Der Zustand des kleinen Joseph hatte sich ein bisschen stabilisiert. Er hatte zwar kaum Appetit, aber er begann dennoch wieder ein wenig zu essen und als er zwei Tage ohne Infusion war, teilte der behandelnde Arzt seiner Mutter kurz angebunden mit, dass er entlassen werden könne. „Herr Doktor, was war es denn jetzt und ist er auch wirklich wieder gesund?“, fragte die junge Mutter, aber der Arzt zuckte die Schultern. „In diesem Alter haben Kinder gerne mal Virusinfekte, die auch das Blutbild durcheinander bringen können. Aber wie sie sehen - wir haben ihn gut behandelt, mehr können wir nicht für ihn tun“, teilte er kurz angebunden mit und eilte zum nächsten Patienten. Die junge Frau roch eine Alkoholfahne als er nach draußen hastete, aber dennoch war sie froh, dass sie beide nach Hause durften. Auch ihr Bruder hatte die letzten Tage das Gespräch mit dem Arzt gesucht, der ihn aber sehr herablassend behandelt und ihm vorgeworfen hatte, einen kleinen Infekt bei einem Kleinkind zu überdramatisieren. Gut sie waren ja alle medizinische Laien und als sie im Internet nachgelesen hatten wie viele Virusinfekte es gab und da auch einige Symptome passten, waren sie zufrieden.
Jake holte sie mit seinem Geländewagen ab, aber kurz bevor sie die Station verließen, kam die junge freundliche Schwester noch zu ihnen. Sie blickte sich vorsichtig um, ob der Arzt oder die Stationsschwester nicht in der Nähe waren. „Bitte beobachten sie ihren Sohn und Neffen genau, freilich geht es ihm aktuell besser, aber ich bin mir nicht so sicher, ob das wirklich nur ein Virusinfekt war!“, flüsterte sie ihnen zu, aber da ertönte schon eine barsche Stimme, die sie rief und mit einem unglücklichen Blick zurück, eilte sie zu ihrer Chefin. Sobald sie es sich leisten konnte von zu Hause aus zu ziehen, würde sie von hier verschwinden, sie hatte nämlich nicht das Gefühl, dass gerade Kinder in dieser Klinik suffizient behandelt wurden und das Betriebsklima war unterirdisch. Als sie allerdings Jake angesehen hatte, war ihr warm ums Herz geworden, was für ein Traummann, aber der war sicher schon vergeben, vermutete sie bedauernd, als sie um die Ecke bog.
Auch Jake warf einen sehnsüchtigen Blick zurück, jetzt hatte er gar keine Möglichkeit mehr, jeden Tag die hübsche junge Frau zu sehen und ein paar Worte mit ihr zu wechseln. In den wenigen vergangenen Tagen hatten sie schon ihre gemeinsame Liebe zu Pferden entdeckt und nachdem er klar gestellt hatte, dass er nur der Onkel und nicht der Vater des kleinen Patienten war, hatte er immer das Gefühl gehabt die engagierte Schwester fände ihn auch nicht ganz unsympathisch, aber jetzt musste er erst mal seine Familie nach Hause bringen.
Als er am nächsten Tag mit einer Tafel Schokolade auf die Station ging, um sich bei der jungen Frau zu bedanken und vielleicht ihre Telefonnummer zu kriegen, riss die ältere Stationsschwester ihm die Tafel regelrecht aus der Hand und schnauzte ihn an, als er sich nach der Pflegerin erkundigte. „Lassen sie gefälligst meine Schwestern zufrieden, hier wird gearbeitet und nicht geflirtet, außerdem ist sie bereits in festen Händen!“, gab sie ihm zornig zu verstehen und traurig und mit gesenktem Kopf verließ er das Krankenhaus. Was er nicht wusste - als die junge Schwester nach ihrer Ausbildung in Hermannstadt angefangen hatte hier in ihrem Heimatort zu arbeiten, war sie verlobt gewesen und sie hatte mit ihrem Partner auch begonnen zu bauen, aber die Beziehung war in die Brüche gegangen als sie gemerkt hatte, dass ihr Verlobter sie nach Strich und Faden mit anderen Frauen betrog. Sie hatte stumm gelitten, aber einen Teufel getan der alten Schrapnelle, wie sie ihre Chefin innerlich nannte, davon zu erzählen, je weniger die über ihr Privatleben wusste, desto besser!
Der Tierarzt und sein Gehilfe hatten sich den Sommer über in der Hütte gut eingerichtet. Der vormalige Pferdehändler genoss die Freiheit und streifte jeden Tag jagend durch die Wälder. Es war klar, dass die Zeit für sie arbeitete, wenn der Fahndungsdruck kleiner wurde, würden sie es auch wagen, wieder nach Deutschland ein zu reisen. Falsche Papiere und eine neue Identität waren hier leichter zu bekommen als anderswo und der Tierarzt hatte genügend Geld gebunkert, damit sie gut leben konnten. Nur sein Arm wollte und wollte nicht heilen, er futterte immer noch Antibiotika und hatte jetzt schon so ziemlich alle Wirkstoffgruppen durch. Er war auch schwach, hatte Schmerzen und litt immer wieder unter Fieberschüben, aber wenn er sich dann seine Drogen rein pfiff, vergaß er sein Befinden und dämmerte glücklich vor sich hin. Dass die Finger bereits eine unnatürliche Farbe hatten und dabei waren ab zu sterben, ignorierte er und wickelte lieber einen Verband drum.
