seitdem fehlt jede Spur. Andrea nannte und in diesem Zusammenhang zwei Namen. Einmal Sam und Angelface. Ich habe herausgefunden, dass Angelface ein Waffendealer war, der bei einer Verfolgungsjagd ums Leben gekommen ist und eigentlich Rolf Wagner hieß.“ Kim Krüger wollte gerade zur Antwort ansetzten als ihr Handy klingelte. „Krüger!“ meldete sie sich. „Ich bin es, Frau Krüger. Ich bin auf dem Parkplatz wo der brennende Wagen gesichtet wurde. Es ist der Wagen von Semir.“ hörte sie Alexander Brandt sagen und wurde blass. Sie spürte wie ihre Beine weich wurden und setzte sich auf einen der Stühle vor Susannes Schreibtisch. „Bitte was?“ hakte sie etwas ungläubig nach und hörte wie der Polizist tief durchatmete. „Der Wagen gehört Semir. Aber das ist noch nicht alles. In dem Wagen wurde eine Leiche gefunden. Wir müssen derzeit davon ausgehen, dass es Semir ist.“ erklärte Alex Brandt weiter. Man hörte deutlich wie schwer es ihm über die Lippen kam. „Oh mein Gott!“ stieß Kim Krüger aus und sie sah ihre Sekretärin an, die ihr einen fragenden Blick zuwarf. Dann legte sie ihr Handy auf den Tisch und stellte den Lautsprecher an. „Wie sicher ist es?“ „Die Leiche ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Man sieht, dass der Tote ein Armband und eine Kette trägt. Genau wie Semir. Es könnte jeder sein, aber eben auch er.“ Sie sah kurz zu Susanne, die völlig entsetzt und kreidebleich am Schreibtisch saß. Tränen liefen ihr über das Gesicht. „Brandt, Sie werden die Leiche umgehend zur Obduktion bringen lassen! Wenn ich mich nicht irre, hat Marvin Traber Dienst. Erklären Sie ihm die Sache und dann wird er als Freund von Gerkhan die Obduktion vorziehen. Der Wagen kommt sofort in die KTU und hier geben Sie Freund auf, den Wagen umgehend zu untersuchen! Alles in dieser Sache hat Priorität! Sie werden zur PAST zurückkommen und dann besprechen wir das weitere Vorgehen!“ legte Kim Krüger fest. „Verstanden. Jenny wurde ins Krankenhaus gebracht, Nervenzusammenbruch. Sie ist fertig.“ antwortete Alex. „Verstanden.“ Kim beendete das Gespräch und sah Susanne an. „Susanne, noch ist es nicht sicher, dass es wirklich Gerkhan ist. Bitte behalten Sie die Informationen zunächst für sich. Wenn wir die Gewissheit haben, dann werde ich es Andrea und den Kindern sagen.“ Susanne schluchzte und nickte. „Und wie wollen Sie sein Verschwinden erklären?“ Sie sah die Dienststellenleiterin mit tränengefüllten Augen an, doch Kim wusste keine Antwort.

