Beiträge von Yon

    Erwischt

    Frank Grabowski hielt seinen Nissan vor der Gemeinschaftsschule seines Sohnes in der Innenstadt Kölns an. Nils war bereits achtzehn Jahre alt und im letzten Schuljahr, welches er mit dem Abitur abschließen wollte. Heute hatte er einen Termin beim Kiefernorthopäden gehabt und war deshalb von den ersten Schulstunden befreit. „Ich habe nachher noch Fußballtraining, bin erst um Sieben zuhause“, teilte er seinem Vater beim Aussteigen mit, „Bis dann denn“, verabschiedete er sich noch, schlug die Autotür zu und überquerte die Straße zu seiner Schule.

    Frank Grabowski schaute Nils hinterher, der vor dem Schultor von einem jungen Mann aufgehalten und angesprochen wurde. Er stutzte, sein Vaterinstinkt war geweckt, das waren keine Freunde. Der Fremde versuchte doch seinem Sohn etwas zu verkaufen, sah er das richtig? Nils zeigte eine ablehnende Haltung, wurde aber von dem Unbekannten so bedrängt, dass es Frank reichte und es ihn aus dem Wagen trieb. Schnellen Schrittes näherte er sich den beiden Diskutierenden und mischte sich ein. „Was willst du von meinem Sohn? Verkaufst du hier Drogen? Ich werde dir zeigen, was ich davon halte“, schimpfte er, griff den Fremden an den Kragen und zerrte ihn vor sich her, bis er an der Schulhofmauer angekommen war. Der augenscheinliche Dealer versuchte sich zu wehren, bekam aber die Fäuste von Frank Grabowski zu spüren, der seine Wut nicht mehr kontrollieren konnte. Schnell war eine Schlägerei in Gange, in der Frank Grabowski deutlich überlegen war. „Papa! Hör auf!“, versuchte Nils sich einzumischen, „Du bringst ihn noch um!“.

    Der Vorfall blieb natürlich nicht unbeobachtet. Einer Angestellten der Schule fiel die Schlägerei auf, und sie rief die Polizei, die kurze Zeit später mit einem Streifenwagen eintraf. Anna Behring und ihr Kollege Jens Jensen trennten die Streithähne und verfrachteten sie in den Streifenwagen, um sie mit aufs Revier zu nehmen. Nils ließen sie verstört zurück, er hatte noch den Autoschlüssel von seinem Vater bekommen und fuhr den Wagen jetzt vom Straßenrand auf einen offiziellen Parkplatz und verschloss ihn. Dann begab er sich in die Schule. Sein Vater würde sich bestimmt bei ihm melden, wenn er bei der Polizei fertig war.

    Wir haben hier im Norden heute zwar nicht frei, ich komme aber trotzdem in den Genuss des Feiertages, da meine Kollegen in Frankfurt und Bonn heute (und die meisten auch morgen) nicht arbeiten und mein Telefon aus diesem Grund angenehm ruhig bleibt.

    Ich bin froh, dass das Erschießen von Menschen bei uns nicht zum Alltag der Polizei gehört, die meisten Polizisten werden in ihrer Laufbahn die Waffe wohl nur auf dem Schießplatz ziehen. Und das ist gut so. Aber andere Gründe sorgen ja auch für viel Arbeit auf dem Gebiet.

    Und dein Psychologe wird bestimmt in deiner Geschichte noch genug zu tun bekommen ....

    Montag, 10:00 Uhr

    „Besprechung“

    Alex Brandt saß auf dem Flur der Notaufnahme des Krankenhauses in Bergheim und wartete. Auf dem Stuhl nehmen ihm lag Semirs Jacke. Sein neuer Kollege war seit zwanzig Minuten im Behandlungsraum. Seine Augen sollten noch einige Minuten ausgespült werden, um die letzten Spuren vom Pfefferspray zu beseitigen. Dann sollte sich auch das Brennen geben und nach mehreren Stunden gar nicht mehr zu spüren sein. Die Platzwunde war bereits mit einem Klammerpflaster versorgt worden. Peter Wiese hatte neben der Pfeffersprayattacke auch eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Er sollte zumindest zwei Tage im Krankenhaus verbleiben.

