Mittwoch, 12:00 – 21:30
Goldener Hirsch
Nachdem Jenny Dorn und Erik Johannsen ihre Uniform gegen Zivilkleidung getauscht hatten, fuhren sie in die Stadt und gingen in die gutbürgerliche Gaststätte Goldener Hirsch. Den Gastraum dominierte ein riesiger, massiver Tresen, beleuchtet von mehreren Messingleuchten. Das Regal an der Rückwand war vollgestellt mit Gläsern und Flaschen. Eine Schwingtür führte zur Küche und je eine Treppe in den Keller zu den Sanitärräumen und nach oben zum Saal, diese war an diesem Tag mit einer armdicken Kordel abgesperrt. Eine weitere Tür hatte die Aufschrift „PRIVAT“. Die ganze Gaststätte bestand nur aus dem einzigen Raum. An der Fensterfront standen sieben Esstische mit jeweils 2 Sitzbänken. Jenny und Erik nahmen am letzten Tisch Platz.
Sie waren die einzigen Gäste. Der Wirt brachte ihnen die Karte. „Mittagstisch ist heute Rinderbraten oder Hühnerfrikassee, mit Salat vorweg und Eis zum Nachtisch für € 7,50, ansonsten alles was auf der Karte steht, außer Fisch, den haben wir heute leider nicht im Programm. Schon was zu trinken?“ Jenny bestellte ein Mineralwasser und Erik ein alkoholfreies Bier. Sie ließen ihre Blicke durch die Gaststätte wandern. Hier sollten sie den ganzen Nachmittag und den Abend verbringen? Wie hatte Ben sich das gedacht?
Die Getränke kamen. „Schon gewählt?“ – „Ich nehme das Hühnerfrikassee vom Mittagstisch“, orderte Jenny, „und ich das Bauernfrühstück“, fügte Erik hinzu.
Sie unterhielten sich über belanglose Dinge, Urlaubspläne, Hobbys, stets bemüht ihre Arbeit und insbesondere ihren heutigen Auftrag auszuklammern, um keinen Verdacht zu erregen.
Zum Essen kamen auch andere Gäste in das Restaurant, Bedienstete der umliegenden Büros, Banken und Versicherungen, der Kleidung nach zu urteilen. Keine Spur von Klaus und Matze. „Ich geh mal kurz raus, telefonieren und eine rauchen“, meinte Erik.
Jenny sah durch das Fenster, wie Erik sich auf der Straße eine Zigarette anzündete und sein Handy hervorkramte. „Ja, Semir hier!“, meldete sich sein Kollege nach dem zweiten Klingeln. „Erik hier. Bislang ist noch keiner aufgetaucht. Gibt es schon was von Dieter?“ – „Noch nicht, wie sieht es bei euch aus?“ – „Wir haben gut gegessen und trinken jetzt gleich noch einen Kaffee, uns geht bald der Gesprächsstoff aus und es ist erst 14:00 Uhr“ – „Erik, da müsst ihr durch, wir sitzen hier auch nur rum“ Erik warf seine Zigarette auf den Boden und trat sie aus, dann ging er wieder in die Gaststätte zu Jenny.
Zum Anker
Dieter Bonrath hatte seinen alten Schulfreund Herbert angerufen und gefragt, ob er Lust hätte, den Nachmittag mit ihm zu verbringen. Herbert war Frührentner und freute sich auf die Abwechslung. Er steckte ein Kartenblatt und seine Fotos vom letzten Urlaub ein und fuhr zum Anker. Er wusste von Dieter, dass es um eine Überwachung ging, ansonsten wäre diese Kneipe sicher nicht seine erste Wahl für ein Treffen gewesen.
Spielautomaten unterbrachen in regelmäßigen Abständen die Stille im kleinen Kneipenraum und versuchten Spieler anzulocken, um mit Münzen gefüttert zu werden. Dieter saß mit dem Rücken zur Wand und hatte den gesamten Raum und vor allem die Eingangstür im Blick. Als Herbert den Raum betrat, stand er auf und begrüßte seinen Freund herzlich mit einer kurzen Umarmung. Sie nahmen Platz und bestellten 2 Coke.
