Als wenig später auf der Internetseite der Polizei ein Foto des Mannes veröffentlicht wurde, meldete sich eine völlig aufgelöste Frau aus einem der Dörfer der Umgebung, die schon verzweifelt alle Bekannten abtelefoniert hatte. Jenni und Ben fuhren sofort zur angegebenen Adresse, die ihnen Susanne übermittelt hatte. Als sie in die Einfahrt des neu gebauten schönen Häuschens einbogen, wo Kinderspielzeug, eine Schaukel und ein Sandkasten im Garten darauf hin wiesen, dass ein Familienvater getötet worden war, stöhnte Ben innerlich auf. Warum nur traf es immer die Menschen die es am wenigsten verdienten?
Eine Freundin war bei der jungen attraktiven Frau um die dreißig, die beiden Kinder waren bei der Oma im Nachbarort, wie die Frau ihnen blass mitteilte, aber schon auf den ersten Blick hatten Jenni und Ben beim Betreten des Hauses, in dem überall Fotografien einer fröhlichen Familie hingen, gesehen, dass es sich tatsächlich um den Familienvater handelte. „Es tut mir sehr leid, aber wir müssen leider den Tod ihres Mannes bestätigen, er wurde bei einem Verkehrsunfall mit Fahrerflucht tödlich verletzt“, gab Ben ihr die schreckliche Gewissheit und nun schluchzte die junge Frau haltlos auf und war einige Minuten kaum mehr zu beruhigen. „Sollen wir ihnen einen Arzt rufen?“, fragte Jenni mitleidig, aber nun schüttelte die Witwe den Kopf. „Es geht schon wieder und das macht Frank auch nicht mehr lebendig. Wie genau ist er gestorben- ich muss es einfach wissen“, fragte sie und so versuchten Ben und Jenni ihr mit schonenden Worten den rekonstruierten Unfallhergang zu schildern.
„Eine Frage noch: Was hat ihr Mann zu so später, oder vielmehr früher Stunde auf dem Rad gemacht und können sie sich irgendein persönliches Motiv vorstellen ihn an zu fahren, denn bisher tappen wir noch im Dunkeln in Bezug auf den Unfallfahrer- hatte ihr Mann Feinde?“, wollte nun Ben wissen, aber die Frau schüttelte den Kopf. „Frank arbeitet bei einem großen Unternehmen am Kölner Stadtrand in der PR- Abteilung und hatte gestern ein Meeting. Er sagte schon vorher, dass das dauern könne, darum habe ich auch tief und fest geschlafen und mir erst begonnen Sorgen zu machen, als er am Morgen nicht neben mir lag. Er fährt, wenn das Wetter halbwegs passt, fast immer die 20 km mit dem Rad zur Arbeit. Erstens aus Umweltschutzgründen und auch für seine persönliche Fitness. Und Frank ist- war ein geselliger Mensch, ich wüsste nicht dass er Feinde hätte!“, gab die Ehefrau zur Antwort und Ben nahm das zur Kenntnis.
„Wenn man ihn rechtzeitig gefunden hätte, könnte er also vielleicht noch leben?“, flüsterte die junge Frau und schluchzte erneut auf, als Jenni und Ben zustimmten. „Oh Gott, hoffentlich war er bewusstlos!“, flüsterte sie und Ben hätte am liebsten mit geheult, riss sich aber zusammen und vermisste in diesem Augenblick Semir, der hätte die junge Frau jetzt vermutlich väterlich in den Arm genommen, aber ihm erschien das unpassend. Auch Jenni hatte Tränen in den Augen und als sie nun wegen der Identifizierung des Toten fragten, ob das vielleicht ein anderer Verwandter erledigen könnte, stand die Frau auf, atmete tief durch und straffte ihren Rücken. „Nein ich möchte ihn unbedingt noch einmal sehen- verstehen sie, sonst kann ich das nicht glauben, es erscheint mir so unwirklich wie ein böser Traum“, versuchte sie zu erklären und Jenni und Ben nickten.
Wenig später standen sie in der Gerichtsmedizin und als sie die Identität des Toten bestätigt hatte, bat seine Witwe darum, mit ihm alleine gelassen zu werden. Jenni und Ben warteten mit der Freundin stumm draußen und als einige Minuten später die Frau mit verheulten Augen heraus kam, stützen sie sie und brachten sie wieder nach Hause. „Versprechen sie mir seinen Mörder zu finden?“, flehte die Witwe . „Frank könnte noch leben und seine Kinder aufwachsen sehen, wenn der nicht feige abgehauen wäre, sondern Erste Hilfe geleistet und einen Notruf abgesetzt hätte. Ich möchte dem Schwein in die Augen sehen wenn es verurteilt wird“, sagte sie und Ben antwortete mit fester Stimme: „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um den Todesfahrer, oder die Fahrerin zu finden, das können sie mir glauben!“ und so verabschiedeten sie sich.
Als sie danach im Auto saßen war es bereits nach fünf und Jenni brachte Ben nun direkt nach Hause- es war ja nicht weit. Der Dunkelhaarige wäre zwar lieber nochmals zu Semir ins Krankenhaus gefahren, aber die Vernunft sagte ihm, dass es jetzt besser war das Bein hoch zu legen und über Susanne an Informationen zu kommen, die hatte ihm vorher kurz mit geteilt, dass Andrea sie angerufen habe und sie nach Dienstschluss zu ihr fahren würde, Semir war wohl bereits ein zweites Mal operiert worden, sei aber stabil.