    Lukas Roller verabschiedete sich nach einigen Überstunden von seinen Kollegen und fuhr über die A57 nach Hause. Er spürte die Müdigkeit in den Knochen und freute sich nach der Nachtschicht auf sein Bett, welches er leider allein belegte. Etwas nachdenklich fuhr er die Autobahn entlang und reihte sich nach guten 30 Minuten zur Ausfahrt ein. Jetzt musste er nur noch ein Stück Landstraße fahren und konnte sich auf ein langes Wochenende freuen. Heute war seine letzte Nachtschicht und das hieß, dass er morgen nicht zur Arbeit musste. Kurz vor dem Worringer Bruch, bemerkte er am Horizont eine dunkle Rauchsäule gen Himmel steigen und fuhr mit einem mulmigen Gefühl auf den kleinen Parkplatz. Dort angekommen, sah er einen silbernen BMW am Baum stehen. Der Wagen war von den Flammen bereits komplett eingenommen worden und er griff zum Handy um seine Kollegen der Berufsfeuerwehr zu informieren. Nachdem er den Notruf abgesetzt hatte, griff er seinen Feuerlöscher und unternahm einen Löschversuch, der allerdings kläglich scheiterte. Das Feuer war einfach zu groß und zu heiß für den kleinen Löscher. Lukas konnte nur zusehen, wie der Wagen ausbrannte. Er ging in einem gebührenden Abstand um das brennende Fahrzeug herum und bemerkte etwas, das ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Im Fahrzeug lehnte eine Person reglos über dem Lenkrad. Er kam nicht an das Fahrzeug heran, um die Person zu retten und war dazu verdammt, auf die Kollegen zu warten, von denen er das Martinshorn auch schon hörte. Kaum stand das Fahrzeug der Kollegen, sprang einer heraus und kam zu ihm. Lukas berichtete in einem ruhigen sachlichen Ton, was vorgefallen war und sofort starteten die Löscharbeiten. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Flammen erstickt waren und nachdem sich der Rauch verzogen hatte, holten die Kollegen die Leiche aus dem Fahrzeug. Man konnte nicht mehr erkennen, ob es ein Mann oder eine Frau war. „Hat jemand schon die Polizei informiert?“ wollte der Einsatzleiter wissen und Lukas nickte. „Ich habe sie direkt mit verständigt.“ Er sah auf das Etwas, das mal ein Mensch war. „Der arme Teufel. Ich hoffe inständig, dass die Person nicht mehr viel mitbekommen hat. Es gibt sicher keinen schlimmeren Tod, als bei lebendigem Leibe zu verbrennen.“ murmelte er. Der Einsatzleiter legte ihm die Hand auf die Schulter. „Glaub mir, der war schon tot, bevor die Flammen ihn erreicht haben. Die Gase haben ihn sicher schon vorher umgebracht.“ versuchte er ihn zu beruhigen.

    Das Telefon in der PAST klingelte. Susanne ging ran und meldete sich mit ihrem Standardtext. „Autobahnpolizei, König mein Name. Was kann ich für Sie tun?“ „Lukas Roller! Ich bin auf dem Parkplatz „Worringer Bruch“. Hier brennt ein PKW, die Feuerwehr habe ich bereits informiert. Ich habe einen Menschen im Wagen gesehen! Er verbrennt!“ hörte sie in einem ruhigen Ton. „Verstanden, wir schicken einen Wagen.“ gab Susanne von sich und legte auf. „Alex, Jenny, wir haben einen brennenden PKW auf dem Parkplatz „Worringer Bruch.“ sagte sie und schon kam Alex aus seinem Büro. „Okay, wir fahren hin!“ legte er fest und verschwand mit Jenny. Sie brauchten dank der Lichtsignale und dem Martinshorn nicht lange, bis sie den Parkplatz erreicht hatte. Die Feuerwehr war bereits mit dem Aufräumen beschäftigt und einer der Männer sah zu ihnen und winkte. Alex hielt den Wagen direkt bei ihm an. „Brandt, Kripo Autobahn. Das ist meine Kollegin Dorn. Was ist hier passiert?“ Er stieg mit Jenny aus. Der Mann überragte Alex um einen Kopf. „Heiners, ich bin der Einsatzleiter von der Brandwache 6 aus Köln. Herr Roller, ein Kollege der Flughafenfeuerwehr hat uns informiert, dass hier ein PKW brennt.