„Ich wollte mich entschuldigen“, und „Sorry!“, begannen beide gleichzeitig zu sprechen und anstatt weiter zu reden, zog Ben Sarah eng an sich und küsste sie innig, was sie gerne erwiderte. „Vielleicht sollten wir den Moment nicht tot reden, sondern einfach ins Bett gehen?“, wisperte Sarah, als sie wieder zu Atem kam und wenig später lagen die beiden nebeneinander und kuschelten. Sie liebten sich sanft und doch leidenschaftlich und danach war Ben sofort eingeschlafen. Sarah betrachtete ihn im Licht des Vollmonds, der zum Fenster herein schien - keiner hatte daran gedacht die Läden zu schließen. Er war die Liebe ihres Lebens, auch wenn sie manchmal Differenzen hatten, aber die Basis stimmte. Dann drehte auch sie sich zur Seite, legte die Hand auf die nackte Brust ihres Mannes und war wenig später ebenfalls in Morpheus Träumen.
Als sie am Morgen erwachten, hatte sie der Alltag wieder, die Kinder kamen vergnügt kichernd zu ihnen ins Bett gekrochen und nach einer ausgiebigen Kissenschlacht standen sie auf und machten gemeinsam die Kleinen für den Kindergarten fertig und frühstückten. Hildegard schlief ein wenig länger, das war der Vorteil eines Gutshauses, man hatte Räume genug, der Gästetrakt war um die Ecke mit eigener kleiner Küche und Badezimmer und der Lärm des Haupthauses drang dort nicht so hin. Ben war mit Lucky an einer langen Leine in den Garten gehumpelt, sein Bein schmerzte zunehmend weniger und er hatte erst mal einfach den Vakuumstiefel weg gelassen. Sarah hatte es gesehen, aber vermieden etwas dazu zu sagen, sie würde Ben´s Verhalten akzeptieren, er war ihr Ehemann, aber nicht ihr Patient und sie hatte ihre Lektion gelernt.
„Lucky vielleicht kann Hildegard später mit dir und Frederik ausgiebig Gassi gehen, aber vorerst muss das reichen - ich sehe dir schon wieder an, wo du eigentlich hin willst!“, erklärte Ben dem liebeskranken Deerhound, der erneut die Nase in den Wind reckte und leise fiepte. Ben ertappte sich dabei, dass er mit seinem Hund sprach wie mit einem Menschen, aber das machten wohl die meisten Hundebesitzer. So nebenbei ließ er noch die Schäfchen aus dem Stall und fütterte das Kleinzeug, ja bei ihrem Privatzoo würden die Ponys wirklich nicht mehr ins Gewicht fallen, das würde schon klappen. Sarah hatte beim Frühstück noch ausführlich von ihrem Besuch in der Tierklinik erzählt und berichtet, dass die Ponys laut der Vermutung der Mediziner wohl mit Medikamenten aus Rumänien behandelt worden waren, die gar nicht für sie geeignet waren und nur mit viel Glück überlebt hatten.
Als sein Handy piepte, sah er drauf und Jenny hatte ihm geschrieben: „Hey guten Morgen! Die Chefin hat mich gerade angerufen, wir sollen heute nochmals Personen im Umfeld der Tankstellen nach dem Spyderfahrer befragen. Ich schlage also vor, du wartest zuhause bis ich dich abhole, könnte aber noch ein bis zwei Stündchen dauern, ich muss zuvor noch was in der Dienststelle erledigen!“, war die Nachricht und Ben schickte einen erhobenen Daumen als Antwort zurück, diese Emojis waren einfach praktisch.
Prima, dann hatte er ja noch ein wenig Zeit!
Sarah hatte die Kinder mit dem Kombi zum Kindergarten gebracht und erklärt, dass sie danach gleich noch in den großen Supermarkt zwei Ortschaften weiter zum Einkaufen fahren würde. Ben ging wieder ins Haus und jetzt war auch Hildegard erwacht und Lucky und Frederik begrüßten sich, als hätten sie sich wochenlang nicht mehr gesehen. „Ich lasse die beiden nur kurz in den Garten und gehe später mit ihnen ausgiebig Gassi“, erklärte Hildegard und hatte, bevor Ben etwas sagen konnte, die Terrassentür einen Spalt geöffnet und zack hatte Lucky sich durch gedrängelt und war mit großen Sätzen Richtung Dorf geflohen. Die Gartenmauer überwand er mit einem eleganten Satz und sein Freund Frederik schaute ihm nur verwundert nach. „Ach herrjeh, das wollte ich nicht!“, brachte Hildegard nur heraus, aber Ben zuckte mit den Schultern. „Wenn die Liebe ruft, ist auch Lucky nicht zu halten, aber das geht uns Männern wohl allen so!“, sagte er augenzwinkernd, schnappte sich einen Schlüssel vom Schlüsselbrett und humpelte Richtung Remise. „Ich weiß wo ich ihn einkassieren kann, ich hoffe er achtet auf den Verkehr, aber jetzt ist es schon passiert. Ich wollte dir eigentlich gerade erklären, dass Lucky aktuell nur an der Leine raus darf, aber da war ich wohl zu langsam, ich nehme einen der Oldtimer und hole ihn, bevor uns die Besitzer der Hündin noch wegen Hausfriedensbruch anzeigen“, ließ er Hildegard seine Absicht wissen, die sich tausendfach entschuldigte und der das Ganze verdammt peinlich war.
