Bruder
Susanne steckte ihren Kopf in das Büro der beiden Hauptkommissare und teilte ihnen mit: „Ich habe etwas gefunden!“ Sie gab Ben einen Papierausdruck und fuhr fort: „Matthias Friedrich, genannt Matze, der Bruder von Paul. Er ist polizeilich bekannt, saß schon wegen Einbruch, Diebstahl und mehrerer Drogendelike in der JVA Düsseldorf. Der Rest der Familie scheint sauber zu sein, soweit ich bislang ermitteln konnte.“
„Hast du eine Adresse für uns?“ – „Die steht auf dem Ausdruck, Hauptstraße 23 in Langenfeld. Ob die allerdings aktuell ist ….“ – „… werden wir jetzt rausfinden“, fiel Ben der Sekretärin ins Wort, „Danke Susanne, du solltest dann jetzt auch Feierabend machen. Wir sind auch gleich weg.“
Susanne verließ das Büro, schaltete ihren Rechner aus, nahm ihre Jacke, verabschiedete sich von Siggi, der Nachtschicht hatte, und verließ die PAST.
„Auf nach Langenfeld“, bestimmte Alex. „Ich rufe Semir aus dem Auto aus an. Er wird sicher schon sehnsüchtig auf Informationen warten. Das spart uns morgen früh auch Zeit.“, meinte Ben, griff sich seine Lederjacke und verließ mit Alex die Dienststelle. Mit Hilfe der Fernbedienung öffnete er die Türen des Mercedes. „Moment!“, sagte Alex plötzlich, „wenn Matthias Friedrich wirklich der Fahrer des Touareg ist, dann kennt er deinen Wagen. Es wäre ungeschickt, damit vor seiner Wohnung aufzukreuzen.“ Ben nickte. Alex hatte Recht, daran hatte er selbst gar nicht gedacht. „Wir nehmen mein Auto, der ist unauffällig“, sprach Alex weiter und ging bereits auf einen schwarzen Ford Focus mit Münsteraner Kennzeichen zu. „Du hast ihn noch nicht umgemeldet?“; fragte Ben mit Blick auf das Nummernschild MS – AB 128. „Wie du siehst …“, bestätigte Alex und fügte hinzu: „ich bin auch noch auf Wohnungssuche“
Ben kramte sein Handy hervor und wählte die Kurzwahltaste, um seinen Partner anzurufen.
Montag, 20:00 Uhr
Zusammenfassung
Nach sehnsüchtigem Warten auf Informationen sah es bei Semir nicht aus. Er lag auf der Couch und hatte seinen Kopf auf den Schoß seiner Frau gebettet, mit geschlossenen Augen war er dem Einschlafen nah. Die Kinder waren im Bett und schliefen, jetzt wollte er noch den gemeinsamen Abend mit Andrea genießen. Das Telefon klingelte, zwar nicht unerwartet, aber trotzdem unpassend. Semir kam langsam zu sich, rappelte sich in eine sitzende Position auf und griff zu seinem Handy, das auf dem Couchtisch lag.
„Ja, Gerkan“, meldete sich Semir müde und ging mit dem Handy am Ohr zur Terrassentür. „Hallo Partner, wie war dein Familientag?“ – „Bis jetzt gut, Ben, ich glaube, das mache ich jetzt jeden Tag“ – „Ich werde dich morgen daran erinnern“, versprach Ben, kam dann aber zur Sache „Ich wollte dir nur noch kurz mitteilen, was wir herausgefunden haben.“ – „Dann lass dich nicht aufhalten, Ben, schieß los“.