“ Ein Mann, der neben Heiners stand sah zu Alex und nickte. „Ja, ich war gerade auf dem Weg nach Hause und sah dann die Rauchsäule aufsteigen. Bin dann direkt abgefahren und habe den BMW hier gefunden. Er stand in hellen Flammen. Als ich den Wagen zu löschen versuchte, fiel mir auf, dass eine Person noch im Wagen saß.“ Alex sah auf den ausgebrannten Wagen und bekam ein dumpfes Ziehen in der Magengegend. Er sah Jenny an und diese schien das gleiche zu denken. Gemeinsam gingen sie auf den Wagen zu. „Oh mein Gott!“ stieß Jenny aus, als sie das Kennzeichen sah und auch Alex schluckte schwer. Er wandte sich an Heiners. „Wo ist die Leiche?!“ fragte er. „Dort am Rand! Sie ist bereits abgedeckt, es ist kein schöner Anblick.“ erklärte er und wies auf eine weiße Plane, die über etwas lag. Alex und Jenny sahen sich an. Sie gingen auf das Etwas zu und hockten sich hin. Anhand der Konturen, die durch die Plane zu erkennen war, konnte man einen menschlichen verkrümmten Körper sehen. „Schau nach…“ bat Jenny und Alex bemerkte, dass sie sehr blass war. Er atmete tief durch und hob die Plane. Angewidert drehte er sich weg. „Tut mir leid, sieht nicht wirklich gut aus.“ warf Heiners ein. „Ja, schlimmer noch, der Wagen gehört meinem Partner und der ist heute nicht zum Dienst erschienen.“ gab Alex gepresst von sich und ließ die Plane wieder fallen. „Denkst du, dass es Semir ist?“ wollte Jenny mit heiserer Stimme wissen. „Ich kann es dir nicht sagen. Der Wagen gehört ihm und somit kann er es sein, aber ich hoffe nicht.“ erklärte er und sah zu Jenny hoch. „Sag mir, dass er es nicht ist. Bitte. Ich will es nicht noch einmal durchmachen.“ Jenny weinte immer mehr. Alex stand auf und nahm sie in den Arm. „Ich weiß, aber ich kann es dir nicht sagen.“ Seine Stimme versagte und auch er spürte Tränen aufsteigen. „Ich kann es dir nicht sagen… wir müssen die Obduktion abwarten. Erst dann haben wir Gewissheit. Wir müssen die Nerven behalten.“ erklärte er leise. Jenny stieß ihn heftig von sich weg. „Wir sollen die Nerven behalten? Da liegt vermutlich unser Kollege! Unser Freund und du sagst wir sollen die Nerven behalten? Alex, ich habe es schon einmal mitgemacht! Ich will das nicht noch einmal durchleben! Bitte, ich will das nicht noch einmal!“ Der ganze Körper der jungen Polizistin bebte. Alex sah sich um und winkte einen Sanitäter herbei, der sich sofort um Jenny kümmerte.

    Semir sah wie der angebliche Arzt eine Nierenschale mit diversen Kanülen befüllte und zu ihm kam. Er wollte sich losreißen, trat um sich, doch die Männer hielten ihn eisern fest. Sie zwangen ihn auf die Knie und legten die gefesselten Arme auf das Knie eines der Männer. Ohne ihm die Handschellen abzunehmen, zogen sie ihm die Arme gerade, damit der Arzt ihm das Blut entnehmen konnte. Auch jetzt gab Semir nicht auf und spannte die Muskeln an. Er band den Arm des Polizisten ab und stach nur wenig später mit einer feinen Nadel zu. „Muskeln lösen!“ fauchte er Semir an, doch der Polizist dachte nicht daran. „Ich komme so nicht rein! Verdammt!“ fauchte der Arzt und nun kam Wagner dazu. Er griff Semir an die verletzte Schulter und drückte zu. Der Hauptkommissar schrie auf und vor Schmerzen löste er seine Muskeln und spürte nur kurz darauf den Stich. Er sah auf die kleinen Gefäße, die sich mit seinem Lebenssaft füllten. Dann wurde ihm ein Tupfer auf die Einstichstelle gedrückt und ein Streifen von Leukoplast mit starkem Zug aufgedrückt. Wagner löste den Griff und nahm ihm nun das Armband und die Kette ab und steckte es ein. Nun kam auch der Mann mit dem Vorschlaghammer zurück. Wagner nahm ihn und grinste Gerkhan an. „Jetzt werde ich dir zeigen, wie die Identität eines Menschen gewechselt wird.