Beiträge von Yon

    Hinweise

    Sogleich machten sich die drei auf den Weg zur Wohnung von Andreas Utzdorf, die sich im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel befand. Sie nutzten die Gelegenheit, ins Treppenhaus zu gelangen, als gerade ein Bewohner das fünfstöckige Wohnhaus verließ, und stiegen langsam die Treppe nach oben. Dann standen sie vor der Wohnungstür von Mario Torres‘ Sohn. Ben klingelte, und sie warteten. Als auch nach dem zweiten Klingeln die Tür verschlossen blieb, zog Semir sein Besteck zum Öffnen des Schlosses hervor und fragte seine Kollegen: „Nur fürs Protokoll: Haben wir einen Beschluss?“ Alex und Ben schauten ratlos an die Decke. Dann hob Ben einen Zeigefinger. „Ich habe Schreie gehört“, meinte er gleichgültig, „und du, Alex?“ – „Ich denke, es ist Gefahr im Verzug, was meinst du, Chef?“ Semir ging in die Knie und machte sich an die Arbeit. „Ich bin einfach nur neugierig. Voila!“ Er stieß die Wohnungstür auf und entsicherte seine Waffe.

    Die Wohnung machte einen sauberen Eindruck, sie war spärlich, aber edel eingerichtet, Möbel aus Stahl und Glas prägten das Bild. Ben, Alex und Semir gingen von Raum zu Raum. Wie schon vermutet, war keiner zuhause. Dann machten sie sich im Wohnzimmer auf die Suche nach Hinweisen und wurden fündig. In einer Schublade lagen zwei Reisepässe, der eine abgelaufen und entwertet, der andere aktuell gültig. Sie bewiesen, dass Andreas Utzdorf einen regen Pendelverkehr nach Bolivien unternommen hatte, La Paz und Sucre lauteten seine Hauptziele. Daneben fanden sie einen intensiven Schriftverkehr mit Mario Torres. Der Bolivianer stand mit seinem Vater in engem Kontakt. Und im Schlafzimmer stockte Alex und Semir der Atem, an der Wand hing ein großes Porträt des Drogenbosses und Massenmörders. Aber waren die gefundenen Hinweise ausreichend, um davon auszugehen, dass Andreas Utzdorf den Rachefeldzug seines Vaters fortführte? Sie müssten ihn unbedingt erwischen und befragen. Die Kommissare entschieden, ihm eine Zivilstreife vor die Tür zu stellen, die den Mann festnehmen sollte, sobald er seine Wohnung betreten wollte.

    Sie fuhren zu Ben. Semir erledigte noch einige Telefonate, zunächst mit Dieter Bonrath, der ihm versicherte, für die Großkontrolle am nächsten Tag stünde alles bereit, er hätte schon mit dem Zoll gesprochen, der sich an der Kontrolle beteiligen würde und er selbst wäre mit Jenny ab 6:30 Uhr vor Ort. Es würde die letzte Kontrolle seiner Amtszeit werden und aus diesem Grund würde er für die Verpflegung der ganzen Mannschaft sorgen. Semir bedankte sich bei seinem langjährigen Kollegen.

    Sein nächster Anruf galt Andrea, mit der er ausmachte, dass sie Dana am Nachmittag in der PAST abholen sollte, damit Semir die Kontrolle nur etwa zwei bis drei Stunden verlassen müsste, um seine Tochter aus Aachen abzuholen.

    Dann machten sich die drei Freunde noch einen netten Abend bei Ben und tranken das eine oder andere Bierchen. Insgeheim hoffte jeder von ihnen auf den Anruf der Kollegen mit der Mitteilung, Andreas Utzdorf wäre bei der Rückkehr in seine Wohnung festgenommen worden und wartete in der PAST auf seine Vernehmung.

    Durchbruch?

    Am Donnerstag fiel einer Polizeistreife in Langenfeld der dort in einer Nebenstraße abgestellte Jaguar mit dem Nummernschild K AK 381 auf. Sie hatten zu Beginn ihrer Frühschicht, der noch keine Stunde her war, von der Fahndung nach dem Leihwagen erfahren und so das Kennzeichen noch im Gedächtnis. Nach Rücksprache mit der Autobahnpolizei veranlassten sie sogleich das Verbringen des Wagens in die KTU.

    Semir, der zusammen mit Alex die Nacht bei Ben verbracht hatte und nun mit diesen beiden gemeinsam die PAST betrat, wurde sofort von Susanne über den Fund des Leihwagens in Kenntnis gesetzt. Er rief Hartmut an und bat den Kriminaltechniker, den Wagen vorrangig zu bearbeiten. Immerhin lag der Verdacht nahe, dass ein Doppelmörder in ihm gesessen hatte. Doch Hartmut musste den Hauptkommissar ausbremsen: „Semir, versprich dir davon nicht zu viel. Das ist ein Leihwagen! Hier sind zig Fingerabdrücke, die meisten davon verwischt und nicht wirklich brauchbar, aber ich tu, was ich kann. Bis heute Mittag brauche ich aber bestimmt, ich rufe dich dann an!“

    Der Vormittag zog sich in die Länge wie Gummi. Dann stieß Alex beim Studium der Unterlagen zum Mario-Torres-Fall auf ein bisher nicht bemerktes Detail: Mario Torres war in den 80ern schon längere Zeit in Deutschland gewesen, um hier eine Firma für den Import bolivianischer Produkte aufzubauen. Er hatte damals bei einer Sandra Utzdorf gewohnt und war auch mit ihr des Öfteren in seine Heimat gereist. Was wäre, wenn …?

