Beiträge von Yon

    Sophies Eltern

    „Guten Tag, Frau Ziegler, ich bin Semir Gerkan, wir haben heute Nacht telefoniert, kann ich kurz reinkommen?“ – „Aber sicher, kommen Sie!“ Isolde Ziegler, eine Frau von Anfang vierzig, trat einen Schritt zur Seite und ließ Semir in den geräumigen Flur ihres Einfamilienhauses eintreten. „Sophie ist noch nicht wieder gekommen und hat sich auch nicht gemeldet, vermute ich?“, fragte Semir, nachdem er am Esstisch Platz genommen hatte. „Nein, dann hätte ich Sie sofort angerufen wie ausgemacht. Konnten Sie denn schon etwas herausfinden?“


    „Nicht viel. Wir wissen jetzt, dass sie auf Marcels Party war, diese mit ihrer Freundin gemeinsam verlassen und den Bus in diese Richtung genommen hat. Aber sie ist 2 Stationen früher ausgestiegen, an der Theresienstraße, von da an verliert sich ihre Spur.“ – „Warum sollte sie das getan haben? Das ergibt für mich keinen Sinn. Sie wusste doch, dass wir hier auf sie warten.“


    „Kennen Sie jemanden, der dort wohnt, jemand aus Sophies Klasse vielleicht, oder aus der Familie?“ – „Familie auf keinen Fall, wie sind die einzigen hier in Köln, meine Schwester wohnt mit ihren Kindern im Sauerland, und mein Mann hat keine Geschwister. Und Mitschüler? Wir können die Klassenliste noch einmal durchgehen.“ Die Liste lag seit ihrem nächtlichen Telefonmarathon noch immer auf der Anrichte im Flur. Sie reichte sie Semir, der kurz die Adressenspalte durchging, die meisten Straßennamen kannte er, die übrigen Adressen schlug er schnell im Stadtplan auf seinem Handy nach. Wirklich in Frage kam nur eine Anschrift. Aber die Hoffnung zerschlug sich, als Isolde Ziegler ihn darüber aufklärte, dass Max Hansen gerade ein Austauschjahr in den USA verbrachte und seine Eltern das „schulkindfreie“ Jahr dazu nutzten, sich den langgehegten Traum einer mehrwöchigen Reise durch Australien und Neuseeland zu erfüllen. Dort wäre bestimmt niemand anzutreffen.


    „Ist Sophie schon mal länger weggeblieben? Hat sie einen Freund? Vielleicht einen, den Sie noch nicht kennengelernt haben? Oder haben Sie sich gestritten?“ Semir fielen einige Fragen ein, um die Beweggründe eines 16-jährigen Mädchens, nachts nicht nach Hause zu kommen, zu erforschen. „Sie können mir glauben, dass ich mir genau diese Fragen auch schon gestellt habe, immer wieder, die ganze Nacht. Aber ich kann Ihnen keine Antwort darauf geben. Sie hat sich auf heute gefreut, wir wollten gemeinsam shoppen gehen.“ – „Auf jeden Fall weiß die Polizei Bescheid, die Streifenwagen halten Ausschau nach ihr. Wir können jetzt eigentlich nur noch abwarten, so schwer es Ihnen auch fallen mag.“


    Damit erhob sich Semir und ging in Richtung Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. „Eine Frage habe ich noch. Wo macht Sophie eigentlich ihr Schülerpraktikum?“ Isolde Ziegler sah ihn erstaunt an. „In der Apotheke am Dom. Wieso?“ – „Danke Frau Ziegler, wir müssen das Umfeld von Sophie befragen, und dazu gehören Mitschüler, Lehrer und jetzt eben auch Arbeitskollegen.“
    „Sie glauben doch nicht, dass jemand Sophie etwas angetan hat?“ Semir antwortete erst nur mit einem Schulterzucken, entschied sich dann aber, ihnen Mut zuzusprechen. „Frau Ziegler, in Deutschland werden jährlich 50000 Kinder als vermisst gemeldet, über 98% tauchen spätestens nach wenigen Tagen wieder auf.“ – „Aber es bleiben auch immer wieder welche verschwunden?“ – „Ja, das stimmt. Aber daran sollten Sie jetzt nicht denken. Sophie ist in einem Alter, in dem Kinder beginnen, Geheimnisse zu haben und Freunde, von denen sie ihren Eltern nicht erzählen wollen, weil Sie glauben, sie erhielten nicht deren Zustimmung. Sie können mir glauben, ich spreche da aus eigener Erfahrung. Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sophie wieder heimkommt? Sollte Sie nicht bis Montag hier oder an ihrem Praktikumsplatz erscheinen, werde ich mit ihren Arbeitskollegen reden, vielleicht haben die ja eine Vermutung.“ Semir reichte Herrn und Frau Ziegler die Hand zum Abschied. „Vielen Dank, Herr Gerkan. Wie wissen es sehr zu schätzen, dass Sie sich so bemühen“, sagte Herr Ziegler zum Abschied, und seine Frau ergänzte: „Bitte bringen Sie uns unsere Tochter zurück!“ – „Ich werde nichts unversucht lassen, das kann ich Ihnen versichern.“