Bei Semir und Ben ging die Genesung in Riesenschritten voran. Sie telefonierten fast jeden Tag miteinander, jeder bemühte sich, bei der Physiotherapie sein Bestes zu geben und die Schmerzen wurden jeden Tag weniger. Gute zwei Monate waren seit dem Unfall vergangen, die Blutergüsse waren verheilt, die Funktion von Semir´s Händen war zufriedenstellend und Ben durfte zwar noch nicht komplett belasten, aber immerhin Radfahren war schon wieder erlaubt.
Die Hengstchen waren inzwischen kastriert und auch fast wieder genesen und der Bau des neuen Bewegungsstalls mit automatischer Fütterung stand fast vor der Fertigstellung. Zuerst die Arbeiter der Jäger´schen Baufirma und dann eine andere Firma, die tolle Offenstallkonzepte anbot, sorgten für ein Pferdeparadies vor ihrer Haustüre. „Wenn dann machen wir es gleich gescheit und denken auch daran, dass wir später auch noch zumindest ein größeres Pferd halten wollen – für mich nämlich. Ich denke du hast mit den Pferden abgeschlossen nach deinen Erlebnissen, aber du weißt ja für mich geht dann ein Herzenswunsch in Erfüllung, aber das eilt noch nicht“, hatte Sarah ihm mit geteilt und Ben vermerkte im Hinterkopf, dass das nächste Geburtstagsgeschenk hiermit fest stand.
Er radelte inzwischen schon viele Kilometer und als er zufällig durchs Dorf fuhr und an dem Stall und damit auch bei Lucky´s Freundin vorbei kam, trat die Besitzerin der Hündin gerade aus dem Grundstück. „Wie schön dass es ihnen wieder gut geht, wir haben schon gehört dass sie vor zweieinhalb Monaten schwer verletzt wurden und ihr Hund auch, schön dass alle wieder genesen sind. Ich war ja gleich danach mit Alba beim Decken und stellen sie sich vor, letzte Woche hat sie sechs wunderschöne Welpen geworfen. Nur eines ist merkwürdig, einer davon, ein kleiner Rüde, hat eine weiße Schwanzspitze wie ihr Lucky, etwas was nach den Rassekriterien nicht erlaubt ist und auch unerklärlich, bei beiden Elterntieren sind keine Farbmutationen seit Generationen bekannt. Aber egal, wir lieben trotzdem alle Welpen und dann bekommt er halt vielleicht nur keine Papiere“, erzählte die Frau und dann musste sie Ben´s bittenden Blick bemerkt haben. „Wollen sie die Kleinen anschauen?“, fragte sie und Ben nickte wortlos. Er humpelte zwar noch und belastete das Bein wie der Arzt angeordnet hatte, nicht komplett, was normalerweise mit Krücken gut funktionierte. „Viel Besuch, gerade mit Kindern wäre für Alba und ihre Babys sicher noch zu aufregend, aber sie ist eine sehr gute Mutter und völlig entspannt, hin und wieder machen wir schon eine Ausnahme, es ist ja für uns auch ganz neu und ganz toll, ich bin sehr stolz, dass es so geklappt hat“, erzählte die Frau und sperrte die Haustüre auf. Gleich rechts neben der Türe war ein schönes Zimmer mit einer großen, weich gepolsterten Wurfbox ausgestattet und da lag die große Hündin flach auf der Seite und sechs kleine graue Wesen, die im Moment fast eher Ratten als Hunden ähnelten und die Augen noch geschlossen hatten, waren gerade dabei sich an der Milchbar zu bedienen. Sie schmatzten und bearbeiteten das Gesäuge mit ihren kleinen Pfoten, die kleinen Bäuchlein dick und rund und als sie fertig waren, kugelten und robbten sie durcheinander, laufen konnten sie ja noch nicht, während ihre Mutter ihnen die Bäuchlein ableckte und was hinten raus kam, sofort auffraß. „Ben hockte entzückt und völlig fasziniert auf dem stabilen Rand der Wurfkiste, er hatte noch nie so junge Welpen gesehen. Als die Besitzerin ihm vorsichtig den noch blinden kleinen Kerl mit der weißen Schwanzspitze auf den Schoß gab, streichelte er entzückt das weiche warme Fell und drückte den Kleinen an sich, der sofort seine Körperwärme suchte und zufrieden in seiner Armbeuge Platz nahm. „Mein Gott ist der süß!“, brachte er gerührt hervor und es tat nicht einmal seiner Begeisterung Abbruch als es kurz danach in seiner Armbeuge und auf seiner Hose nass wurde. „Oh Gott, jetzt hat er sie angepinkelt“, rief die Frau erschrocken, aber Ben lächelte nur. „Das macht nichts, ich habe Kinder, was glauben sie, wie oft ich mich wegen denen schon umziehen musste“, erzählte er und konnte sich fast nicht mehr trennen. Äh - wann werden die Kleinen denn abgegeben und haben sie schon Käufer?“, fragte er und die Frau lächelte. „In etwa zehn Wochen, die Mädchen sind schon alle vorgemerkt, nur einer der Rüden, dieser und sein Bruder, sind noch zu haben!“, teilte sie ihm mit und Ben konnte nicht anders - er musste den kleinen Kerl mit der weißen Schwanzspitze einfach reservieren. Oh je – was würde Sarah wohl dazu sagen. Immerhin dachte er daran sein Handy zu zücken und eine Menge Fotos zu machen.