    „Susanne!“, rief er durch die offene Bürotür. Die Sekretärin hob ihren Kopf und stand schließlich auf, als Alex keine Anstalten machte, zu ihr zu kommen. „Was denn, Alex?“ – „Kannst du diese Sandra Utzdorf mal überprüfen? Mir scheint, sie hatte mal ein Verhältnis mit Mario Torres, in den 80er Jahren.“ – „Okay, ich werde sehen, was ich herausfinden kann.“ Erst dann erzählte er Ben und Semir, der seinen Sitzplatz auf dem niedrigen Bücherschrank eingenommen hatte, von seinem Verdacht.

    „Mario Torres war vor etwa 30 Jahren für längere Zeit in Deutschland und auch eine Zeit lang bei einer Sandra Utzdorf gemeldet. Keine Ahnung, warum wir diese Frau noch nicht überprüft haben.“ – „Vielleicht hatten wir Torres vorher aufgespürt? Da brauchten wir sie nicht mehr“, vermutete Semir. „Auf jeden Fall ist es eine Spur zu unserem Bolivianer, der wir nachgehen müssen.“ Die Zustimmung seiner Kollegen war ihm sicher.

    „Semir! Frau Krüger ist am Telefon!“, rief Susanne und hielt dabei kurz das Mikro des Telefonhörers mit einer Hand zu, „er kommt gleich, Frau Krüger. Geht es Ihnen sonst gut, haben Sie den Einbruch in Ihre Wohnung schon halbwegs verdaut? … Das kann ich verstehen. Da bleiben Sie man auch noch, bis die Sache ausgestanden ist … Semir ist jetzt hier, ich übergebe mal. Auf Wiederhören!“ Sie reichte den Hörer an Semir weiter, der nun neben ihr stand. „Frau Krüger? … Ob wir was vorbereitet haben? … Ach, die Großkontrolle am Freitag“, er sah Susanne fragend an, die eifrig nickte und einen Daumen nach oben reckte, „Natürlich, das läuft. Wir haben alles im Griff und werden in Mannschaftsstärke vor Ort sein. … Nein, zu dem Attentäter gibt es noch nichts Neues, aber wir haben vielleicht eine Spur. Und der Wagen wurde gefunden und wird gerade von Hartmut untersucht … Ja, natürlich melde ich mich, sobald es Neuigkeiten gibt. Ciao, Frau Krüger, Ciao, Ciao.“ Er gab Susanne den Telefonhörer zurück. “Die Großkontrolle!“, Semir schlug sich mit der Hand vor die Stirn, „ist wirklich alles vorbereitet?“ – „Ja, Semir. Jenny und Dieter haben alles geplant und den Transporter schon bestückt. Das läuft.“ – „Danke, Susanne.“

    Hartmut bestätigte kurze Zeit später seine bereits geäußerte Vermutung, der Jaguar würde nicht viel hergeben. Er konnte zwar ein paar brauchbare Fingerabdrücke sichern, aber keiner von ihnen war im Polizeicomputer gespeichert. Die gesicherten Faserspuren würden erst im Vergleich mit einer Gegenprobe ihren Nutzen unter Beweis stellen können. Die Polizisten müssten ihm eine Textilprobe geben und Hartmut könnte sagen, ob derjenige im Auto gesessen hat.

    Susanne trug den ganzen restlichen Nachmittag alle Daten zu Sandra Utzdorf zusammen, die sie finden konnte. Am frühen Abend präsentierte sie dem Ermittlerteam ihre Ergebnisse. Sandra Utzdorf war damals mit Mario Torres in einer gemeinsamen Wohnung gemeldet. Und sie war schwanger, als Mario Torres seinen Wohnsitz wieder nach Bolivien verlegte. Einige Wochen später kam in Düsseldorf ihr gemeinsamer Sohn auf die Welt: Andreas Utzdorf.

    Und Susanne präsentierte dem Team auch die aktuelle Meldeadresse des heute 33-jährigen.

    Habe ich etwas überlesen? Ein Cadillac kommt doch gar nicht in der Story vor, oder, Melli? Aber ein Pontiac ist auch um einiges größer als mein japanischer Kleinwagen.

    Mit Hilfe des Bauerns steigen die "Helden" um in ein anderes Gefährt, das sie erst zum laufen bringen müssen. Und Nicoles Mann kommt ihnen auf dem Weg entgegen, dann könnten sie es in 1-2 Tagen geschafft haben, ihn zu erreichen.

    Und hier ist der Trailer:

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    Bestätigung

    Semir blieb fast den ganzen Mittwoch über im Büro und schrieb den Bericht zum Tod von Sophie Ziegler und der Vernehmung von Fabian Hartmann. Der Anruf der Gerichtsmedizin füllte letzte Lücken in der Darstellung. Der Teenager war tatsächlich an einer Überdosis Scopolamin gestorben, das Gift führte zu einer Atemlähmung. Ob sie es wirklich aus freien Stücken nahm oder doch zu der Einnahme gezwungen wurde, war nicht eindeutig festzustellen. Blieb Hartmann bei seiner Aussage, die Semir durchaus glaubwürdig erschien, war es ein bedauernswerter Unfall gewesen.