    Gerichtsmedizin

    Die Fingerabdrücke und DNA-Proben des Toten, der am Freitagabend aus dem kleinen Motorboothafen gezogen worden war, wurden am Samstag untersucht und mit den Dateien im Polizeicomputer abgeglichen.


    Dann machte der Gerichtsmediziner sich auf die Suche nach der Todesursache, denn, obwohl Ertrinken als Ursache für das Ableben bei einer Wasserleiche naheliegt, musste man hier ganz sicher gehen. Nach seinen Untersuchungen kam er zu dem Schluss, dass der Angler bereits tot gewesen sein musste, bevor er dem Wasser übergeben wurde, erschlagen von einem stumpfen Gegenstand am Hinterkopf, vielleicht einem glatten Stein. Er konnte kein eingeatmetes Wasser in der Lunge feststellen, damit schied Ertrinken als Todesursache aus. Und so schrieb er es in seinen Bericht. Unfall, Totschlag oder Mord, das herauszufinden war nun Aufgabe der Kriminalpolizei.


    Inzwischen waren die Computer der KTU zu einem Ergebnis gekommen. Der Tote war aus Polizeisicht kein Unbekannter, doch sie fanden ihn nicht etwa in ihrer Verbrecherkartei, sondern in der Datei ihrer eigenen Beschäftigten. Der Tote war ein Kollege von ihnen: Uwe Neugebauer, Mitarbeiter des BKA.


    Sowohl die KTU also auch die Gerichtsmedizin schickten ihre Ergebnisse an die Kriminalpolizei Köln, wo die Akte jedoch bis zum Montag liegen blieb, weil die Beamten im Wochenende waren und die anwesende Bereitschaft die Wichtigkeit nicht korrekt einschätzte. So würde die Familie des Uwe Neugebauers erst am Montag von seinem Ableben erfahren.

    Die Durchsuchung der Wohnung bringt die Ermittler auf die Spur der Sekte. Mit Hilfe von Semir, der sich auf den Weg nach Finnland macht und Ben, der schon in der Sekte ist, wird es hoffentlich gelingen Veikko aus deren Fänge zu befreien.

    aber man weiss ja nie, ob der Gegenüber tatsächlich derjenige ist, für den er sich ausgibt

    Da sagst du was wahres, ich hatte auch so meine Bedenken, als ich damals in Wuppertal jemanden treffen sollte, die ich nur aus diesem Forum kannte. Glück gehabt, oder @Darcie?

    Tina


    Mit Tinas Adresse in der Jackentasche machte sich Semir zunächst wieder auf zur Theresienstraße. Immer wieder versuchte er sich vorzustellen, was ein 16-jähriges Mädchen wohl bewogen haben könnte, dort nachts nach 22:00 Uhr den Bus zu verlassen, statt die nächsten zwei Stationen weiter zu fahren, wo ihr Vater wie verabredet an der Bushaltestelle auf sie wartete. Er sah nur Wohnhäuser um sich herum, ob Sophie hier jemanden kannte? Er würde ihre Eltern fragen, vielleicht gab es auch noch ein „analoges Adressbuch“ mit ihren Kontakten in ihrem Zimmer? Obwohl Semirs Hoffnung, was diesen Punkt anging, sehr gering war. Die Ortung ihres Handys hatte bislang nichts ergeben, das hatte der Beamte des Innenstadtreviers ihm noch mitgeteilt, als er am Morgen mit ihm telefoniert hatte. Hier in der Theresienstraße war zumindest nichts Auffälliges zu entdecken. Also setzte Semir seinen Weg fort und stand schon kurz darauf vor der Wohnungstür von Tina, Nadines Äußerung nach Sophies engste Freundin.


    Tina wohnte mit ihrer Mutter in einer kleinen Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in der Nähe der Bushaltestelle Hohenlind, welches die Endstation der Linie 136 war. Da die Eingangstür offen stand, stieg Semir direkt in den zweiten Stock und klingelte an der Wohnungstür.


