Als Sarah vor der Klinik aus dem Wagen stieg, erspähte sie Jenni, die sie vor dem Haupteingang erwartete. Gerade hatten sie noch telefoniert, dank Freisprechanlage in der heutigen Zeit kein Problem mehr. „So ganz genau habe ich natürlich keine Auskunft gekriegt, aber sie haben gesagt, Ben wäre jetzt erstversorgt und kommt auf die chirurgische Intensivstation. Von Operation hat jedenfalls keiner geredet und er war auch nicht an ein Beatmungsgerät angeschlossen, als ich ihn gesehen habe“, hatte die junge Polizistin berichtet und diese Information trug gleich ein wenig zu Sarah´s Beruhigung bei. So machte sie sich gemeinsam mit der Kollegin und Freundin auf den Weg nach oben und erfuhr, dass ihr Mann gerade auf die Station gebracht worden war, auf der sie immer wieder als Aushilfe einsprang, wenn die Personalnot hatten.
Das war natürlich super, denn so kannte sie dort die Kollegen und Ärzte und während Jenni in der Besucherecke Platz nahm, durfte Sarah gleich hineinkommen und sah dort auf dem Rücken in einem warmen Intensivbett mit einer Extension am Bein ihren Mann liegen, der zwar blass und erschöpft wirkte, aber wie Jenni bereits gesagt hatte, nicht beatmet war. Er befand sich in einem Zweibettzimmer, aber das andere Bett war gerade nicht im Zimmer, vermutlich befand sich der Patient, oder die Patientin bei einer Untersuchung oder einem Eingriff. Gut momentan war das in Ordnung, denn auf der Intensivstation gab es keine Privatzimmer, sondern Einzelzimmer wurden nach Krankheitsbildern und Infektionslage belegt, aber Sarah war sich sicher, sobald ein Einzelzimmer frei wurde, konnte Ben dorthin umziehen.
Der Stationsarzt, der Ben übernommen hatte, sie gut kannte und jetzt gleich die Kurve am PC schreiben würde, berichtete ihr nur in Stichpunkten was er bei der Übergabe von der Notaufnahme erfahren hatte. „Dein Mann ist bei uns zur Überwachung, man hat im CT und beim Ultraschall keine dermaßen imponierende Verletzung gesehen, dass er sofort operiert werden müsste. Er hat eine Oberschenkelfraktur die jetzt erst einmal mit einer Extension versorgt wurde, da sie wohl eingestaucht war. Das muss man freilich die Tage mal operieren, aber auch da will der Unfallchirurg erst noch abwarten. Er war uns als stumpfes Bauchtrauma angekündigt und hat auch überall Blutergüsse, innen wie außen, aber im Augenblick geht man davon aus, dass keine schwerwiegenden Organverletzungen vorliegen und wird das engmaschig kontrollieren. Alle zwei Stunden eine Ultraschalluntersuchung und in sechs Stunden ist ein erneutes CT angemeldet. Dazu natürlich regelmäßige Laborkontrollen nach Standard. Was er mit Sicherheit hat ist eine Leberprellung, die natürlich sehr schmerzt, zwei gebrochene Rippen, aber keinen Pneumothorax und wir überwachen ihn jetzt engmaschig und reagieren, falls sich was ändert. Du darfst gerne zu ihm, ich weiß wie man sich fühlt, wenn der Mensch den man liebt auf der eigenen Station liegt, aber er ist hier gut versorgt!“, spielte der Arzt darauf an, dass seine Frau erst letztes Jahr nach einem Verkehrsunfall auf Leben und Tod hier betreut worden war, unter anderem auch von Sarah.
„Ich danke dir und bitte sagt mir wenn ich stören sollte, ich gehe dann natürlich raus“, erwiderte Sarah und trat dann an das Bett ihres Mannes, beugte sich liebevoll über ihn und küsste ihn auf die Stirn, denn die Sauerstoffbrille in seiner Nase und die ganzen Kabel verhinderten einen Kuss auf den Mund. „Hallo Schatz, ich bin wieder da, wie geht es dir?“, fragte sie liebevoll und Ben, dem man die Erschöpfung ansah und der gerade ein wenig eingenickt war, machte die Augen einen kleinen Spalt auf.