    Hätte Hartmann das Leben des Mädchens retten können, wenn er gleich einen Notarzt gerufen hätte? Aber er hatte es nicht getan, stattdessen überlegt, wie er sich der Leiche am besten entledigen konnte, lieh sich dafür ein Auto und fuhr damit auf die Autobahn. Weil er unkonzentriert war, verursachte er einen an sich leichten Verkehrsunfall und entschied sich zur Flucht. Wann wäre Sophie wohl gefunden worden, wenn dieser Unfall nicht passiert wäre? Wären die Umstände ihres Todes dann überhaupt noch aufzuklären gewesen? Semir tippte den letzten Satz in seinen Computer. Er würde am Nachmittag den Eltern von Sophie das Ergebnis der Ermittlung mitteilen. Der Richter hatte noch am Dienstagabend Fabian Hartmann bis zur Verhandlung auf freien Fuß gesetzt. Er wird sich in einigen Monaten wegen seiner Taten vor Gericht verantworten müssen. Drogenabgabe an Minderjährige, vielleicht sogar fahrlässige Tötung, schwere Verkehrsgefährdung mit Unfall, Fahrerflucht, die Liste war lang. Aber damit werden sich andere auseinandersetzen dürfen.

    Alex und Ben verbrachten den Vormittag mit der Suche nach dem gestohlenen Leihwagen, in dem der Attentäter auf Kim Krüger ihnen entkommen war. Der Diebstahl war bei der Mietwagenfirma noch gar nicht aufgefallen, als die Polizei sie telefonisch mit dem Vorfall konfrontierte, aber irgendwie muss der Täter in den Besitz der Schlüssel gekommen sein. Wie sich den Ermittlern vor Ort zeigte, hatte er leichtes Spiel, die Schlüssel der Wagen, die zurückgebracht wurden, lagen zunächst in einem offenen Korb auf dem Tresen, da brauchte er sich nur zu bedienen. Von dem Wagen allerdings fehlte bis zum Abend jede Spur. Jeder Streifenwagen hielt Ausschau nach dem Kennzeichen, aber er blieb verschwunden.

    Auch zum Tod von Thorsten Ramm erhielt Semir an diesem Tag wertvolle Informationen von der Spurensicherung und der Gerichtsmedizin. Der Körper des ehemaligen Ermittlers war so verrußt, dass keine Fremd-DNA sichergestellt werden konnte, aber ein Fremdverschulden kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, da eine hintere Eingangstür Aufbruchspuren aufwies und der Stuhl, der neben dem Erhängten aufgefunden wurde, im Grunde zu weit weg von diesem lag, als dass er Ramm als Hilfsmittel gedient haben könnte. Allerdings war nicht mehr zu klären, ob der Stuhl nicht erst von den Einsatzkräften der Feuerwehr verschoben wurde. Als Brandherd ausgemacht werden konnten mehrere mit Benzin getränkte Heuhaufen im Erd- und Dachgeschoss des Hauses.

    Was für Semir auch gegen einen Suizid sprach, war neben der Tatsache, dass Thorsten Ramm auf der Liste eines Attentäters stand und bereits das zweite Opfer dieser Liste war, die Aussage seiner Kollegen, Ramm verfügte über eine ausgeprägt gute Gesundheit, zeigte keinerlei Anzeichen für Ermüdung, Depressionen oder anderer Krankheiten, die auf eine latente Suizidgefahr hinweisen könnten. Außerdem: warum sollte jemand, der über eine Dienstwaffe verfügt, sich aufhängen, warum sein Haus, für das er Erben hat, anzünden? Nein, für Semir stand fest: Thorsten Ramm war ein Opfer von Mario Torres bzw. dessen Rächer geworden.

    Sophies Eltern nahmen die Informationen über die näheren Umstände, die zum Tod ihrer Tochter geführt hatten, ausdruckslos entgegen. Semir betrat dazu lediglich den Flur des Hauses und fasste sich kurz. „Die Gerichtsmedizin hat den Leichnam Ihrer Tochter zur Bestattung freigegeben, sie können sie noch einmal sehen, wenn Sie möchten und die Beerdigung organisieren.“ Isolde Ziegler nickte stumm. „Ich hätte es Ihnen gerne erspart, Frau Ziegler, und Ihnen Ihre Tochter lebend wieder gebracht.“ – „Sie haben getan, was Sie konnten, Herr Gerkan. Sophie war schon tot, als Sie mit der Suche begannen, Sie hätten sie nicht mehr retten können.“ Nun war es an Semir, zu nicken. Aber ein dumpfes Gefühl blieb. Er erkannte, dass Eltern zu einem großen Teil machtlos sind, wenn ihre Kinder begannen, eigene Wege zu gehen. Hoffentlich blieben ihm und Andrea ähnlich schmerzhafte Erfahrungen erspart. Dana, durch den Schicksalsschlag vor einem knappen Jahr frühzeitig der Kindheit entrissen, hatte bereits den ersten Schritt in die Welt außerhalb des Elternhauses unternommen, Semir hoffte, sie würde ihre eigene Neugier im Zaum halten können. Er schüttelte diese Gedanken von sich und gab Frau und Herrn Ziegler die Hand zu einem stummen Abschied.