    „Machst du mal die Tür auf, Tina?“ – „Ich bin gerade im Chat, Geh selbst!“ – „Tina! Mir brennt das Essen an, wenn ich gehe, geh jetzt zur Tür!“ Semir konnte den Dialog durch die geschlossene Wohnungstür laut und deutlich verstehen. Dann hörte er näherkommende Schritte, den Schlüssel im Schloss, und kurz darauf stand ihm ein blondes Mädchen in Danas Alter gegenüber, welches auf ihn herabblickte. „Ja?“, fragte sie gelangweilt, „Was wollen Sie? Zu meiner Mutter? Mama! Besuch für dich!“ Sie hatte sich schon umgedreht und wollte ihn gerade vor der Tür stehend ihrer Mutter überlassen, aber Semirs Frage ließ sie in der Bewegung verharren. „Bist du Tina?“


    Tina drehte sich um und nickte. „Dann will ich zu dir.“ – „Das wüsste ich aber“, kam abweisend von dem Mädchen. „Es geht um Sophie. Können wir uns kurz unterhalten?" Semir stand immer noch im Treppenhaus, Tina einige Schritte von der Wohnungstür im Flur. „Sophie?“, fragte sie nun. „Drinnen?“ Tina winkte ihn hinein. Tinas Mutter kam neugierig aus der Küche, noch ein Geschirrhandtuch in ihrer Hand. „Wer sind Sie? Was wollen Sie von meiner Tochter?“


    Semir schloss die Wohnungstür hinter sich und zog seinen Ausweis aus der Hosentasche. „Mein Name ist Gerkan, ich suche Sophie Ziegler, sie wird seit gestern Nacht vermisst. Und ihre Tochter ist eine der letzten, die sie vor ihrem Verschwinden gesehen hat.“ – „Polizei?“ – „Ja, du bist mit Sophie im Bus gefahren. Weißt du, warum sie früher ausgestiegen ist, als geplant, nämlich an der Theresienstraße?“ – „Nein, keine Ahnung.“ – „Hat dich das nicht gewundert? Ihr ward auf dem Heimweg und sie fährt nicht nach Hause, sondern steigt vorher aus? Habt ihr euch nicht unterhalten?“ – „Nö. Sie hatte noch was vor, hat während der Fahrt gechattet und ist dann aufgestanden und ausgestiegen, sagte, sie hätte noch einen Termin und wollte mit dem nächsten oder übernächsten Bus weiterfahren.“ – „Kennt sie dort jemanden?“ – „Keine Ahnung. Gemeinsame Freunde wohnen dort jedenfalls nicht.“ – „Hattest du nach der Busfahrt noch Kontakt zu Sophie? Im Chat vielleicht?“ – „Nein, ich habe ihr heute Morgen geschrieben, aber es kam keine Antwort, und“, sie holte ihr Handy aus der Hosentasche, „sie ist auch nicht online gewesen, seit gestern Abend.“


    Nun mischte sich Tinas Mutter ein. „Was, wenn Sophies Termin gar nicht in der Nähe dieser Bushaltestelle lag, sondern sie zurück gefahren ist in die Innenstadt?“ Daran hatte Semir noch nicht gedacht, mit Bus und Bahn hätte Sophie mittlerweile fast jeden Winkel Deutschlands erreichen können. Er musste unbedingt mit ihren Eltern sprechen.

    Vielleicht hätte sich Semir eine Karte kaufen sollen, dann wäre er bis zur Bühne gekommen, und Ben hätte ihn gleich gesehen. Aber vielleicht klappt das ja mit dem Brief, Semir könnte wirklich langsam etwas Glück gebrauchen.


    Korrektur: Karte kaufen geht ja nicht, kein Geld, keine Karte

    Nadine


    Von Ben kam nur ein leises „Wuff“, als Semir in den frühen Morgenstunden seine Wohnungstür aufschloss, der junge Hund hatte längst sein Herrchen erkannt und begrüßte ihn schwanzwedelnd im Flur. Semir ging in die Hocke und streichelte ihn.


    Er entledigte sich seiner Schuhe und ging noch kurz ins Bad, bevor er endlich seinen Anzug ausziehen konnte und sich neben die tiefschlafende Andrea ins Bett kuschelte. An ein schnelles Einschlafen war allerdings nicht zu denken. Zu sehr wurden seine Gedanken von der aktuellen Suche beschäftigt. Sophie Ziegler wurde mittlerweile seit etwa sechs Stunden vermisst. Wo mochte sie nur sein? Was machten bloß ihre Eltern durch? Zu gern würde er ihnen helfen, aber er hatte heute Nacht alles getan, was zu diesem Zeitpunkt möglich war. Jetzt lag die Angelegenheit in der Hand des zuständigen Innenstadtreviers. Semir hatte zu Jensen und dessen Team vollstes Vertrauen, er hatte schon früher gut mit den Kollegen zusammengearbeitet und dabei nur positive Erfahrungen gesammelt.


