Samstag, 22:00 Alex und Kim
Alex fuhr gemeinsam mit Kim zu der Adresse, in dem sie den Halter des dunklen Audis vermuteten und fanden sich vor einem zehnstöckigen Hochhaus wieder. „Yilmaz“ stand auf einem Klingelknopf, der zur achten Etage gehörte. Die Eingangstür war nur angelehnt, so dass die Polizeibeamten das Haus betraten und sich von Fahrstuhl nach oben bringen ließen, ohne vorher zu klingeln. Erst als sie direkt vor der Wohnungstür standen, machten sie sich bemerkbar und betätigten den Klingelknopf.
Erst nachdem sie dieses einmal wiederholt hatten, hörten sie ein Schlurfen aus der Wohnung und standen bald darauf einer kleinen Türkin in einem Bademantel gegenüber. „Ja?“ – „Guten Abend, entschuldigen Sie die späte Störung“, begann Kim, „wir suchen Kenan Yilmaz, der soll hier wohnen.“ – „Ja, das ist mein Sohn. Aber der ist nicht da, er wohnt jetzt bei seinem Bruder“, erhielt sie zur Antwort. „Können Sie uns sagen, wo wir ihn jetzt finden? Wir müssten dringend mit ihm sprechen“ – „Vielleicht arbeitet er heute in Leos Club, da ist er öfters. Oder er ist bei Murat“ – „Leos Club? Der Tanzschuppen?“ - „Ja, er ist dort Türsteher oder Barkeeper oder so, erzählt nicht viel“ – „Wenn er dort ist, finden wir ihn, und wo wohnt sein Bruder?“ – „In der Kesslerstraße 67“ – „Tun Sie uns noch einen Gefallen und rufen ihn nicht an? Es soll eine Überraschung für ihn sein, wir sind gute Freunde von ihm, er wird Ihnen bestimmt später davon erzählen. Haben Sie vielen Dank!“, schloss Kim die Unterhaltung ab und zog sich von der Tür zurück.
Obwohl weder Kim noch Alex sich als Polizisten auswiesen, war die Frau sehr auskunftsbereit. Alex war sich sicher, dass Kim auch noch ihre Kontoverbindung erfahren hätte oder sie zur Überweisung einer ansehnlichen Spende auf das Konto notleidender Polizeihunde hätte überreden können.
Sie blieben noch ein wenig im Hausflur stehen, bis sie sicher waren, dass sich außer der älteren Frau keine weitere Person in der Wohnung befand und kein Geräusch mehr durch die Wohnungstür drang. Frau Yilmaz schien sich wieder hingelegt zu haben.
Alex und Kim verließen das Hochhaus und gingen zurück zum Dienstwagen. Sie einigten sich kurz: „Leos Club?“ – „Leos Club!“ Damit stand ihr Fahrtziel fest.
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Samstag, 22:45 Waldweg 18
„Bist du noch ganz bei Trost? Ich lass‘ dich da nicht alleine hin. Mit wie vielen legst du dich da an? Wenn die wirklich Andrea und Kemal in dieser Wohnung festhalten, sind es mindestens … wenn nicht mehr. Und du bist verletzt. Und was heißt hier eigentlich unbewaffnet?“, regte Ben sich auf. Er beugte sich zu einem der am Boden liegenden Revolver, nahm ihn in die Hand. Er schaute kurz ins Magazin, es war noch fast voll. Das musste reichen. „Und jetzt los, ehe deine Kollegen hier sind!“, forderte er Semir auf.
Sie ließen das Adressbuch aufgeschlagen auf dem Tisch liegen und gingen aus dem Büro hinunter in den Saal. Ein kurzer Wortwechsel von Ben mit seiner Band und sie verließen Leos Club, nicht ohne in der Garderobe Annika zu fragen, ob Murat schon aufgebrochen war. Sie schüttelte den Kopf und sagte leise: „Er wollte gleich los, vielleicht 5-10 Minuten“ – „Okay“, antwortete Ben, „du machst das Richtige, glaub‘ mir“, fügte er noch hinzu und nickte aufmunternd mit dem Kopf.
„Ich fahre“, bestimmte Ben. Er rief noch über sein Handy einen Krankenwagen zu Leos Club, um den Clubbesitzer versorgen zu lassen und war sich sicher, dass damit auch die Polizei nicht allzu lange auf sich warten lassen würde. Dann stieg er in Semirs BMW und fuhr mit ihm in den Waldweg 18. „Was erwartet uns da?“, wollte er von seinem ehemaligen Kollegen wissen. Der gewohnte Dienstwagen, sein langjähriger Partner neben ihm, das ließ den Polizisten in ihm wieder aufleben. „Ich weiß es nicht“, gab Semir zu, „wenn wir Glück haben, können wir Kemal und Andrea finden und befreien und die Gangster festnehmen.“ – „Annika sagte etwas von 150 Schlüsseln, das dauert seine Zeit. Sicher sind sie noch voll beschäftigt. Wir werden hier auf Murat warten, der wird unsere Eintrittskarte in die Wohnung sein, wenn er die Schlüssel abholen kommt. Bist du dir sicher, dass wir ohne Verstärkung auskommen?“ – „Sicher? Keineswegs!“, war die Antwort von Semir.
Ben hielt den BMW in einer Seitenstraße zum Waldweg an und die beiden Freunde verließen das Auto, um in einer kleinen Tordurchfahrt nahe der Hausnummer 18 auf Murat zu warten.
„Aber wir rufen keine?“, setzte Ben mit einer weiteren Frage nach – „Du hast es erfasst. Ich möchte nicht, dass es zu einem Schusswechsel kommt. Andrea und Kemal sind in der Wohnung, da bin ich ganz sicher.“
„Kannst du mir mal sagen, warum ich das tue?“, wollte Ben nun wissen. „Weil du mein Freund bist“, bekam er nach kurzer Pause erklärt. Semir zog seine Augenbrauen in die Höhe. Es vergingen mehrere schweigsame Minuten, dann näherte sich ein dunkler Wagen und hielt vor dem Wohnblock an. Murat entstieg ihm und ging über die Straße zum Wohnhaus. Semir nickte Ben zu. Dieser setzte sich langsam in Bewegung und flüsterte: „Semir, manchmal ist es nicht einfach, dein Freund zu sein.“
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