    Erst bestimmt Semir, dass sie am nächsten Tag nach einem Schweißgerät suchen sollen, und dann macht er sich doch gleich daran, die Scheune zu durchsuchen. Da war wohl die Neugier größer als die Müdigkeit. Aber ob sie den entdeckten Pontiac noch brauchen, nachdem jetzt anscheinend der Besitzer der Scheune oder sein Sohn aufgetaucht sind? Ich hoffe, er ist seinen Gästen wohlgesonnen.

    Eigene Schutzwohnung

    Semir wand sich und zögerte. „Andrea, ich muss dir da etwas erzählen.“ Andrea zog ihre Stirn in Falten und wartete. „Ja?“ – „Du erinnerst dich doch an Mario Torres?“ – „Den Ben im Frühjahr erschossen hat, ja, an den erinnere ich mich mit Grauen zurück. Aber der kann ja schlecht in Krügers Wohnung gewesen sein, denn er ist tot.“ – „Ja, das ist er. Und das ist auch das, was wir noch nicht verstehen. Torres hatte eine Liste mit Namen bei sich in der Wohnung und war dabei, einen nach dem anderen zu liquidieren, bis es uns gelang. ihn zu stoppen. Paulsen und Heinrich waren es im Frühjahr, am Freitag hat man Neugebauer tot aus dem Rhein gefischt und Ramm starb gestern bei einem Brand in seinem Haus.“ – „Das heißt, jemand führt die Liste fort? Und war heute bei der Krüger?“

    Andrea hielt nichts mehr auf dem Sofa. Sie sprang auf und ging schnellen Schrittes zum Fenster. „Heißt das, es könnte jeden Moment eine Granate in unsere Wohnung fliegen? Oder eine Bombe unter deinem Auto explodieren? Müssen wir wieder auf diesen Petershof, in diesen Bunker?“ Sie unterstrich ihr letztes Wort mit in der Luft ausgeführten Gänsefüßchen. „Nein Andrea, wir bleiben hier“, Semir erhob sich und schritt zu Andrea, „Ben und Alex werden gleich kommen und zu dritt werden wir die Wohnung und Umgebung sichern. Wir gehen davon aus, es mit einem Einzeltäter zu tun zu haben. Das sollte reichen.“ Andrea schüttelte ihren Kopf und ließ sich in Semirs Arm fallen. „Nicht schon wieder“, flüsterte sie. „Es wird euch nichts passieren“, versuchte Semir seine Frau zu beruhigen, „wir werden hier auf euch aufpassen.“ – „Ich würde dir gerne glauben, aber ich weiß nicht-“ Die Türklingel unterbrach sie. „Ich gehe nachsehen, das werden Ben und Alex sein.“ Semir löste sich von Andrea und ging zur Wohnungstür.

    Nur Minuten später standen Ben und Alex im Flur, und der Duft frischer Pizza schwebte durch die Räume. „Ihr habt was zu essen mitgebracht?“ – „Ben hat was zu essen mitgebracht“, stellte Alex klar. „Ja, ich dachte nach dem Tag können wir alle etwas Herzhaftes gebrauchen.“ – „Geht rein, ich hole Teller und Besteck aus der Küche.“

    Trotz der späten Stunde war die Pizza eine willkommene Mahlzeit. „Was wollen wir machen, abwechselnd Wache schieben?“, fragte Semir. „Nicht nur das. Ben und ich waren ja in den letzten Stunden nicht untätig und haben uns mit Hartmut beraten. Er hat uns diese kleinen Kameras und Mikrofone mitgegeben“, er zog mehrere schwarze Kästchen aus einer mitgebrachten Tasche, „und diesen Laptop zur Steuerung. Das läuft alles über Funk, wir werden uns gleich an die Verteilung machen“, erklärte Alex. „Zugang zu dieser Wohnung ist im Grunde nur durch die Wohnungstür möglich“, ergänzte Ben, „es sei denn unser Mann ist Fassadenkletterer. Wir werden die erste Kamera im Treppenhaus anbringen, und eine im Fahrstuhl.“ – „Vergiss das Dach nicht, Ben“, gab Semir zu bedenken, „unser Dach liegt mit dem der Nachbarhäuser auf einer Ebene, von dort auf unsere Dachterrasse zu kommen, ist nicht schwer, auch für Nicht-Kletterer.“ – „Gut, eine Kamera auf das Dach und eine auf eure Terrasse.“ – „Dann los, Klebeband habe ich in der Küche, fahr den Laptop hoch. Andrea, du“ er sah, dass Andrea vollkommen teilnahmslos auf ihre Hände starrte und nur mit ihrem Kopf schüttelte, „Andrea? Was hast du?“ Semir ging vor seiner Frau in die Hocke und nahm ihre Hände in seine. „Andrea, hey, es wird alles gut.“ – „Nein, Semir, das wird es nicht. Kameras, Mikros? Wie soll ihn das davon abhalten, vom Haus gegenüber mit einem Gewehr hierüber zu zielen? Was nützt es, wenn ihr ihn dabei filmt, wie der eine Granate in unsere Wohnung wirft, die uns womöglich alle zerreißt? Was…“ Sie ließ sich in seinen Arm nehmen. Über ihre Schulter hinweg gab Semir Ben zu verstehen, mit Alex gemeinsam mit der Installation zu beginnen. „Andrea, du hast recht. Ich sollte euch nicht in Gefahr bringen. Er will Alex und mich, Ben eventuell auch. Ich werde morgen die Wohnung verlassen, bis wir ihn haben. Dann solltet ihr hier sicher sein. Aber heute Nacht lass uns das System testen.“ Andrea nickte an seiner Schulter. Dann löste sie sich und erhob sich langsam. „Ich gehe zu Bett. Ben, danke für die Pizza.“

