An einem der folgenden Tage war Ben pünktlich um 20.00 Uhr zum Seminar, das außer ihm noch mehrere andere junge Männer besuchten. Frauen waren überhaupt keine vertreten. Ben hatte pünktlich Feierabend gemacht, war erst nach Hause zu Sarah und Tim und hatte sich um 19.30 Uhr nochmals verabschiedet, weil er eine Ermittlung führen müsse. Als er um 22.00 Uhr wieder heimkam, schwirrte sein Kopf vor lauter Flaggenkunde und Theorie, aber er musste anerkennen, dass Günther Haug das sehr gut erklärt hatte und er hatte auch etwas zum Lernen mit nach Hause gebracht und für den nächsten Abend gleich eine Stunde auf der Kartbahn gebucht. Ben vermied es Semir davon zu erzählen, auch der hatte so abfällig den Kopf geschüttelt, als er von seinem Rennfieber gehört hatte.
Beinahe jeden Abend fuhr er nun direkt nach der Arbeit konzentriert mit einem Kart, aber natürlich hielt er auch die Augen offen, um irgendwelche verdächtigen Beobachtungen zu machen. Genauso lief es in den kommenden Wochen auch ab und vor einem Wochenende musste man leider wegen eines Schlechtwettereinbruchs mit dem ersten Glatteis des Jahres alle Rennaktivitäten absagen, so dass Ben ein gemütliches Familienwochenende verbrachte, während er am nächsten wieder unterwegs war. Sarah hatte die etwas verlängerten Arbeitszeiten Ben´s mit einem Schulterzucken zur Kenntnis genommen. Tim schlief untertags noch lang und war abends meistens bis zehn wach, so dass Ben trotzdem noch genügend Zeit mit seinem Sohn verbrachte. Klar hatte Ben oft ein schlechtes Gewissen Sarah gegenüber, dass er sie eigentlich hinterging, aber er konnte ihr doch nicht plausibel machen, dass er als frisch gebackener Familienvater plötzlich Autorennen fahren wollte, dabei war das nur halb so gefährlich, wie immer alle dachten, wenn man die Sicherheitsvorschriften beachtete, die er jede Woche in den Seminaren lernte.
Dietmar Haug saß konzentriert in einer Elektrowerkstatt und baute den Helmfunk in Ben´s neuen Helm ein. Es sah fast aus, wie in Hartmut´s Reich und als Ben sich dort umblickte, bat ihn Dietmar mit einem Lächeln, doch Platz zu nehmen. Ben wunderte sich inzwischen, warum Semir bei den beiden Brüdern so ein ungutes Gefühl verspürt hatte, er fand die zwei ganz sympathisch und war sich fast sicher, dass die mit dem Tod von Benko gar nichts zu tun hatten. Da musste man bei den Ermittlungen vermutlich anderswo ansetzen-vielleicht hatten die Kredithaie, bei denen er Schulden hatte, ihm einen Schreck einjagen wollen, denn dass der Unfall gleich tödlich enden würde, hatte ja keiner ahnen können! Seitdem Ben sich öfter auf dem Gelände aufhielt, mit jedem ein freundliches Wort wechselte und auch sonst unheimlich darauf konzentriert war zu lernen, die Ideallinie zu finden und jeden Tipp, von denen die beiden Brüder eine Menge hatten, aufzusaugen, war er inzwischen in die Gemeinschaft der Rennfahrer aufgenommen. Da gab es richtige Männerfreundschaften, aber auf der Bahn fuhr jeder um den Sieg. In den Werkstätten waren Mechaniker am Werk, die eine milchkaffeefarbige Gesichtsfarbe hatten. Ben konnte nicht sagen, aus welchem Land die kamen und ehrlich gesagt konnte er die auch nicht auseinanderhalten. Es waren eine ganze Menge und Ben konnte sich die Gesichter nicht sonderlich gut merken. Als er sich vorsichtig in den Nebengebäuden umsah, entdeckte er dort eine Art Schlafsaal, eine Küche und eigene Sanitärräume-anscheinend wohnten die sogar zeitweise hier, aber die Karts waren gut gewartet und die groben Reparaturen an den Tourenwagen nahmen auch diese Männer vor, während für das Feintuning Günther und Dietmar zuständig waren.