„Jetzt zeig deine Bilder. Wie war es denn in Spanien?“, fragte Dieter. Seine Neugier war nur zum Teil gespielt, der gerade beendete Urlaub seines Freundes interessierte ihn wirklich
und kam ihm heute zusätzlich sehr gelegen, würden die Fotos sie doch mindestens eine Stunde lang beschäftigen.
Dieter und Herbert unterhielten sich stundenlang über Urlaubsreisen und beschlossen, im nächsten Jahr zusammen zu verreisen. Sie spielten mehrere Partien Bauernskat, tranken einige Coke, Herbert auch mal ein Bierchen, fütterten zwischendurch den Spielautomaten mit Kleingeld. Für sie verging der Nachmittag deutlich schneller als für Jenny und Erik um Goldenen Hirsch.
Zugriff
Gegen 19:00 Uhr ging dann alles ganz schnell. Ben wollte gerade die nächste Rätselfrage stellen: „Ich sehe etwas, was du nicht siehst, und das …“, da erstarrte er, warf sich schnell zur Seite und zog Semir auch nach unten, was dieser mit einem gequälten „Aua“ quittierte. „…und das sind Klaus und Matze. Scheiße, warum gehen die ausgerechnet hier lang?“
In der Tat: Klaus Bertramm und Matthias Friedrich schlenderten die Straße hinauf. Sie nahmen keine Notiz von den umherstehenden Autos und gingen einfach an Bens Mercedes vorbei. Ihr Ziel war der Anker. Alex hatte die Situation über Funk mitbekommen und war schon auf dem Weg zu Ben und Semir. Die bereitstehenden Streifenwagen des Innenstadtreviers waren schnell alarmiert und näherten sich langsam der Kneipe aus unterschiedlichen Richtungen, sie warteten nur auf den Einsatzbefehl. Ben fuhr an und hielt einen Hausblock hinter der Kneipe wieder an.
Dann kam der Anruf von Dieter: „Sie sind jetzt da, haben Essen und Bier bestellt.“ Ben meldete sich über Funk bei den anderen Polizisten: „Wir warten noch 5 Minuten, dann stürmen wir die Kneipe, aber wartet auf meinen Befehl!“ Die Spannung stieg. Ben machte sich startklar, holte die kugelsichere Weste vom Rücksitz und zog diese über, überprüfte seine Waffe und das Ersatzmagazin. Dann gab er den Einsatzbefehl. „Du bleibst im Auto!“, wiederholte er seinen Befehl vom Mittag. Semir nickte ergeben.
Zwei Beamte hielten die Rückfront des Ankers unter Bewachung, hier waren das Küchenfenster und ein Hinterausgang. Dieter, Ben und Alex stürmten mit zwei weiteren Streifenbeamten die Kneipe durch den Haupteingang. Matthias Friedrich und Klaus Bertramm sprangen überrascht auf und versuchten zu entkommen.
Matze lief dabei Ben direkt in die Arme, der ihn schnell überwältigen konnte, „Du entkommst mir kein zweites Mal“, musste Matze sich von dem Hauptkommissar anhören, dann klickten die Handschellen.
Klaus schlug Dieter ins Gesicht, der kurz benommen in die Knie ging und nutzte die Verwirrung, um über den Tresen zum Hinterausgang zu hechten. Den dortigen Beamten gelang es nicht, ihn festzuhalten, wie ein frisch gefangener Fisch rutschte er ihnen durch die Hände. Dann zog Klaus auch noch seine Waffe und schoss auf einen der Beamten, woraufhin sich der andere ergab und ihn laufen ließ. Er kümmerte sich um seinen Kollegen, der am Boden lag. Zum Glück war die Kugel von der Schutzweste aufgehalten worden und der Polizist kam gerade wieder zu sich. Alex, der nur Sekunden hinter Klaus den Anker durch die Hintertür verließ, fragte: „Alles klar? Wo lang?“ und bekam eine schnelle Antwort: „Nach rechts! Wir sind in Ordnung“, also rannte Alex um die Hausecke nach rechts.