    Die Nacht verlief ohne besondere Ereignisse. Semir, Ben und Alex wechselten sich mit dem Betrachten des Laptops ab, aber außer einigen Tauben auf dem Dach, dem zur Frühschicht das Haus verlassenen Nachbarn und dem Zeitungsboten, erfassten die Kameras kein Lebewesen. Nach einem gemeinsamen Frühstück packte Semir eine kleine Tasche für die nächsten paar Tage. Er würde in der Zeit bei Ben wohnen. Alex und Ben bauten die Kameras wieder ab und verabschiedeten sich von Semir und seiner Familie. „Wie sehen uns gleich in der PAST, Partner?“, fragte Ben, „Kopf hoch Andrea, wir schaffen das!“

    „Andrea, ihr müsst in den nächsten Tagen besonders wachsam sein. Wenn dir auch nur eine winzige Kleinigkeit auffällt, die anders ist, als sonst, ein Vorhang, der anders hängt, ein Blumentopf, der etwas anders steht, was auch immer, dann rufst du mich an, hast du verstanden? Lieber einmal zu oft als einmal zu wenig, hörst du? Die Alternative lautet Petershof.“ – „Warum, Mama?“, wollte Ayda wissen, die das Gespräch am Tisch mitbekommen hat, „und warum zieht Papa aus?“

    Abschied

    „Papa zieht doch nicht aus, Schatz“, begann Andrea, „er muss nur in den nächsten Tagen bei Ben wohnen, weil sie viel arbeiten müssen. Und das geht hier nicht.“ – „Stimmt das, Papa?“ – „Ja, Ayda, Mama hat recht, und ich komme zwischendurch mal vorbei und besuche euch.“ – „Und wie lange musst du bei Ben bleiben?“ – „Bestimmt nicht lange, ein paar Tage, Schatz.“ - „Machst du dich jetzt fertig für die Schule, Ayda? Und schaust du bitte mal nach Lilly, nicht dass sie sich wieder hingelegt hat.“ – „Ja, Mama.“

    Als Ayda den Raum verlassen hatte, kamen Andrea und Semir wieder auf das eigentliche Thema zurück. „Wie wollt ihr jetzt vorgehen, Semir? Habt ihr schon eine Spur, einen Hinweis?“ – „Nein, noch nicht. Wir werden das gesamte Umfeld von Mario Torres erneut überprüfen, irgendjemand muss Wert auf diesen Rachefeldzug legen, den wir bislang noch nicht auf dem Schirm hatten. Nur wem könnte etwas daran gelegen sein, uns alle auszuschalten? Was hat der Typ davon? Ich hoffe nicht, dass wir warten müssen, bis wir ihn auf frischer Tat ertappen, sondern dass wir ihm zuvorkommen werden.“ – „Aber ihr müsst erst wissen, um wen es geht.“ – „So sieht es aus, Andrea“, Semir blickte auf seine Uhr, „Ich muss los.“

    Semir stand vom Tisch auf, den Andrea nun begann abzuräumen. Er machte sich auf den Weg ins Badezimmer, um dort noch einige Dinge einzupacken und sich anschließend von den Kindern zu verabschieden. Andrea wartete an der Wohnungstür. „Meldest du dich ab und zu?“ – „Na klar, und vielleicht können wir ihn schon heute oder morgen schnappen, dann rufe ich dich sofort an.“ Semir blickte einen Moment lang auf seine Stiefel, hob dann seinen Kopf und schaute Andrea ins Gesicht. „Es tut mir leid, Andrea, aber ich-“ – „Ich weiß, du musst es tun, weil es dein Job ist. Wir hatten das Thema oft genug. Pass einfach auf dich auf.“ Semir wollte gerade noch etwas erwidern, entschied sich dann aber nur zum Nicken und küsste Andrea zum Abschied. „Wir telefonieren.“

    Ein schönes Kapitel mit leisen Tönen. Nicole hat wieder Vorahnungen, diesmal sieht sie sogar Menschen sterben, auch Semir und Alex und sie selbst waren in Gefahr. Aber wenn ihre Bilder in der Zukunft liegen, können die "Helden" vielleicht doch noch etwas ausrichten. Nur müsste zunächst ein neues Auto her, damit sie weiterkommen, nur wohin?

    Sammy ist gefunden. Gut, dass Hotte direkt bei Kevin angerufen hatte. Aber hier

    es war der Junge, der ihn recht eifersüchtig angeblickt hatte, als er bei Jenny war.

    hast du, glaube ich, Annie gemeint.

