Sarah war derweil mit Lucky in der Klinik angekommen. Ehrlich gesagt wusste sie nicht, ob er überhaupt noch am Leben war, denn er lag völlig reglos im Fond des Wagens. Gut dass sie die Infrastruktur der Tierklinik wegen der Ponys schon kannte, so fuhr sie direkt vor die Kleintierklinik und sofort eilten ein Tierarzt und eine Helferin mit einer Rolltrage, fast wie in der Notaufnahme eines Krankenhauses für Menschen, auf sie zu. Die junge Frau stieg aus und öffnete die Heckklappe, dann musste sie einen Schritt zurück treten, weil sie fürchterliche Angst davor hatte, was der Arzt, der sich sofort über den grauen Riesen beugte, nun sagen würde. Ihre größte Sorge war, dass er ihr jetzt mitteilen würde: „Es tut mir leid, aber wir können nichts mehr für ihren Hund tun, er ist gerade verendet!“ Wie sollte sie das Ben dann mitteilen, von dem sie auch nicht wusste, wie es ihm ging?
Aber der Arzt hatte mit wenigen Griffen Lucky abgetastet und teilte dann seiner Tierarzthelferin mit: „Er ist tief bewusstlos, aber seine Atmung und sein Puls sind kräftig und regelmäßig - bringen wir ihn in den Untersuchungsraum“, und jetzt entwich Sarah die Luft, die sie unbewusst angehalten hatte und sie atmete selber ein paarmal tief durch. Bevor sie sich versah war Lucky in das Gebäude gerollt worden, man rasierte eine Stelle am Vorderlauf, legte dort einen Zugang und nahm Blut ab, danach leuchtete der Tierarzt mit einer Taschenlampe in die Augen des großen Hundes. „Frau Jäger, die Pupillen sind unterschiedlich groß und reagieren nur träge. Sie haben mir am Telefon ja schon gesagt, dass er mehrere wuchtige Schläge mit einer Eisenstange auf den Kopf bekommen hat. Wir müssten jetzt zur Diagnosesicherung ein CT machen und danach die weitere Vorgehensweise besprechen. Wie alt ist er denn überhaupt?“, fragte er einfühlsam, denn manchmal musste man in Anbetracht des Alters eines Tieres bei so schweren Verletzungen es eher euthanasieren, als eine Maximaltherapie an zu streben.
„Wie alt Lucky genau ist, wissen wir nicht, wir haben ihn aus einem Versuchslabor, aber er war topfit und ist uns heute noch abgehauen, weil seine Hundefreundin läufig ist. Bitte tun sie alles für ihn, was irgendeinen Sinn macht, er hat vorhin meinem Mann das Leben gerettet. Der ist selber schwer verletzt und wird gerade in die Klinik gebracht“, erzählte sie nach einem Blick auf ihr Handy, denn das hatte Jenni ihr soeben geschrieben.
„Gut, das CT geht sehr schnell, sollen wir außer dem Kopf auch noch eine Traumaspirale machen, dann wären wir auf der sicheren Seite und könnten weitere Verletzungen besser erkennen, das wird allerdings teuer werden“, wies der Tierarzt nun auf eine Seite seines Berufs hin, die leider oft eine große Rolle spielte und kaum jemand hatte für seinen Hund eine komplette Tierkrankenversicherung. „Geld spielt keine Rolle!“, erwiderte Sarah nun mit fester Stimme und zum ersten mal in ihrem Leben war sie über den Jäger´schen Reichtum froh. „Ich kann mir vorstellen dass sie gerne zu ihrem Mann wollen, dürfte ich sie nur bitten, zuvor bei meiner Assistentin noch etwas zu unterschreiben, wies der Tierarzt nun nach draußen zum Tresen, wo eine junge Frau den Papierkram abwickelte, nicht anders als in einem normalen Krankenhaus.
