Ben kam gut aus seiner Startposition weg. Er war Zweiter nach Günther Haug, während die drei anderen Fahrer auf den hinteren Plätzen fuhren. Ben merkte, wie das Blut pulsierend durch seine Adern schoss und die Adrenalinausschüttung in hellwach werden ließ. Ja das war es-ein Gefühl wie ein Orgasmus-der Rausch der Geschwindigkeit, das Fühlen der Strecke und des Fahrzeugs mit jeder Faser seines Körpers. Er war eins mit der Rennmaschine, gab gefühlvoll Gas und versuchte zunächst einmal Dietmar, der ja direkt hinter ihm war, am Überholen zu hindern. Er suchte die Ideallinie, holte auf den Geraden das Letzte aus dem Motor heraus, um in letzter Sekunde, wie er es gelernt hatte, vor den Schikanen abzubremsen. Allerdings musste er voller Neid anerkennen, dass sowohl vor, als auch hinter ihm zwei Könner am Werk waren.
Günther blieb stur auf der Ideallinie. Ohne nur in irgendeiner Weise zu zögern, befuhr er mit traumwandlerischer Sicherheit den Kurs, wie Ben neidlos anerkennen musste. Man merkte die jahrzehntelange Rennerfahrung und wie er Ben einmal im Vertrauen erzählt hatte, waren sein Bruder und er in ihrer aktiven Zeit nur nicht erfolgreicher gewesen, weil sie eben einem dieser kleinen Privatteams angehört hatten, die nicht das Geld hatten, wie die großen Autohersteller, sondern ihre Fahrzeuge selber herrichten und tunen mussten. Anscheinend war Günther ein versierter Mechaniker, der das auch mal gelernt hatte und Dietmar hatte sich um die Elektronik gekümmert. Klar hatten sie kleinere Sponsoren gehabt, aber mit den Summen, die da ausgegeben wurden, hatten sie nicht mithalten können und waren so eben nicht in dem Maße erfolgreich gewesen, wie die Werksfahrer, die hinter sich Millionenkonzerne hatten. Deshalb waren sie damals gar nicht so unglücklich gewesen, als die deutsche Tourenwagenszene sich völlig verändert hatte und einige Jahre keine Meisterschaften mehr stattgefunden hatten. Sie hatten in dieser Zeit das Gelände gepachtet, die Kartbahn eröffnet und so ihr Auskommen gehabt. Jetzt sahen sie ihre Berufung in der Förderung junger Talente und nutzten ihre Beziehungen zur Szene, um den Leuten auch etwas zu bieten.
Ben hatte allerdings bei seinen durchaus stattgefundenen Recherchen herausgefunden, dass es bisher keiner ihrer Schützlinge geschafft hatte, den internationalen, oder auch nur regionalen Durchbruch zu schaffen, wobei Günther ihm mit Tränen in den Augen versichert hatte, dass der tödlich verunglückte Andreas Benko das Zeug dazu gehabt hätte und kurz vor der Entdeckung gestanden habe.
Nun musste sich Ben allerdings wieder am Riemen reißen, denn beinahe hätte er zu spät vor einer Kurve gebremst und das konnte übel ausgehen. Sie waren nun allerdings schon mehrere Runden unterwegs und Ben merkte langsam, wie anstrengend das eigentlich mental, wie auch körperlich war, denn Rennwagen auf Idealkurs zu halten. Heute Morgen hatte er noch gefröstelt und seine dicke Jacke angezogen, aber jetzt lief ihm unter seinem Rennanzug das Wasser vorne und hinten herunter. Er hatte nach dem Rennen sicher zwei Kilo weniger! Als er einen flüchtigen Blick in den Spiegel warf, war Dietmar noch immer dicht hinter ihm, während die beiden tunesischen Fahrer bereits mit einigem Abstand hinterherfuhren. Ben überlegte, dass die beiden Haug-Brüder diesen Kurs, der natürlich wesentlich kürzer war, als eine offizielle Rennstrecke, vermutlich gut kannten, denn ihr Umgang mit Brami, der in etwa in ihrem Alter war, war sehr vertraut gewesen. Die fuhren hier sicher nicht zum ersten Mal, umso stolzer war Ben, dass er sich eigentlich ganz gut schlug. Über den Helmfunk hatte Brami ihm seine Rundenzeiten mitgeteilt und die waren gar nicht so schlecht. Immerhin war er ja erst seit Kurzem im Geschäft und die Haug-Brüder waren eigentlich langjährige Profis. Aber Ben nahm nun seine ganze Konzentration zusammen-wenn er es heute schaffen würde, an Günther vorbeizukommen und dieses Rennen zu gewinnen, würde für ihn ein Traum in Erfüllung gehen!
Auf der nächsten langen Geraden versuchte er sich schon in die Ideallinie zum Überholmanöver zu bringen. Er beschleunigte sein Fahrzeug auf beinahe 300 Sachen und hatte die nächste Schikane für den Überholvorgang geplant. Er würde erst ganz kurz zuvor abbremsen und dann innen an Günther vorbeiziehen-das musste einfach klappen! Dietmar war dicht hinter ihm und trieb ihn sozusagen vor sich her-einen kurzen Augenblick schoss Ben durch den Kopf: Wie ein Jäger das Wild- aber dann ging er in der letzten Sekunde auf die Bremse-und es geschah-nichts!
Semir hatte im fernen Köln inzwischen schon die Hälfte des Wohnzimmers gestrichen. „Puh Schatz-jetzt machen wir mal Pause!“ sagte er aufseufzend, denn langsam ging das in die Knochen. Andrea holte kurz einen Döner beim Türken um die Ecke und Semir nutzte die Wartezeit und schaute im Internet nach, wie das Wetter in Cartagena in Südspanien war. „Trüb und Nieselregen!“ murmelte er. „Da hat Ben ja mal verdammtes Pech, da hätte er ja gleich zuhause bleiben können!“ dachte er noch, bevor er sich heißhungrig auf seine Mittagsmahlzeit stürzte, die Andrea inzwischen gebracht hatte.