    Dass das ein Werk der Sturmfront war, wird schnell zu ermitteln sein. Und Semir wird dann auch bald vermisst werden.

    Zusammenfassung

    Auch der vierbeinige Ben rümpfte seine Nase, als Semir mit seinen immer noch klammen Klamotten seine Wohnung betrat, allerdings tat er es mehr aus Interesse an dem ländlichen Wohlgeruch denn aus Ekel vor dem stattgefundenen Bad in der Gülle. So herzte Semir den Hund ausführlich, bevor er sich seiner Jacke und seinen Stiefeln entledigte und auf Socken durch den Flur schlich. Ayda und Lilly waren schon in ihren Betten, aus dem Wohnzimmer drangen gedämpfte TV-Stimmen an sein Ohr. Im Fernsehen lief eine der unzähligen amerikanischen Krimiserien, die Nicht-Stammzuschauer nicht auseinander zu halten vermochten. Er beugte sich über die Lehne des in der Mitte des Raumes stehenden Sofas, auf dem Andrea lag, wie ihm schon die über die Seite ragenden Füße verraten hatten. Andreas Blick war zwar auf den Bildschirm gerichtet, ihre Augen allerdings geschlossen. Semir strich ihr sanft eine Haarsträhne aus dem Gesicht und gab ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Hi, ich bin wieder da“, begrüßte er sie leise. –„Hm“, Andrea kam langsam zu sich, dann fing auch sie an zu schnüffeln und schlug blitzschnell die Augen auf. Sie fuhr sich mit einer Hand zur Nase und drückte die Nasenflügel zusammen. „Hast du einen ganzen Kuhstall mitgebracht?“ Augenblicklich hatte sie sich aufgerichtet und drehte sich zu ihrem Mann um. „Wo kommst du her? Hast du gebadet?“, entrüstete sie sich, „und wenn ja, wo drin?“

    Semir hob abwehrend beide Hände und ging zwei Schritte zurück. „Ich bin schon wieder weg.“ Er beugte sich noch kurz zu Ben hinunter und kraulte dem Hund hinter den Ohren, der seine Nase gar nicht von der Jeans seines Herrchens lösen konnte. „Nicht wahr, Ben, du magst den Geruch, oder? Aber leider ist deine Meinung hier nicht mehrheitsfähig.“ – „Geh Duschen und pack die Sachen gleich in die Maschine!“, kam Andreas Aufforderung hinter der Couch hervor. „Ich glaube, hier ist keine Diskussion angebracht“, beendete Semir seinen Dialog mit Ben und ging ins Badezimmer.

    Nachdem er ausgiebig geduscht und die Waschmaschine angestellt hatte, setzte er sich mit einem kalten Bier zu Andrea. „Was für ein Tag!“ – „Ja? Was habt ihr gemacht, außer das Landleben genossen?“ – „Wir konnten Sophies Tod klären“, begann Semir. „Und die Lösung lag in der Gülle?“, stichelte Andrea noch einmal. „Nein, in der Gülle lag nur der Golf, der von der Autobahn abgekommen war.“ – „Abgekommen?“ – „Na ja, er wurde von der Fahrbahn geschoben“, druckste Semir herum. „Von euch?“ – „Nein, Andrea, von dem Mann, den wir verfolgten, er hatte in Krügers Wohnung auf sie gewartet, und wir haben ihn dort überrascht.“ Andrea drehte sich mit einem entsetzten Gesichtsausdruck zu Semir um. „Moment! Ein Gangster bei der Krüger? Aber was hat das mit Sophie zu tun?“

    „Nichts. Wir warten noch auf die Bestätigung aus der Gerichtsmedizin, gehen aber davon aus, dass Sophie aus reiner Neugier heraus Drogen genommen hat und die Wirkung unterschätzte, die Dosis war tödlich. Ein Kollege von ihr aus der Apotheke, in der sie ihr Praktikum absolvierte, hat ihr den Zugang dazu verschafft. In seiner Wohnung ist sie wohl auch gestorben.“ – „Ist ja schrecklich“, stieß Andrea aus. „Und er hat sie in den Kofferraum gelegt, um sie an einem anderen Ort abzulegen.“ – „Puh, das hat er gestanden?“ – „Ja, er hat gestanden, und dafür wird er hoffentlich eine Zeitlang sitzen.“ - „Und was war das jetzt mit Frau Krüger?“

    Die Polizei wäre damit zunächst einmal abgehängt. Alex hat aus der kleinen Stichverletzung vorher aber ein mächtiges Drama gemacht. Männer!
    Jetzt müssen sie sich als nächstes ein neues Auto besorgen, damit die Flucht weitergehen kann. Dabei wollten sie doch nicht nur fliehen, sondern etwas gegen den Doktor unternehmen. Wenden sie sich nun wieder an Nicoles Mann?

    Da war ich im ertsen Moment froh, dass es mit einem Semir-Kapitel weitergeht und du uns nicht - wie befürchtet - länger warten lässt, und jetzt weiß ich nicht, ob ich tatsächlich froh sein soll. Sammy wurde brutal von der rechten Bande hingerichtet. Die Sprüche der Rechten sind wirklich hirnlos und ekelhaft. Und jetzt ist Semir ihr einziger Gefangener. Mir schwant Böses. Was haben sie jetzt mit ihm vor? Kommt doch noch rechtzeitig Hilfe? Gegen die Überzahl an Gegners wird er sich kaum alleine wehren können.