    Plötzlich klingelte ein Handy in der Jacke neben Alex. Er kramte es aus der Außentasche, las auf dem Display „Andrea ruft an“ und nahm das Gespräch an. „Brandt, Apparat Semir Gerkan“, meldete er sich. „Andrea Gerkan hier, kann ich bitte meinen Mann sprechen?“ – „Das geht jetzt nicht Frau Gerkan, Ihr Mann ist im….“, er sah sich um, sah das Schild „Notaufnahme“ und entschied sich zu sagen „… in einer Besprechung. Soll er Sie zurückrufen?“ – „Aber sicher, sobald es geht“, sagte Andrea und beendete das Gespräch.

    Einige Minuten später ging die Tür auf und Semir trat auf den Flur. „Und denken Sie daran, sollten es Ihnen in den nächsten Stunden schlechter gehen oder die Augen Ihnen Probleme bereiten, kommen Sie wieder her oder gehen Sie zu Ihrem Hausarzt.“, gab der Doktor ihm noch mit auf den Weg. „Danke, ich glaube, es geht schon“, antwortete Semir und verabschiedete sich mit einem Händedruck von dem Arzt.

    Er ging rüber zu Alex Brandt, nahm seine Jacke vom Stuhl und setzte sich neben seinen neuen Partner. Einige Minuten sagte keiner etwas. „Ich glaube“, begann Semir langsam eine Konversation, „Sie haben mir da draußen eben das Leben gerettet, und dem Wiese auch.“ Er sah jetzt Alex ins Gesicht. „Vielen Dank dafür. Ich bin Semir Gerkan, Semir reicht“, bot er ihm das Du an und hielt ihm seine Hand hin. „Alex“, sagte dieser und ergriff sie.

    „Deine Frau hat eben angerufen, ich sagte ihr, du wärst in einer Besprechung und riefest sie gleich zurück.“ – „Gut gemacht. Ich mache es gleich. Hat Ben sich schon gemeldet?“, kam Semir sogleich auf den Fall zurück. „Ja, er hat den Touareg verloren und kommt gleich her, um uns abzuholen. Dein Angreifer sitzt in einer Zelle auf unserer Dienststelle und wartet auf seine Vernehmung“. „Und was ist mit Peter Wiese?“, erkundigte sich Semir nach dem Augenzeugen des Überfalls. „Der muss ein bis zwei Tage hierbleiben. Ich habe einen Polizisten zu seinem Schutz angefordert.“

    Semir staunte und nickte anerkennend. Für seinen ersten Arbeitstag hatte Alex den Alltag schon gut im Griff.

    Kurze Zeit später kam Ben mit Erik Johannsen, einem jungen uniformierten Kollegen, den Flur entlang. Erik würde den ersten Teil des Schutzdienstes für Peter Wiese übernehmen und später von Jenny oder Dieter abgelöst werden, teilte Ben ihnen mit. „Wir schicken den Phantombildzeichner vorbei, Erik“, kündigte Semir noch an und verließ mit Ben und Alex das Krankenhaus. Auf dem Weg zum Auto nahm er sein Handy zur Hand und rief Andrea an. „Schatz, was gibt’s, du hattest angerufen?“, begrüßte er sie, als er Andreas Stimme vernahm und lauschte. „Natürlich, das habe ich nicht vergessen, das hatte ich doch Ayda versprochen, spätestens viertel vor drei bin ich in der Schule, da kannst du dich drauf verlassen. Ja, ich dich auch, Ciao Ciao“ – „Wohin zuerst?“, fragte Ben. „Zur KTU, ich muss an meinen Wagen, dann müssen wir Arbeitgeber und Angehörige von Karsten Schultz ausfindig machen und ihnen die Nachricht von seinem Tod überbringen“