    Aber Semir würde die Suche auch selbst weiterhin im Auge behalten und sich am nächsten Tag nach dem Stand der Ermittlungen erkundigen, dazu war seine Neugierde zu groß. Außerdem handelte es sich um eine Klassenkameradin von Nadine und Dana. Nur ganz allmählich legte sich seine Anspannung, Semir ließ sich in einen tiefen, traumlosen Schlaf ziehen.


    Es war bereits taghell im Schlafzimmer, als er die Augen aufschlug. Semir blinzelte über Andreas verlassenes Bett hinweg auf den Radiowecker: 11:00 Uhr. Er hatte länger geschlafen, als er zu hoffen gewagt hatte. Nachdem er in der Küche die Kaffeemaschine angestellt und den Zettel von Ayda überflogen hatte, auf den das Mädchen „Sind mit Ben zum Hundeverein“ geschrieben hatte, er über das umgedrehte „VV“ geschmunzelt hatte, das sie unter dem Namen „Ben“ gemalt hatte, um deutlich zu machen, dass es sich hierbei um den Hund und nicht um den zweibeinigen Freund der Familie handelte, duschte er kurz und zog sich an.


    Mit dem Kaffeebecher in der Hand, wählte er die Telefonnummer des Innenstadtreviers und erfuhr vom diensthabenden Vorsteher – Jens Jensen hatte nach seiner Nachtschicht frei und erst wieder Montagnachmittag Dienst -, dass das Ehepaar Ziegler am frühen Morgen seine Tochter Sophie als vermisst gemeldet hatte. Bislang fehlte aber jede Spur von dem Mädchen. Seitdem sie an der Theresienstraße den Bus verlassen hatte, war sie wie vom Erdboden verschluckt. Warum war sie bloß nicht nach Hause gefahren, so wie sie es mit ihren Eltern vereinbart hatte? Ob ihre Freundin, die mit ihr im Bus gesessen hatte, mehr wusste? Er muss mit ihr sprechen. Und die Eltern von Sophie würde er auch aufsuchen. Semir hatte sich gerade eine Scheibe Toast belegt, als es an der Tür klingelte.


    Nadine, ihre Nachbarin und Babysitterin von gestern stand davor. „Hallo Herr Gerkan, ich möchte nicht stören“, begann sie. „Du störst doch nicht“, nahm Semir ihr diese Sorge, „du willst bestimmt wissen, ob Sophie aufgetaucht ist, komm doch rein, ich bin gerade beim Frühstücken.“ Als sie gemeinsam am Küchentisch saßen, fragte Nadine: „Und? Ist Sophie nach Hause gekommen?“ – „Nein, Nadine. Das ist sie nicht. Sie war auf der Feier bei Marcel, hat sie aber rechtzeitig mit ihrer Freundin Tina verlassen, kennst du die?“ - „Tina geht auch in unsere Klasse.“ – „Sie haben die Party zusammen verlassen, saßen gemeinsam im Bus – ich habe die Aufnahmen der Überwachungskameras gesehen -, dann stieg Sophie aus, und zwar zwei Stationen vor ihrer eigentlichen Haltestelle. Tina schien das gar nicht zu wundern. Weißt du, was Sophie dort gewollt haben könnte? Hat sie vielleicht einen Freund?“ – „Nein, Herr Gerkan, wie ich Ihnen ja gestern schon erzählte, wir sind lediglich Klassenkameradinnen, ich habe gar keinen näheren Kontakt zu ihr. Von einem Freund weiß ich nichts.“ – „Und Tina? Kennst du die näher?“


    „Nein, Tina ist die beste Freundin von Sophie, aber mit ihr kann ich noch weniger anfangen. Das Toastbrot, das sie gerade essen, hat vermutlich einen höheren IQ als Tina, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Semir musste trotz des ernsten Themas lachen. „Kannst du mir trotzdem ihre Adresse geben, ich muss ihr einige Fragen stellen. Und ich hoffe, dass sie mir trotz der eingeschränkten Intelligenz, die du ihr bescheinigst, mehr Antworten geben kann, als mein Toastbrot.“

    Der Fund des Mountainbikes und der Spritze bestärkt Antti sicher in seinem Verdacht, es sei Veikko etwas zugestoßen. Aber wie stellen sie nun die Verbindung zu dieser Sekte her?