“ meinte er und holte aus. Doch nun kam der Arzt dazwischen. „Hey, leg die Leiche lieber auf den Boden. Der Tisch bekommt sonst Beulen.“ forderte er und Wagner hielt inne. Wagner winkte zwei weitere Leute zu sich, die den geöffneten Körper auf den Boden legten. Semir sah auf den Leichnam seines Freundes und spürte eine emense Wut aufsteigen. Er musste sich zusammenreißen, denn im Augenblick war er wehrlos. Er wartete auf eine Gelegenheit, endlich zum Gegenschlag auszuholen. Er sah, wie Wagner den Vorschlaghammer anhob, ihn über den Kopf schwang und mit aller Kraft auf das Gesicht des Toten fallen ließ. „NEIN!! SIE VERDAMMTES SCHWEIN!!“ schrie Semir und versuchte sich loszureißen, doch die Männer hatten ihn fest im Griff. Nach zwei Schlägen, legte Wagner den Hammer zur Seite. „Okay, richte ihn so her, dass man ihm nicht sofort ansieht, was hier passiert ist!“ befahl er dem Arzt und dieser machte sich an die Arbeit. Der Hauptkommissar musste zusehen, wie man seinen toten Freund wieder etwas in Form brachte und als der Arzt fertig war, legte Wagner ihm die Kette und das Armband von Semir an. Die Männer, die Semir festhielten, zogen ihn nun wieder auf die Beine und lachten höhnisch. Er selbst stand da und rührte sich nicht. Jeder, der ihn nicht kannte, würde ihm nun keine Gegenwehr mehr zutrauen. Wagner kam grinsend wieder zu ihn und nun explodierte der Polizist. Er riss sich los und schlug Wagner mit den gefesselten Händen so heftig ins Gesicht, dass dieser geschockt zu Boden ging. Ehe die Männer von Wagner eingreifen konnten, warf sich Semir auf Wagner und ließ seiner Wut freien Lauf. Und selbst als sie ihn von Wagner runtergezogen hatten, trat Semir dem Verbrecher in die Seite. Der Waffendealer schrie auf und krümmte sich. „PACKT IHN!“ presste er mehr heraus und die Männer zogen Semir von ihm weg. Der Polizist wandte sich im Griff und wehrte sich so gut es ging, doch lange schaffte er es nicht gegen die Übermacht. Als Wagner sich wieder erholt hatte, hatten die Männer ihn fest im Griff. Wagner wischte sich das Blut von der Nase und baute sich vor Gerkhan auf. Er schnaubte wütend und schlug zu. Semir schrie auf und wollte sich krümmen, doch das ließ der Griff nicht zu. Nach wenigen Minuten ließ Wagner von seinem Opfer ab. Er sah grinsend auf Semir, der damit beschäftigt war, die Schmerzen zu bekämpfen. „Moppe wird seine letzte große Rolle haben. Er wird mit deinem BMW gegen einen Baum fahren. Er wird verbrennen. Und jetzt rate mal, was deine Kollegen denken werden?“ Er grinste breit und Semir konnte sich schon denken, was Wagner bezweckte. Jeder seiner Kollegen wusste, dass er niemals seinen Wagen verlieh und wenn Stefan nun als verbrannte Leiche auf dem Fahrersitz saß, dann würden alle denken, dass er es war. Semir schüttelte den Kopf. „Damit kommen Sie nicht durch.“ sagte er mehr zu sich selbst als zu Wagner. „Das wird klappen, glaub mir. Moppe hat nichts mehr drin, woran man ihn identifizieren könnte. Jeder Bulle wird um dich trauern. Zumindest deine engsten Kollegen. Sie werden sicher eine sehr rührende Rede halten, während Moppe in dein Grab fährt. Und deine Frau, wie auch deine Kinder, werden an der Trauer zerbrechen. Niemand wird mir auf die Schliche kommen. Das ist der perfekte Mord. Keiner wird nach dir suchen. Wir können uns alle Zeit der Welt nehmen, dich auszunehmen. Stück um Stück.“ grinste Wagner. Semir hielt seinem Blick stand und darin war deutlich in dem Blick zu lesen, was er von Wagner hielt. Wagner sah den Mann hinter dem Polizisten an und nickte. Im gleichen Moment bekam Semir einen Schlag in den Nacken und sackte mit einem Stöhnen bewusstlos zusammen.