    Semirs Handy klingelte, er ging ran: „Ja, Semir!“ Es war Dieter, der ihm kurz mitteilte, dass er und Jenny den Besitzer des geschlossenen Sanitär-Handwerkbetriebes Kleine & Co, Harald Kleine, in seiner Wohnung angetroffen hätten. Er hatte seinen blauen Lieferwagen in seiner Garage vermutet, ein Gang dorthin bewies allerdings, dass die Garage aufgebrochen und der Wagen gestohlen war. Dieses musste innerhalb der letzten drei Tage geschehen sein. Eine Beteiligung Harald Kleines an dem Diebstahl oder dem Tankstellenüberfall schloss Dieter aus, da jener sich nach einer Fußoperation vor zwei Wochen mit Mühe an Krücken vorwärts bewegen konnte. „Das können wir vergessen, Semir“, schloss Dieter seine Ausführungen ab.

    Semir bat ihn noch, später gemeinsam mit Jenny Erik im Krankenhaus abzulösen und den Phantombildzeichner mitzunehmen und auch die Kartei mit den einschlägig Vorbestraften auf einem Laptop nicht zu vergessen.


    Ich weiss ja nicht, wieviel Erfahrungen ihr mit Pfefferspray habt, aber das wirkt echt nur, wenn es direkt in die Augen gesprüht wird, sonst nicht.

    Ich zum Glück noch keine, denke dir doch einfach, ich hätte in der Geschichte geschrieben, dass er genau in die Augen getroffen hat. 8)

    Fast geglückt

    Semir schilderte Ben kurz seine Situation. Der Touareg war bedrohlich näher gekommen, ohne einen Überholvorgang einzuleiten. Semir fuhr schon so schnell, dass er in den Kurven der Landstraße Angst hatte, die Straßenhaftung zu verlieren. Denn lenkte der Fahrer den Touareg auf die linke Spur, gab Gas und fuhr Semir hinten links in den BMW. Der Wagen geriet auf die Bankette und ließ sich nicht mehr von dem weichen Untergrund auf die Fahrbahn lenken. Semir verlor die Kontrolle über seinen Wagen. Dieser rollte die Böschung hinunter und blieb schließlich schräg an einem Baum liegen.

    Der Touareg hielt am Straßenrand an. Der Beifahrer verließ diesen und lief mit einer Sprühdose in der linken und einer Waffe in der rechten Hand zu dem BMW, in dem sich nichts regte.

    Benommen vom Überschlag, dem Öffnen der Airbags und einem Schlag mit seinem Kopf an die Seitenscheibe, versuchte Semir, sich aus seinem Gurt zu befreien und die Tür zu öffnen, während Peter Wiese bewusstlos im Beifahrersitz hing. Der Beifahrer des Touareg hatte den BMW erreicht, riss die Tür auf, entleerte den Inhalt der Sprühdose in das Wageninnere und warf die Tür für einen Moment wieder zu.

    Augenblicklich musste Semir die brennenden Augen schließen, Pfefferspray, so ein Mist! Er konnte nichts mehr sehen, seine Augen füllten sich schlagartig mit Tränen. Aber er musste aus diesem Auto raus!

    In diesem Moment kam aus der Gegenrichtung der Mercedes von Ben Jäger herangerast und stoppte direkt vor dem Touareg. Alex Brandt hatte die Situation schnell erfasst, sprang aus Bens Dienstwagen und lief mit gezogener Waffe in Richtung BMW.

    Als Semir endlich, seinen brennenden und tränenden Augen zum Trotz, seine Fahrertür öffnen konnte und aus dem Wagen rollte, erkannte er seinen Gegner vor sich und griff ihn an, bis ihn die Berührung von kaltem Stahl stoppte, auf sein Gesicht war eine Waffe gerichtet. Semir öffnete unter Schmerzen seine Augen wieder und blickte auf ein stählernes „O“, welches die Mündung eines Revolvers darstellte. Er hatte bereits mit seinem Leben abgeschlossen, als sich auf einmal eine Gestalt auf den Angreifer warf und sich im Sturz der beiden Personen ein Schuss aus der Waffe des Angreifers löste. Das Projektil bohrte sich knapp neben Semirs Kopf in dessen Dienstwagen.