    Das habe ich auch nicht ganz verstanden, warum Semir nicht gleich zurück in die Wache gegangen ist, um dort auf den Dolmetscher zu warten. Englisch-Deutsch ist ja nun auch in den USA keine allzu exotische Kombination. Aber nun hat er sich ja zumindest auf seiner Dienststelle gemeldet und sie wissen, dass er in den Staaten ist. Wird Zeit, dass Alex in New York auftaucht.

    Bus


    In der Buszentrale erhielt Semir Einblick in die Aufnahmen der Überwachungskamera der Linie 136, die direkt vom Bus in die Leitstelle übermittelt wurden, und schaute sich die in Frage kommenden Busfahrten ab der Haltestelle am Neumarkt an. Der Leiter der Buszentrale hatte auch bereits die Fahrer der in Frage kommenden Fahrzeuge informiert, die zusagten, nach ihrem nahenden Schichtende in der Zentrale vorbeizuschauen, so dass Semir dort auf sie warten konnte.


    Noch während er die Filme anschaute, traf der erste Fahrer ein. Er hatte eine ruhige Nacht gehabt, aber am Neumarkt war dann doch eine ganze Reihe Passagiere zugestiegen. An einzelne Personen konnte er sich nicht erinnern. Die Überwachungskamera zeigte kein Mädchen, welches Sophie Ziegler ähnelte. Semir bedankte sich, und der Fahrer brach auf in seinen Feierabend.


    Der nächste Fahrer konnte sich an die beiden Mädchen erinnern, die um 22:22 Uhr am Neumarkt in seinen Bus stiegen, weil er mit ihnen eine längere Diskussion über die Fahrkarte hatte, denn die Monatskarte des einen Mädchen war abgelaufen, und sie hatte die neue Karte nicht dabei. Aber die Angelegenheit konnte geklärt werden, sie würde die gültige Karte innerhalb von 10 Tagen in der Zentrale vorlegen, und müsste dann nur eine geringe Bearbeitungsgebühr entrichten und nicht die Strafe für die Schwarzfahrt. Der Film bestätigte die Angaben des Busfahrers.


    Sie ließen den Film etwa 15 Minuten laufen. Die zwei Mädchen saßen schweigsam im Bus und schauten von Zeit zu Zeit auf ihre Smartphones. Dann erhob sich Sophie und stieg an einer Haltestelle aus. „Ist das die Kitschburger Straße?“, fragte Semir, der sich an die Worte von Sophies Mutter erinnerte. „Nein“, antwortete der Fahrer, „das ist die Theresienstraße, 2 Stationen vorher.“ Tina schaute nur kurz auf, als Sophie aufstand, dann widmete sie sich wieder ihrem Smartphone. „Hm. Ich brauche die Aufzeichnungen. Danke, Sie haben uns sehr geholfen“, bedankte sich Semir bei dem Busfahrer.


    Der mittlerweile eingetroffene dritte Fahrer wurde gleich nach Hause geschickt. „Halt!“, hielt Semir ihn zurück, „ist Ihnen an der Haltestelle Theresienstraße um 22:47 Uhr etwas aufgefallen?“ Vielleicht hat Sophie die Fahrt nur unterbrochen, um mit dem nächsten Bus weiterzufahren? „Nein, ich erinnere mich an nichts Besonderes, dort steigen auch nachts kaum Personen zu. Aber schauen wir doch auch mal meinen Film an.“ Sie setzten sich wieder an den Monitor. Aber leider war von Sophie nichts zu sehen. Ihre Spur verlor sich an der Theresienstraße um 22:32 Uhr, mittlerweile vor etwa fünf Stunden.


    Während der Leiter der Buszentrale die Filme der Überwachungskameras für Semir auf eine DVD brannte, meldete sich dieser zunächst bei Sophies Eltern, und als diese ihm mitteilten, von ihrer Tochter noch nichts gehört zu haben, bat er sie, doch eine offizielle Vermisstenanzeige beim Innenstadtrevier aufzugeben. Dort kündigte er anschließend die Anzeige an und teilte Jens Jensen den letzten Ort mit, an dem Sophie gesehen worden war.


    Die Theresienstraße lag im Tiefschlaf. Semir konnte sich im Vorbeifahren nicht vorstellen, was Sophie hier gesucht haben könnte. Er müsste von Tür zu Tür gehen und auch die Nebenstraßen in die Suche einbeziehen. Das wäre eine Aufgabe für viele Streifenbeamte. Er beschloss aber, sich den Ort am nächsten Tag noch einmal bei Licht zu betrachten und jetzt nach Hause zu fahren. Es war mittlerweile schon fast 4:00 Uhr.