„Was ist mit Lucky?“, lautete seine erste bange Frage und Sarah zog sich jetzt einen Stuhl heran und berichtete: „Er ist in der Tierklinik wo auch unsere Ponys sind und wird gerade am Kopf operiert. Er hat ein sogenanntes Subduralhämatom, also einen Bluterguss zwischen der Hirnhaut und dem Schädelknochen, der abgesaugt oder drainiert wird. Ansonsten hat er überall am ganzen Körper Blutergüsse, aber keine weiteren lebensbedrohlichen Verletzungen. Ich hoffe dass er das übersteht und danach auch wieder aufwacht, das ist wie bei Verletzungen am Gehirn bei Menschen, man kann nie genau vorher sagen, wie der Verlauf ist und muss einfach abwarten, aber er ist in der Klinik in guten Händen, der behandelnde Tierarzt ist sehr sympathisch und wirkte kompetent“, berichtete sie und Ben nickte jetzt, um dann selber die Augen wieder zu schließen und sich seiner Müdigkeit hin zu geben. Sarah hatte ihre Hand beruhigend auf seinem Arm abgelegt und so konnte er sich, eingehüllt von starken Schmerzmedikamenten, ein wenig ausruhen, bis die nächste Untersuchung anstand.
Sarah stand nach einiger Zeit leise auf und ging nach draußen zu Jenni, die immer noch voller Sorge in der Besucherecke saß. Sie berichtete ihr von Ben´s Verletzungen und dass jetzt einfach Abwarten angesagt war. Der Blick aufs Handy verriet Sarah, dass niemand versucht hatte sie anzurufen, durch die dicken Betonmauern war die Handyverbindung innerhalb der Intensivstation nämlich schlecht bis gar nicht möglich. Wie es Lucky wohl ging?
Sarah begleitete Jenni bis zum Parkplatz, trug ihr auf in der Dienststelle Bescheid zu sagen und rief dann noch Hildegard an, um sie auf dem Laufenden zu halten. Die ältere Frau hatte schon voller Sorge und Bangen auf eine Nachricht gewartet, nebenbei aber versucht, sich das vor den Kindern nicht all zu sehr anmerken zu lassen. „Sag den beiden ich komme später nach Hause, ich habe nicht vor, hier in der Klinik zu bleiben, ich weiß Ben ja gut versorgt bei meinen Kollegen. Aber ein wenig möchte ich trotzdem noch abwarten und einfach bei ihm sein. Außerdem will er auch wissen, wie Lucky die Operation übersteht, ich halte dich ebenfalls auf dem Laufenden“, besprach sie mit ihrer Vertrauten, die Ben die besten Genesungswünsche ausrichten ließ.
So saß Sarah, nachdem sie noch den üblichen Papierkram der Aufnahme erledigt hatte, wieder am Bett ihres Mannes und nachdem die Vitalparameter stabil blieben und auch die engmaschigen Kontrollen des Hämoglobinwerts am Blutgasgerät keinen erneuten Blutverlust erwarten ließen, konnte sie sich langsam ein wenig entspannen.
Wie angekündigt wurde nach zwei Stunden der nächste Ultraschall gemacht und obwohl Ben zuvor eine erneute Dosis Opiat erhalten hatte, stöhnte er laut und die Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er biss sich so auf die Lippen, dass die ein bisschen blutig waren und krallte sich verzweifelt an ihrer Hand fest, die danach fast taub war. „Hier im Leberbett ist eine kleine Flüssigkeitsansammlung zu sehen, das könnte Blut sein und im Retroperitoneum sehe ich auch eine nicht unerhebliche Verschattung. Auch das könnte Blut sein, aber genauso auch Gewebsflüssigkeit, die wegen der Quetschungen flächig austritt. Wir beobachten das weiter, aber solange der Hb und die Kreislaufparameter so stabil sind, warten wir einfach ab, Herr Jäger. Sagen sie sofort Bescheid wenn sie, ohne dass ich manipuliere, unerträgliche Schmerzen bekommen oder etwas anderes auftritt, was ihnen Angst macht. Ich lasse sie jetzt wieder in Ruhe, in zwei Stunden kontrollieren wir das erneut“, sagte der Arzt und Ben nickte zwar, wünschte sich aber, dass der die Untersuchung vielleicht einfach vergessen könnte, die Schmerzen dabei waren wirklich schlimm.
Gemeinsam mit Sarah zog seine betreuende Schwester dann die Betteinlage glatt, man befeuchtete seinen Mund mit speziellen Mundpflegestäbchen, denn natürlich war er streng nüchtern, cremte seine blutigen Lippen ein und niemand war froher als Ben, als man ihn danach endlich wieder in Ruhe ließ. Der Platz neben ihm hinter dem Vorhang war immer noch leer und Sarah hatte ganz vergessen zu fragen, ob nicht bald ein Einzelzimmer frei wäre.