Noch während Sarah Einverständniserklärungen unterschrieb, den Impfstatus von Lucky bezeugte und dabei immer wieder einen Blick auf ihr Handy warf, denn Jenni war mit dem Streifenwagen hinter dem RTW her gefahren und hielt sie auf dem Laufenden, war die Traumaspirale auch schon gemacht und der Tierarzt trat wieder zu ihr. „Ihr Hund hat als imponierende Verletzung ein Subduralhämatom, das unbedingt entlastet werden muss, sonst wird er daran sterben. Knochenbrüche oder schwerere Organverletzungen konnten wir keine feststellen, allerdings hat er überall Einblutungen in die Muskulatur und der erste Hb- Wert in unserem Kleinlabor war auch nicht sehr hoch, aber bisher noch nicht transfusionswürdig. Wenn sie damit einverstanden sind, würde ich unseren Neurochirurgen zuziehen und ihren Hund zügig operieren, alles Weitere müssen wir dann abwarten, aber ich glaube als Intensivkrankenschwester können sie den Ernst der Lage selber einschätzen“, teilte er ihr kurz seine Diagnosen mit und Sarah nickte. „Ich habe verstanden und habe auch gerade alles Notwendige unterschrieben. Tun sie bitte alles was Sinn macht, aber leiden soll unser Lucky nicht, das müssen sie mir versprechen. Sie haben meine Telefonnummer, ich fahre jetzt zu meinem Mann, der wird gerade in der Uniklinik versorgt“, erklärte sie, aber ihre Stimme zitterte dabei, sie hatte Tränen in den Augen und der Tierarzt warf ihr einen mitfühlenden Blick zu. „Trinken sie noch schnell eine Tasse Kaffee bei uns und fahren sie dann vorsichtig zu ihrem Mann. Ihr Hund ist bei uns in guten Händen und ich verspreche ihnen, dass ich ihn behandeln werde, als wäre er mein eigenes Tier. Ich werde sie informieren wenn die Operation vorbei ist, aber jetzt ist erst einmal ihr Mann wichtig – ich wünsche ihm alles Gute unbekannterweise“, sagte er und während die Helferin eine Tasse Kaffee über den Tresen reichte, konnte Sarah ein paar Tränen nicht aufhalten. „Sie sind sehr nett!“, stammelte sie, aber nach ein paar Schlucken Kaffee mit Milch und Zucker kamen ihre Lebensgeister wieder zurück und sie straffte ihren Rücken.
Kurz trat sie neben den fahrbaren Untersuchungstisch auf dem Lucky immer noch tief bewusstlos, überwacht mit einem Sättigungssensor lag und streichelte unendlich zärtlich das weiche graue Fell. „Machs gut alter Kämpfer – du schaffst das und dein Herrchen auch“, machte sie ihm und auch sich selber Mut, wandte sich dann um und ging mit zügigen Schritten zu ihrem Wagen, um den Weg in die Innenstadt anzutreten.
Dort war inzwischen auch Ben in der Notaufnahme angekommen. Man hatte ihn ausgeladen und er fühlte sich merkwürdig leicht und schwerelos. Es war als würde er über sich schweben und erst als er auf die fahrbare Rolltrage im Schockraum umgelagert wurde, kam der Schmerz ein bisschen zurück und er stöhnte auf. Mehrere grün gekleidete Menschen waren um ihn herum, beugten sich über ihn und zogen ihn komplett aus. Er hörte wie die Notärztin den übernehmenden Ärzten eine Übergabe machte, spürte tastende Hände auf seinem Körper, nahm wahr, wie ihm jemand beruhigend zuredete, als er wieder versuchte die Hände weg zu schieben, die jetzt seinen Bauch befühlten und war dankbar, als man dicke warme Tücher aus dem Wärmeschrank über ihn breitete, denn so langsam kam der Schock durch und er begann zu frösteln. Man machte auch bei ihm eine Traumaspirale, er fuhr also langsam durch ein riesiges CT, aber das war ihm eigentlich egal. Alles war gut, solange man ihn in Ruhe ließ. Jemand machte sich danach an seiner Körpermitte zu schaffen und legte ihm einen Blasenkatheter mit Temperatursonde, aber auch das juckte ihn wenig und tat auch nicht weh. Immer wieder sagte ein Arzt etwas zu ihm, aber er hatte Mühe ihn zu verstehen und erneut fielen ihm die Augen zu. Dann wurde erst sein Unterarm steril abgedeckt und ein arterieller Zugang gelegt, wenig später an seinem Hals noch ein zentraler Venenkatheter, aber auch diese kleinen Piekse, wenn die Lokalanästhesie gestochen wurde, es danach drückte und der Arzt mit Mundschutz und Sterilkittel an ihm rum machte, störten ihn kaum.
Jemand fuhr dann mit einem Ultraschallkopf über seinen Bauch, was ihn wieder aufstöhnen ließ, aber bald war auch das überstanden.
Dann kam noch ein anderer Arzt und das tat jetzt kurz sehr weh, als man das gebrochene Bein aus der Vakuumschiene nahm. Verwundert und wie als sähe er einen Film, aber es beträfe ihn nicht, beobachtete er dann, wie sein Knie steril abgedeckt wurde, auf beiden Seiten eine Lokalanästhesie gemacht wurde und dann eine kleine Handbohrmaschine surrend ein Loch durch seinen Oberschenkelknochen bohrte, ein Draht eingezogen wurde und wie eine Art Bügel daran befestigt wurde.
Viele Hände lagerten ihn dann vorsichtig in ein weiches vorgewärmtes Bett um, sein Bein kam in eine gepolsterte Metallschiene und danach wurden Gewichte an dem Draht befestigt, der über eine Umlenkrolle über ein Gestell weit über ihm zum Fußende geführt wurde und so brachte man ihn dann auf die Intensivstation, wo plötzlich Sarah bei ihm war und er sich dann endlich in einen Erschöpfungsschlaf fallen ließ.