Als er in der Klinik ankam,ging er zuerst besorgt zu
Andrea.Sie lag in einem gemütlichen Zweibettzimmer mit einer netten
Mitpatientin,die die gleichen Probleme hatte.Inzwischen hatte sich alles wieder
beruhigt und Andrea schickte Semir,nachdem er ihren Schrank eingeräumt
hatte,zurück zu Ben.Sie verstand,dass er vorher keine Ruhe hatte und schalt
sich selber,wegen ihrer schwachen Nerven.
Semir ging eilig zur Intensivstation.Davor sassen schon
Konrad,Bens Vater,und seine Schwester Julia.“Hallo Semir,wir sollen noch kurz
warten-es wird gerade irgendein Eingriff bei Ben gemacht“,sagte Konrad
sorgenvoll.Nun erzählte Semir erst genau,wie die Rettungsaktion abgelaufen
war,mit dem Erfolg,dass sich die beiden noch mehr Sorgen machten
Nach einiger Zeit wurden sie durch die Rufanlage
angesprochen:“Die Angehörigen von Herrn Jäger können hereinkommen.“Semir zeigte
den beiden anderen,wie sie in der Schleuse ihre Hände desinfizieren mussten.Als
sie gemeinsam an Bens Bett traten,sah es
schon nicht mehr ganz so schlimm aus,da die Decke bis zur Brust hochgezogen war
und er leicht auf der Seite lag.
Nach kurzer Zeit kam ein Arzt.Er stellte sich vor“Ich bin
Dr. Fleming und behandle Herrn Jäger hier auf der Intensivstation.Wer sind
sie?“Konrad stellte sie alle vor.Zu Semir gewandt,sagte er:“Das ist der beste
Freund meines Sohnes,auch er darf Auskunft über den Gesundheitszustand
bekommen.“Dr.Fleming nickte.“Ich werde ihnen nun erläutern,welche Verletzungen
Herr Jäger bei seinem Unfall erlitten hat und wie wir sie behandeln:Bei seinem
Sturz vom Pferd vermuten wir,dass er ein sogenanntes Überrolltrauma erlitten
hat,also das Pferd wohl auf ihn gefallen ist.Er hat dabei eine
Symphysensprengung erlitten,das heisst,dass das Schambein vorne
auseinandergebrochen ist.Das ganze Becken wird dadurch instabil und scharfe
Knochensplitter haben den Darm und die Blase verletzt.Gott sei Dank wurden
keine grossen Blutgefässe beschädigt,sonst wäre er sehr schnell verblutet.Dabei
ist Darminhalt in die Bauchhöhle ausgetreten und hat,da dieser ja hoch mit Keimen
belastet ist,zu einer schweren Peritonitis,das ist eine
Bauchfellentzündung,geführt.
Wir mussten eine Sigmaresektion vornehmen,das heisst,einen
Teil des Dickdarms entfernen-das beeinträchtigt später aber überhaupt nicht.Die
Harnblase konnten wir übernähen,der Urin wird jetzt eine Zeit über ein
Schläuchlein,einen sogenanntenPufi,über die Bauchdecke abgeleitet.Auch das heilt normalerweise gut aus.Die
Beckenfraktur haben wir von innen mit mehreren Platten und Schrauben
fixiert,genauso wie die offene Oberschenkelfraktur.Inwieweit das folgenlos
ausheilt,müssen wir abwarten.Das grosse Problem ist diese-wie wir
sagen-Vierquadrantenperitonitis,weil der komplette Bauchraum betroffen ist.Wir
haben alles gespült und vier sogenannte Easyflowdrainagen eingelegt,die
Wundsekret nach aussen ableiten.Nachdem es keinen Sinn macht,den Bauch zu
verschliessen,haben wir uns für eine sogenannte offene Bauchbehandlung
entschieden.Es kommt durch die massive Eiterung nämlich zu einer Schwellung des
Darms und das Wundgebiet muss jeden Tag komplett im OP gesäubert werden.Das
bedeutet für Herrn Jäger,dass wir nur das Bauchfell locker verschlossen
haben,den Rest aber offen gelassen und nur mit Folie abgeklebt.Es sieht zwar
furchtbar aus,Herr Jäger bekommt davon aber nichts mit.Er wird nämlich
solange,bis der Bauch wieder zu ist,weiter sediert und beatmet.
Leider hat diese massive Eiterung zu einer Sepsis-einer
Blutvergiftung-geführt.Das ist die eigentliche Komplikation an der Sache.Die
meisten Patienten,die auf Intensivstationen versterben,haben eine Sepsis als
Ursache.Der Körper kann dabei Flüssigkeit nicht mehr in der Zelle halten,da eine spezielle Zellmembran durch die
Entzündung undicht wird.Die Patienten verdursten also sozusagen innerlich.Dadurch
kann der Körper keinen Blutdruck mehr selbstständig aufrechterhalten und das
führt unbehandelt zum Tod.Herr Jäger bekommt daher massiv Infusionen,er hat
z.B. heute schon über zehn Liter erhalten und sein Kreislauf wird mit
sogenannten Katecholaminen,in seinem Fall Noradrenalin,gestützt.Auch erhält er
hochdosiert mehrere Antibiotika gegen die Entzündung intravenös.“
Konrad sah den Arzt unsicher an.“Und wie stehen seine
Chancen,all das zu überleben?“Der Arzt dachte nach.“Ich würde sagen
50/50.“Julia brach in Tränen aus.Der Doktor verabschiedete sich.
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