    Bad

    Sie sahen den Jaguar etwa 100m vor ihnen nach links auf die Bundesstraße abbiegen. Die Ampel schaltete in dem Moment auf Rot, als er in die Kreuzung einfuhr. Alex hatte Probleme, ihm zu folgen, weil der Querverkehr einsetzte und er einigen PKW ausweichen musste, quietschende Reifen vereinigten sich mit mehrstimmigem Hupen zu einem Klangkonzert, das Semir jedoch nicht davon abbrachte, sich weiter auf den Flüchtigen zu konzentrieren. „Lass ihn nicht entkommen, Alex! Das könnte auch unser Mörder sein, ich wäre dir sehr dankbar, wenn wir ihn vor Umsetzung seiner Pläne erwischen könnten.“

    Kurz danach bog der Jaguar auf die A1 in Richtung Süden und wurde von seinem Fahrer auf der mäßig befahrenen Autobahn beschleunigt. Aber Alex gelang es durch einige geschickte Fahrmanöver den Abstand zu reduzieren. Einige Minuten später hatten sie ihn eingeholt. Der Verfolgte wurde langsam nervös, er trat das Gaspedal noch stärker durch. Er wechselte in hohem Tempo auf die rechte Spur und schnitt dabei die Fahrerin eines roten Golfs.

    Diese war gerade vom Verkehr um sie herum leicht abgelenkt, weil ihre kleine Tochter in ihrer Sitzschale begonnen hatte zu schreien und jetzt auch noch anfing zu spucken. Sie hatte sich nur kurz umgedreht, um beruhigend auf das 6-monatige Mädchen einzureden. „Mäuschen, wir halten gleich an und dann mache ich dich wieder sauber und frisch, ein paar Minuten nur noch.“ Sie bereute es, heute den Kindersitz nicht auf den Beifahrersitz geschnallt zu haben, da hätte sie leicht mal eine Hand für die Kleine frei gehabt, um sie zu beruhigen. Aber sie hatte vorher den Sohn des Nachbarn noch beim Fußballtraining abgesetzt und dem wird auf der Rücksitzbank immer übel. Und so weit war der Weg nach Bad Münstereifel ja auch nicht.

    Als sie nun ihren Blick wieder nach vorne richtete, erschrak sie vor dem schwarzen Auto, welches nur Zentimeter an ihrem Golf vorbeischrammte und verriss das Lenkrad, ihr Auto kam ins Schleudern und drehte sich mehrmals um sich selbst. Alex konnte dem roten Golf gerade noch ausweichen, die Blicke von Semir und der völlig panischen Mutter trafen sich für einen Bruchteil einer Sekunde. Er sah auch den Kindersitz auf der Rücksitzbank, dann schoss der Wagen schon unkontrollierbar über die Böschung hinaus, und rollte unausweichlich auf den dort befindlichen Teich zu.

    Semir reagierte sofort. „Alex! Lass mich aussteigen. Ihr schnappt sie euch! Und ruf RTW und Sascha!“ Alex bremste scharf und kam rutschend auf der Standspur zum Stehen. Semir hatte den Wagen kaum verlassen, die Tür noch nicht zugeschlagen, da gab Alex bereits wieder Gas und versuchte, den sich rasch entfernenden Jaguar einzuholen.

    Auch ein LKW-Fahrer hatte den Unfall beobachtet und sich sofort entschlossen zu helfen. Da sein Gefährt einen langen Bremsweg hatte, hatte Semir vor ihm den Golf erreicht, von dem noch die Fahrerkabine aus dem Wasser schaute, der aber auf dem schlammigen Untergrund ständig weiter nach hinten ins Wasser rutschte. Noch im Laufen hatte Semir seine Jacke ausgezogen und die Waffe gezogen und ließ beides auf dem Rasen fallen. Er stand schon bis zur Brust im Wasser und riss die Fahrertür auf, als der stämmige LKW-Fahrer die Böschung hinuntereilte.

    „Was ist? Kommen Sie raus!“, forderte Semir die Fahrerin auf, die sich am Lenkrad nach vorne zog, als könnte sie so den Rückwärts-Abwärtstrend des Fahrzeugs aufhalten. Die Rücksitzbank war schon fast im Wasser verschwunden. Semir blickte auf das Kleinkind, welches starr vor Schreck in seinem Sitz saß, und dessen Kopf gerade noch aus dem Wasser ragte. Wieder ging ein Ruck durch den Wagen. „Retten Sie mein Kind!“ Blanke Panik sprach aus den Worten der Fahrerin. „Steigen Sie aus, ich hole ihr Kind!“ – „Ich kann nicht, ich bin gelähmt.“ Semir öffnete die hintere Tür und bemerkte den Rollstuhl, der hinter dem Fahrersitz untergebracht war. Der Wagen rutschte erneut ein Stück tiefer ins Wasser, welches nun plötzlich das Kind vollständig bedeckte. Die Fahrerin geriet noch mehr in Panik, da griffen aber schon kräftigen Hände zu und zogen die Frau von ihrem Sitz. „Nein!“, wehrte diese sich und schlug mit ihren Armen um sich, „Mein Kind!“ – „wird gerade gerettet, bleiben Sie ruhig“, vervollständigte der stämmige LKW-Fahrer den Ruf der Frau. Semir musste schnell handeln, und in das Fond des Golfs tauchen. Zum Glück kannte er sich mir diesen Kindersitzen aus und fand auch blind das Gurtschloss. So erreichte er mit dem Baby bereits nach weniger als einer viertel Minute wieder die Wasseroberfläche. Es schrie augenblicklich wie am Spieß.