Ben holte tief Luft und fasste zusammen:
„Also, der Pfeffersprayer heißt Paul Friedrich, bislang ein unbeschriebenes Blatt, ist nicht im Computer gespeichert. Er behauptet, er wäre zu deinem Wagen gelaufen, um Erste Hilfe zu leisten. Eine Behauptung, die wir schnell widerlegen konnten, schließlich hat er eine ganze Dose Pfefferspray entleert und gab noch einen Schuss aus seinem Revolver ab. Ach übrigens, wie geht es deinen Augen, alles wieder klar?“
„Ja, alles gut, mein Kopf brummt etwas, aber nicht der Rede wert, weiter, was hat er noch gesagt?“
„Ansonsten hat er sich ausgeschwiegen und kein Wort mehr mit uns gesprochen. Susanne hat seine Familie überprüft. Und ist eben fündig geworden. Paul hat einen Bruder, Matthias, zwei Jahre älter als Paul, der hat schon in der JVA Düsseldorf gesessen wegen mehrerer Delikte. In den letzten drei Jahren sauber. Wir sind auf dem Weg zu seiner letzten Adresse. Vielleicht ist er der Fahrer des Touareg. Der und auch der Sanitärwagen sind übrigens noch nicht wieder aufgetaucht“
„Soll ich mitkommen?“, fragte Semir, „braucht ihr Unterstützung?“ – „Nein, wir sind ja zu zweit“ – „Aber du rufst an, wenn du Hilfe brauchst“ Es gefiel Semir gar nicht, sich aus dem Fall heraushalten zu sollen. „Ich bin mir sicher, dass heute nicht viel passiert. War er an der Tat beteiligt, wäre es schön doof von ihm, zuhause zu sitzen, jetzt, wo wir seinen Bruder hier haben, und ist er nicht beteiligt, ist unser Besuch harmlos. Aber wir werden ihn etwas beschatten. Bleib du lieber bei Andrea“ – „Na gut, das bekommt ihr wohl hin. Was gibt es sonst? Ist schon ein Phantombild aus dem Krankenhaus gekommen?“
„Nein, Peter Wiese war bislang noch nicht in der Lage, viel zu erzählen, er hat wohl doch schwerere Verletzungen als zunächst angenommen. Der Zeichner wird ihn morgen früh noch mal aufsuchen.“
„Habt ihr die Unterlagen von Karsten Schultz durchgearbeitet? Habt ihr was herausgefunden?“
„Ja, er ist am 29.01.1979 in Bremen geboren, Vater vor drei Jahren verstorben, Mutter lebt noch da. Susanne hat sie ausfindig machen können und unsere Kollegen aus Bremen hingeschickt. Sie hatte wohl zuletzt Weihnachten vor zwei Jahren Kontakt zu ihrem Sohn. Die Nachricht hat sie recht gefasst aufgenommen, sie wird noch im Laufe dieser Woche herkommen und sich um Beerdigung und Nachlass kümmern. Eine eigene Familie hatte Schultz nicht. Die Wohnung ist übrigens seine eigene, fast abbezahlt, er hat jetzt nur noch eine monatliche Rate in Höhe von 790 Euro zu bezahlen und hätte nächstes Jahr die letzte Rateentrichtet. Neben dem dunkelblauen Astra, der mittlerweile in der KTU ist, gehört ihm auch noch ein Porsche, der in der Tiefgarage steht. Die Arbeit bei Rothe Security ist wohl der eigentliche Nebenjob. Schultz handelt mit Rauschgift und versorgt die Kleindealer vor den Schulen. Das haben wir durch einen Zufall erfahren. Einer seiner Abnehmer ist heute in der Innenstadt geschnappt worden und hat Schultz‘ Handynummer als Lieferant angegeben. So haben die Kollegen uns angerufen, da das Handy ja bei mir auf dem Schreibtisch lag. Schultz hat mehrere Konten, unter anderem ein Sparkonto mit einem aktuellen Bestand von 80.000 Euro.“
„Da ward ihr ja richtig fleißig. Ich bin beeindruckt! Holst du mich morgen früh ab? Du weißt, ich bin gerade nicht so richtig motorisiert“ – „Geht klar, Um 8:00 Uhr stehe ich vor der Tür, lass dich noch gut pflegen, damit du fit bist, ich habe das Gefühl, wir bekommen eine Menge Arbeit.“ – „Mach ich, Ciao Ciao“.
Semir ging zurück zum Couchtisch, legte das Handy auf die Glasfläche und sich selbst wieder auf das Sofa. Nachdem er seinen verlassenen Platz wieder eingenommen hatte, murmelte er leise lächelnd: „Ich muss wohl leider heute hierbleiben“ und schloss wieder seine Augen.