Als Ben einmal bei wundervollem Herbstwetter an einem Werktag im späten November frei hatte und ihn sein Weg wie selbstverständlich zu der Kartbahn führte, weil Sarah mit Tim bei einer Freundin war, wurden gerade zwei Rennwagen aufgeladen und als Günther ihn sah, lud er ihn ein, doch mit zu einem neu angelegten Autobahnstück zu kommen, das noch nicht für den allgemeinen Verkehr freigegeben war. „Das ist zwar illegal was wir hier machen, aber du wirst uns schon nicht an die Autobahnpolizei verpetzen!“ sagte Dietmar lächelnd und Ben fuhr erst ein gehöriger Schreck in die Glieder. Hatten die rausgefunden, wo er arbeitete? Aber mit den nächsten Worten zerstreute Dietmar seine Bedenken. „Die Trainingsmöglichkeiten sind ja rar und wenn wir so schönes Wetter haben, müssen wir jede Gelegenheit im Umkreis ausnutzen. Das tut ja niemandem weh und du freust dich auch, wenn du zu deinem nächsten Rennen ein fein abgestimmtes Fahrzeug unterm Hintern hast!“ erklärte er. Man hatte schnell Ben´s Rennausrüstung eingepackt und als der Autotransporter unauffällig hinter der kurz beiseite geräumten Absperrung verschwand und die Auto´s abgeladen wurden, hatte er einen Moment ein schlechtes Gewissen, dass er das zuließ, aber das verging sehr schnell, als er nun die beiden Fahrzeuge nacheinender ausfahren durfte, das Kurvenverhalten testen und jedes Mal entweder Günther oder Dietmar mechanisch und auch elektronisch an der Abstimmung feilten. Über den Helmfunk war er mit den beiden verbunden und kam sich vor, wie ein Profi. Zum Schluss liefen die beiden Wagen wie ein Glöckchen und als Highlight fuhr er nun ein Rennen gegen Günther Haug. Obwohl die Fahrzeuge gleichwertig waren, Ben sich alle Mühe gab und das Rennfieber wieder von ihm Besitz ergriffen hatte, gelang es ihm nicht den zu schlagen-da war wirklich ein Meister seines Fachs am Werk!
Ben hatte natürlich im Internet recherchiert und tatsächlich waren die beiden Brüder, bevor die Deutsche Tourenwagen Meisterschaft Anfang der Neunziger damals abgeschafft worden war, aufgehende Sterne am Rennfahrerhimmel gewesen. Heute gab es ja wieder eine DTM-nur stand das M hintendran jetzt für Masters und Privatteams hatten wegen der immensen Kosten keine Chance mehr. Heute waren das Duelle der Autohersteller gegeneinander, während früher das fahrerische Können im Vordergrund gestanden hatte und auch kleine Teams zum Zug kamen. Allerdings war das tatsächlich eine eigene Szene mit eigenen Regeln und je mehr Ben da hinein schnupperte, desto mehr Gefallen fand er daran. Wenn er an seiner Kurventechnik feilte, an seine-und die Grenzen des Fahrzeugs- ging, dann war er glücklich! Der Geruch nach verbranntem Gummi war viel besser in seiner Nase als jedes Parfum und er merkte, wie er das Gelernte auch im Alltag begann umzusetzen! Als er letzthin mit Semir auf dem Beifahrersitz einen flüchtigen Verkehrsrowdie verfolgt hatte, war es ihm nur durch seine inzwischen ausgefeilte Rennroutine gelungen an dem dran zu bleiben und ihn letztendlich zu überholen und auszubremsen und Semir hatte nur bewundernd gesagt: „Whow-das war jetzt richtig gut!“ und Ben hatte daraufhin geschmeichelt gelächelt.