Ben wurde erst zuhause bewusst, was er für einen Hunger hatte und wie erschöpft er war, aber als ihm seine Kinder lachend und schwatzend um den Hals fielen und Hildegard ihm mitteilte, dass Sarah nochmals kurz zu den Ponys in die Klinik gefahren sei, war er nur froh, dass seine Familie soweit gesund war, das mit seinem Fuß waren Peanuts gegen das Schicksal der Witwe und ihrer Kinder ein paar Ortschaften weiter!
Es war gut gewesen, dass Sarah die Ponys zur Klinik begleitet hatte und dort versicherte, dass Geld keine Rolle spiele. So wurden die beiden erst mit intravenösen Antibiotika und Infusionen aufgepäppelt und als der Kreislauf stabil genug war, sedierte man sie tief und versorgte professionell die Verletzungen. Der erstbehandelnde Tierarzt hatte noch die Medikamentenverpackungen zur Klinik gebracht und auch seine Kollegen waren der Meinung, dass diese Medikamente auf gar keinen Fall für Ponys geeignet waren. „Gut ich weiß jetzt nicht- hat der Pferdehändler die selber verabreicht, oder war es doch ein Kollege, aber falls die Ponys das Zeug gekriegt haben, ist es kein Wunder dass ihr Kreislauf schlapp gemacht hat- sie wären gestorben, wenn sie nicht professionelle Hilfe bekommen hätten. Wir müssen auf jeden Fall das Veterinäramt auf den Stallbetreiber ansetzen und der Hof muss kontrolliert werden. Ich habe mir allerdings die anderen Pferde dort angesehen und auch wenn die Stallungen nicht ganz artgerecht waren, die Tiere waren alle gut gefüttert und gepflegt, die Hufe mit Schuhwichse eingefettet, na ja die Händler wissen schon wie sie es machen müssen. Aber die Tonne dort war wirklich voll mit leeren Umverpackungen und so eine große Menge an sedierenden Medikamenten auf einem Haufen macht mich stutzig.“, sagte der eine Tierarzt zum anderen und der nickte.
„Mir ist ein weiteres Detail aufgefallen: Die Medikamente sind für den rumänischen Markt bestimmt, die Medikamentennamen sind zwar überwiegend dieselben, aber die Beipackzettel und Packungsaufschriften deuten darauf hin, merkwürdig!“, teilte der noch seine Beobachtungen mit, aber als in diesem Augenblick Sarah um die Ecke bog und wissen wollte, wie die Chancen für die beiden Füchse standen, gab er ihr Auskunft. Sie hatte mit halbem Ohr die letzten Worte mit bekommen, stellte aber keinen Bezug zu ihren Tieren her.
„Frau Jäger, wir haben die Wunden der Ponys erstbehandelt, sie müssen auf jeden Fall eine längere Zeit in der Klinik bleiben und Antibiotika und Schmerzmittel bekommen. Die mit Drainagen versorgten Wunden sollten täglich gespült werden, dazu müssen wir sie vermutlich wieder sedieren, ich glaube nicht dass sie stillhalten. Aber im Augenblick haben wir alles getan was möglich ist, ob das heilt und wie langfristig die Prognose ist, müssen wir abwarten. Sie müssen allerdings auch damit rechnen, dass es zu schweren Infektionen kommt und wir eines oder beide Hengstchen euthanasieren müssen, aber das bleibt jetzt jetzt einfach abzuwarten. Warum wurden die beiden eigentlich noch nicht gelegt? Im Alltag sind Hengste doch viel schwieriger zu handeln als Wallache, aber das nur nebenbei. Ich habe gehört dass die Verletzungen bei einem schweren Kutschenunfall gestern entstanden sind, wie geht es denn dem Fahrer?“, wollte der Tierarzt noch wissen, aber dazu konnte Sarah gerade gar nichts sagen, außer dass der in der Uniklinik lag. Ob Ben wohl dort an seinem Bett saß?
„Wir werden sie sofort verständigen, wenn sich der Zustand eines oder beider Tiere verschlechtert, allerdings haben die beiden Glück, dass sie bereit sind die Kosten zu tragen, denn die werden den Wert der Ponys weit übersteigen. Ich kenne viele Besitzer die sich in so einem Fall fürs Einschläfern entscheiden und ich hätte wegen der ungewissen Prognose damit auch kein Problem. Aber wie sie schon gesagt haben- die Pferdchen sollen eine Chance bekommen, sie haben auch den Vorteil dass sie beide jung sind und eben Ponys, die gelten als zäh, dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Abend!“, verabschiedete er Sarah und die fuhr in Gedanken versunken nach Hause.
Dort hatte Ben derweil den Pizzaservice bestellt und voller Verwunderung hörte Sarah, dass er heute den ganzen Tag gearbeitet hatte. „Das solltest du aber nicht tun- schau mal wie dick dein Fuß ist, leg dich hin und kühle!“, versuchte sie Ben zu überzeugen, aber der sah sie jetzt fest an. „Sarah- ich bin kein kleines Kind mehr, dem du befehlen kannst, was es zu tun und zu lassen hat. Ich weiß, dass du es gut meinst, aber mich regt deine Bemutterung maßlos auf. Ich werde tun was ich für richtig halte- Ende der Diskussion!“, sagte er ein wenig schärfer als er beabsichtigt hatte und jetzt füllten sich Sarah´s Augen mit Tränen und sie drehte sich wortlos um und ging sofort ins Bett.
Hildegard hatte nach der Pizza den Kindern noch eine Gutenachtgeschichte vorgelesen und sie zu Bett gebracht, so hatte sie von dem Gespräch nichts mit gekriegt, zog sich aber ebenfalls gleich ins Gästezimmer zurück. Ben machte sich eine weitere Flasche Bier auf, warf fluchend eine Schmerztablette ein und wenig später suchte ihn der Erschöpfungsschlaf vor dem Fernseher heim.