    Ben wollte währenddessen den Fahrer des Touareg stellen, dieser ergriff aber mit durchdrehenden Reifen die Flucht. Als der Schuss ertönte, sah er zu Alex und sah, wie dieser gerade mit gekonntem Polizeigriff, den Angreifer aus dem Touareg auf dem Boden festhielt und fesselte, während Semir an seinem Auto stand und, eine Hand auf das Wagendach gelegt, sich die Augen rieb. Blut lief aus einer Platzwunde am Auge über seine linke Wange, ansonsten schien er unverletzt zu sein. Zu Ben gerichtet, rief Alex: „Versuch, den Touareg zu stoppen, und ruf einen Krankenwagen und eine Streife, ich komme hier klar!“ Unbewusst war er zum Du übergegangen. Er machte sich daran, den bewusstlosen Peter Wiese aus dem BMW zu befreien und auf den Rasen der Böschung zu legen.

    Ben sprang in seinen Dienstwagen, gab die notwendigen Funksprüche durch und versuchte, den flüchtigen Wagen einzuholen.

    Neuer Dienstwagen

    „So, Kripo Münster?“, begann Ben ein Gespräch, als sein Mercedes über die Autobahn rollte, „und warum jetzt Köln?“ – „Ich war in Münster, weil meine Freundin dort an der Uni arbeitete. Aber wir haben uns getrennt. Und da es mir dort im Job auch nicht so gut gefiel, suchte ich nach einer Gelegenheit, wieder nach Köln zurückzukehren. Und jetzt bin ich hier“, führte Alex Brandt aus.

    „Gefallen wird es Ihnen hier im Team bestimmt, ich könnte mir keine besseren Kollegen vorstellen. Und Ihren Partner werden Sie ja gleich kennenlernen.“

    Sie schwiegen einen Moment. Dann sprach Alex weiter: „Sie fahren einen schönen Dienstwagen, ist der ganz neu?“ Ben konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. „Ich habe ihn jetzt seit einer Woche. Der letzte hat leider sein Leben auf der Autobahn ausgehaucht, als er von zwei LKW eingeklemmt wurde. Und wenn man sich so bemüht, wie wir, dann gibt es halt ab und an ein neues Gefährt. Was hatten Sie denn für einen Dienstwagen in Münster?“ – „Ich fuhr einen älteren VW Passat, der war nicht totzukriegen“ – „Na, wenn ihn auch keiner schrottet“, setzte Ben die Ausführungen seines Nachfolgers fort. „Schrotten? Ich habe noch nie einen Dienstwagen kaputtgefahren, einmal gab es einen kleinen Kratzer, aber in die Werkstatt musste wegen mir noch kein Auto“.

    Ben verschlug es die Sprache. Mit ernstem Ausdruck im Gesicht drehte er sich nun zu seinem Beifahrer um. „Sie haben noch NIE einen Dienstwagen geschrottet?“, wiederholte er langsam die Aussage seines Kollegen, „aber Sie haben schon vor, sich in unser Team zu integrieren, oder?“ Ben schüttelte ungläubig seinen Kopf.

    Eine Zeitlang fuhren sie schweigend über die A4, um am Kreuz Kerpen die A 61 gen Norden zu nehmen. An der Ausfahrt Bergheim-Süd mussten sie die Autobahn wegen der besagten Vollsperrung verlassen.

    „Cobra 11 für Zentrale“, meldete sich das Funkgerät. „Cobra 11 hört“, antwortete Ben. „Ben, ich verbinde mit Semir.“ – „Ben hier, Semir, was gibt’s?“