So startete Ben wenig später einen alten Mercedes SLK der einmal seinem Vater gehört hatte. Der Wagen war bereits über 30 Jahre alt, aber er sprang sofort an. Weil sie ja viel Platz hatten, hatte Ben neben seinem Porsche, den er auch nicht geschafft hatte zu verkaufen, obwohl das wirklich keine geeignete Familienkutsche war, mehrere schöne alte Fahrzeuge gesammelt, mit denen er manchmal einfach so durch die Gegend fuhr, oder auch an organisierten Ausfahrten teil nahm. Hartmut, Semir und er hatten schon so manche Stunde damit verbracht die Fahrzeuge bei der einen oder anderen Flasche Bier in Schuss zu halten und dank Hartmut liefen die alle wie am Schnürchen und zwei davon waren auch mit einem Oldtimerkennzeichen angemeldet. Die Ledersitze würde man abwischen können, Ben hatte noch kurz eine Decke neben sich geworfen und fuhr dann los. Es schmerzte zwar wenn er die Pedale bediente, aber es ging schon und in wenigen Minuten würde er das Auto ja wieder abstellen und dann auch zur Arbeit seinen Vakuumstiefel anziehen, jetzt merkte er nämlich doch, dass die Ruhigstellung durchaus gut tat.
Kurz bevor er am Haus von Lucky´s Angebeteter ankam, schnitt ihn ein älterer Geländewagen, hupte ihn noch frech an und wenn er nicht mit Macht auf die Bremse getreten hätte, was ihm ein Aufstöhnen entlockte, wäre er dem Verkehrsrowdie aufgefahren. Ben fluchte, was trieben sich denn wieder für Leute auf den Straßen rum! Er war nun beileibe kein langsamer und trödeliger Autofahrer, aber das genau war es, was die vielen Unfälle verursachte, die Rücksichtslosigkeit mancher Pkw-Lenker. Er hatte nicht übel Lust, dem Geländewagen nach zu setzen und ihn zu verwarnen, aber dann beschloss er, es gut sein zu lassen. Der Wagen war jetzt ein ganzes Stück vor ihm, aber als er dann an der Kreuzung mit kaum Seitenabstand an einem Kind auf dem Rad vorbei fuhr, das anscheinend auf dem Schulweg war und dadurch beinahe zu Fall gekommen wäre, platzte Ben der Kragen. „Na warte Freundchen, jetzt gehörst du mir!“, presste er zwischen den Zähnen hervor und ging aufs Gas. Der SLK beschleunigte, auch Oldtimer hatten PS unter der Haube und als Ben nun aufholte, sah er, wie der Geländewagen in den Hof des Pferdehändlers einbog.
Nun ratterte es in seinem Hirn und als er nun den Mercedes auf der Straße anhielt, von wo er Einblick in die Hofeinfahrt hatte, stieg der Fahrer des Jeeps aus und als Ben den Mann von hinten sah, erkannte er sofort, dass das der Fahrer des Spyders war, den er auf den Videoaufzeichnungen der Tankstellen gesehen hatte. Er stellte den Motor ab und tastete nach seinem Handy, um die Kollegen zu verständigen - ach Mist, er hatte es wohl zuhause liegen gelassen. Der Pferdehändler war aus dem Haus gekommen und gemeinsam gingen die beiden Männer in den Stall.
In Ben´s Kopf fügten sich die Puzzleteile zusammen. Deswegen war der Spyder wohl immer wieder hier in der Gegend gesehen worden – es bestand eine Verbindung zwischen dem Händler und dem Mann, welche sich auch Minuten später aufklärte, als der Dunkelhaarige mit den bereits weißen Schläfen wieder aus dem Stall kam. Er öffnete die Hecktüre des Jeeps und da sah man verschiedene Boxen und Gerätschaften, wie sie Tierärzte hatten. Der Mittfünfziger suchte Medikamente, Spritzen und eine Nasenbremse heraus, schlüpfte noch in Gummistiefel und ging dann mit seinen Utensilien in den Stall zurück. Na klar - Pferdehändler und Tierarzt, hier war die Verbindung!
Ben überlegte kurz. Freilich wäre es das Vernünftigste, jetzt an irgendeinem Haus zu läuten, oder einen Passanten um sein Handy zu bitten, aber das konnte er später immer noch tun. Jetzt interessierte ihn, was die beiden Männer im Stall machten und vielleicht unterhielten sie sich und er konnte irgendwelche belastenden Gespräche belauschen, denn aktuell war die Beweislage ja noch dürftig. Ben war sich zwar ganz sicher, dass er mit seiner Vermutung Recht hatte und der Tierarzt und der Spyderfahrer dieselbe Person waren, aber ob ein Richter das auch glaubte, stand auf einem anderen Blatt Papier. Er musste Beweise sammeln und ermitteln und dann konnte man mit einer wasserdichten Anklage den Mann für lange Zeit hinter Gitter schicken. Er war jetzt froh, dass er mit einem Wagen gekommen war, den der Pferdehändler nicht kannte und er auch ganz einfach auf einem freien Parkplatz im Wohngebiet am Straßenrand stand. Das Haus von Lucky´s Angebeteter war in Steinwurfweite, aber im Augenblick dachte Ben nicht an seinen Hund, sondern hatte selber Fährte aufgenommen wie ein Jagdhund.
So stieg er aus, schloss sorgfältig den Mercedes ab und ging dann auf das Grundstück des Pferdehändlers. Gut dass er sich da seit dem Kauf der Ponys ein wenig aus kannte und so betrat er durch den Hintereingang die Stallungen und legte sich auch noch eine Erklärung zurecht, falls er ertappt wurde - er wollte nach den Sätteln der Ponys fragen, die er ja mit gekauft hatte. Am anderen Ende des Stalls waren die beiden Männer mit einem riesigen Pferd beschäftigt, Ben hatte so ein Großes noch nie gesehen und sie bemerkten ihn auch nicht, als er sich an den verwinkelten Boxen vorbei näher schlich.