Montag, 10:00 Uhr
„Besprechung“
Alex Brandt saß auf dem Flur der Notaufnahme des Krankenhauses in Bergheim und wartete. Auf dem Stuhl nehmen ihm lag Semirs Jacke. Sein neuer Kollege war seit zwanzig Minuten im Behandlungsraum. Seine Augen sollten noch einige Minuten ausgespült werden, um die letzten Spuren vom Pfefferspray zu beseitigen. Dann sollte sich auch das Brennen geben und nach mehreren Stunden gar nicht mehr zu spüren sein. Die Platzwunde war bereits mit einem Klammerpflaster versorgt worden. Peter Wiese hatte neben der Pfeffersprayattacke auch eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Er sollte zumindest zwei Tage im Krankenhaus verbleiben.
Plötzlich klingelte ein Handy in der Jacke neben Alex. Er kramte es aus der Außentasche, las auf dem Display „Andrea ruft an“ und nahm das Gespräch an. „Brandt, Apparat Semir Gerkan“, meldete er sich. „Andrea Gerkan hier, kann ich bitte meinen Mann sprechen?“ – „Das geht jetzt nicht Frau Gerkan, Ihr Mann ist im….“, er sah sich um, sah das Schild „Notaufnahme“ und entschied sich zu sagen „… in einer Besprechung. Soll er Sie zurückrufen?“ – „Aber sicher, sobald es geht“, sagte Andrea und beendete das Gespräch.
Einige Minuten später ging die Tür auf und Semir trat auf den Flur. „Und denken Sie daran, sollten es Ihnen in den nächsten Stunden schlechter gehen oder die Augen Ihnen Probleme bereiten, kommen Sie wieder her oder gehen Sie zu Ihrem Hausarzt.“, gab der Doktor ihm noch mit auf den Weg. „Danke, ich glaube, es geht schon“, antwortete Semir und verabschiedete sich mit einem Händedruck von dem Arzt.
Er ging rüber zu Alex Brandt, nahm seine Jacke vom Stuhl und setzte sich neben seinen neuen Partner. Einige Minuten sagte keiner etwas. „Ich glaube“, begann Semir langsam eine Konversation, „Sie haben mir da draußen eben das Leben gerettet, und dem Wiese auch.“ Er sah jetzt Alex ins Gesicht. „Vielen Dank dafür. Ich bin Semir Gerkan, Semir reicht“, bot er ihm das Du an und hielt ihm seine Hand hin. „Alex“, sagte dieser und ergriff sie.
„Deine Frau hat eben angerufen, ich sagte ihr, du wärst in einer Besprechung und riefest sie gleich zurück.“ – „Gut gemacht. Ich mache es gleich. Hat Ben sich schon gemeldet?“, kam Semir sogleich auf den Fall zurück. „Ja, er hat den Touareg verloren und kommt gleich her, um uns abzuholen. Dein Angreifer sitzt in einer Zelle auf unserer Dienststelle und wartet auf seine Vernehmung“. „Und was ist mit Peter Wiese?“, erkundigte sich Semir nach dem Augenzeugen des Überfalls. „Der muss ein bis zwei Tage hierbleiben. Ich habe einen Polizisten zu seinem Schutz angefordert.“
Semir staunte und nickte anerkennend. Für seinen ersten Arbeitstag hatte Alex den Alltag schon gut im Griff.
Kurze Zeit später kam Ben mit Erik Johannsen, einem jungen uniformierten Kollegen, den Flur entlang. Erik würde den ersten Teil des Schutzdienstes für Peter Wiese übernehmen und später von Jenny oder Dieter abgelöst werden, teilte Ben ihnen mit. „Wir schicken den Phantombildzeichner vorbei, Erik“, kündigte Semir noch an und verließ mit Ben und Alex das Krankenhaus. Auf dem Weg zum Auto nahm er sein Handy zur Hand und rief Andrea an. „Schatz, was gibt’s, du hattest angerufen?“, begrüßte er sie, als er Andreas Stimme vernahm und lauschte. „Natürlich, das habe ich nicht vergessen, das hatte ich doch Ayda versprochen, spätestens viertel vor drei bin ich in der Schule, da kannst du dich drauf verlassen. Ja, ich dich auch, Ciao Ciao“ – „Wohin zuerst?“, fragte Ben. „Zur KTU, ich muss an meinen Wagen, dann müssen wir Arbeitgeber und Angehörige von Karsten Schultz ausfindig machen und ihnen die Nachricht von seinem Tod überbringen“
Semirs Handy klingelte, er ging ran: „Ja, Semir!“ Es war Dieter, der ihm kurz mitteilte, dass er und Jenny den Besitzer des geschlossenen Sanitär-Handwerkbetriebes Kleine & Co, Harald Kleine, in seiner Wohnung angetroffen hätten. Er hatte seinen blauen Lieferwagen in seiner Garage vermutet, ein Gang dorthin bewies allerdings, dass die Garage aufgebrochen und der Wagen gestohlen war. Dieses musste innerhalb der letzten drei Tage geschehen sein. Eine Beteiligung Harald Kleines an dem Diebstahl oder dem Tankstellenüberfall schloss Dieter aus, da jener sich nach einer Fußoperation vor zwei Wochen mit Mühe an Krücken vorwärts bewegen konnte. „Das können wir vergessen, Semir“, schloss Dieter seine Ausführungen ab.
Semir bat ihn noch, später gemeinsam mit Jenny Erik im Krankenhaus abzulösen und den Phantombildzeichner mitzunehmen und auch die Kartei mit den einschlägig Vorbestraften auf einem Laptop nicht zu vergessen.