    Susanne kam in das Büro von Alex, der sofort aufsah. „Hast du was gefunden?“ wollte er wissen und sie nickte. „Wie man es nimmt. Also über einen Sam habe ich nichts herausgefunden. Wohl aber über Angelface bzw. Rolf Wagner. Das ist oder besser war ein Waffenhändler, hinter dem Semir 2008 her war. Leider ist Wagner bei einer Verfolgungsjagd ums Leben gekommen. Semir und ein gewisser Stefan Andreas Moppe, haben dem Händler ein Geschäft in geschätztem Wert von knappen 3 Mio. Euro versaut. Während des Zugriffes floh Wagner alias Angelface und wurde von Semir und diesem Moppe über die Autobahn gejagt. Bei einer Baustelle verlor Wagner die Kontrolle über den Wagen und verursachte einen schweren Unfall. Der Wagen von Wagner fing Feuer und für ihn kam jede Hilfe zu spät.“ Alex hörte genau zu. „Dann könnte doch dieser Moppe helfen. Hast du da eine Anschrift?“ Susanne schüttelte den Kopf. „Nein. Ich habe zwar die Informationen, dass Moppe als Privatdetektiv gearbeitet hat, aber seit fünf Jahren fehlt jede Spur von ihm.“ Alex sah sie an. „Wirklich gar nichts? Auch nichts in der Akte von damals? Was ist mit Angelface oder Wagner? Gibt es da irgendeine Adresse, wo ich nachhaken kann?“ Susanne sah noch einmal auf die Notizen. „Leider nicht.“ Alex stöhnte leise auf. „Mist! Das hilft uns überhaupt nicht weiter. Hast du noch mal die Ortung versucht?“ Susanne senkte ihren Blick. „Ja, aber leider ohne jeden Erfolg. Der Wagen scheint samt Semir spurlos verschwunden zu sein.“ Alex lehnte sich nach hinten. „Okay, dann dürfte Semir in eine Falle geraten sein. Verdammt noch mal, wer ist dieser Sam? Susanne, du kennst Semir länger als ich. Weißt du, wo seine Informanten sind? Weißt du, wo ich da ansetzen kann?“ Susanne dachte kurz nach. „Nein, aber wo hast du denn deine Informanten?“ Alex zog die Schultern hoch. „Überall da, wo sie sinnvoll sind.“ Die Sekretärin nickte. „Ich denke, da hat Semir sie auch.“ Alex stand auf. „Du denkst, im Kreis von Türken?“ „Ja, zum Beispiel oder auch bei Drogensüchtigen, Obdachlosen oder im Rotlichtviertel. An Autobahnraststätten, Tankstellen. Ich weiß, dass Semir auch die ein oder andere am Strich in Longerich hatte, aber Sam deutete doch wohl eher auf einen Mann hin.“ Alex nickte nachdenklich. „Okay, dann zapfe ich auch meine Quellen an, vielleicht kennen die diesen Sam. Sag mal, warum hieß Wagner denn eigentlich Angelface?“ fragte er. Susanne zeigte ihm ein Bild. „Das ist das letzte Foto von Wagner. Er sieht aus wie ein Engel. Ich denke man das es deshalb zum Spitznamen gekommen ist.“ Alex sah sich das Bild an und nickte. „Stimmt, männlich ist anders. Danke Susanne.“ Die Sekretärin nickte, lächelte und ging zur Tür doch im Rahmen blieb sie stehen und sah ihn noch einmal an. „Alex, denkst du, dieser Informant hat ihn in die Falle gelockt?“ Alex zog die Schultern hoch. „Das ist gut möglich.“ Susanne senkte den Blick. „Ich hoffe, wir finden ihn, bevor er …“ Sie stockte doch Alex wusste auch so, was sie sagen wollte. „Das hoffe ich auch.“ gab er zu.