    Während Semir das kleine Mädchen aus dem Auto rettete und nun aus dem Teich ans Ufer trug, kümmerte sich der LKW-Fahrer um dessen Mutter, die er behutsam auf den Rasen am Ufer absetzte, wo sie jetzt überglücklich ihr weinendes Baby in ihre Arme schließen konnte.

    „Ist sie in Ordnung?“ Angesicht ihrer Situation sicher eine berechtigte Frage, die sich allerdings durch das Schreien ihrer Tochter selbst beantworten sollte. Der LKW-Fahrer und Semir schauten sich leicht amüsiert an und hatten denselben Gedanken, den Semir in die passenden Worte fasste: „Wer genug Luft hat, so zu schreien, dem kann es so schlecht nicht gehen.“ Und tatsächlich ließ sich die Kleine in den Armen ihrer Mutter zusehends beruhigen.

    Der rote Golf war mittlerweile bis über das Dach in dem Teich verschwunden. "Vielen Dank für Ihre Hilfe! Das ist heutzutage nicht selbstverständlich“, Semir reichte dem LKW-Fahrer seine Hand, „ich heiße übrigens Semir.“ Der stämmige Fahrer schlug ein. „Für mich schon. Rainer!“

    Semir zog sich seine vor der Rettungsaktion abgelegte Jacke wieder an, befestigte seine Waffe in seinem Holster. „Wir sollten sehen, dass wir hoch zur Straße kommen. Meine Kollegen haben schon einen Abschleppwagen und einen Rettungswagen gerufen, die müssten jeden Moment eintreffen.“ – „Rettungswagen? Aber wir sind doch gar nicht verletzt.“ – „Aber das wussten wir vor 5 Minuten noch nicht, und bei diesem Wasser sollten Sie sich und insbesondere ihre Tochter einmal untersuchen lassen. Wollen Sie noch jemanden anrufen? Ihren Ehemann vielleicht?“ – „Das mache ich nachher in Ruhe, er kann von München aus sowieso nichts machen.“ – „Ich trage Sie am besten nach oben zur Straße“, schlug Rainer vor und ging schon neben der Frau in die Knie. Diese blickte zwischen ihm und ihrem Kind hin und her. Die Kleine hatte sich wieder beruhigt. „Und meine Tochter?“ – „Geben Sie mir“, bot sich Semir an und nahm ihr vorsichtig das kleine Mädchen ab. „Na du?“, flüsterte er, „du kommst ja gleich wieder zu deiner Mama.“ Ihm fiel auf, wie nass und kalt das Kleinkind war, und er schloss seine Jacke um den kleinen Körper. Rainer nahm die Frau auf seine Arme und begann die Böschung zur Straße hinauf zu steigen, auf der in dem Moment ein Rettungswagen und eine Polizeistreife zum Stehen kamen.

    Semir und Rainer übergaben Mutter und Kind den Sanitätern, die sie sogleich zudeckten und untersuchten, während Semir Sascha entdeckte, der mit ausgebreiteten Armen auf ihn zukam. „Semir! Hätte ich mir ja denken können, dass du dahinter steckst. Wo ist der Wagen, den ich bergen soll? Und“, er rümpfte seine Nase, „was riecht denn hier so streng?“ – „Gülle, Sascha, in dem Teich laufen drei Gräben zusammen. Und genau in dem steckt das Objekt deiner Begierde.“ – „Das Auto ist …?“ – „Genau. Du hast doch eine Winde an deinem LKW, oder?“ Sascha nickte. „Ach ja, und der Rollstuhl ist besonders wichtig, den braucht die Frau in dem RTW, den holst du bitte zuerst raus.“ Sascha sah auf den Teich, der mit seiner unbewegten Wasseroberfläche keinen Hinweis auf das versunkene Auto gab, und lenkte seinen Blick zurück auf Semir. Doch dessen Blick veranlasste ihn nur zu der Äußerung: „Ich mach mich dann mal an die Arbeit.“ Er wandte sich zurück zu seinem LKW. „Ach, und Sascha?“ – Der stoppte, drehte seinen Kopf, und Semir meinte nur grinsend: „Lass dich nicht aufhalten!“ Er erntete als Antwort nur eine eindeutig Handbewegung von Sascha.

    Semir ging auf Rainers Angebot ein, ihn in seinem LKW zur PAST mitzunehmen. Alex Mercedes stand auf dem Parkplatz und auf dem Weg in die Dienststelle kamen ihm seine Kollegen entgegen. Semir winkte noch kurz Rainer zu, der in dem Moment den Hof verließ. „Hey Semir!“, begrüßte ihn Ben, „du siehst irgendwie“, er schaute dem LKW hinterher, „mitgenommen aus.“ – „Bin ich ja auch. Und ihr? Habt ihr ihn?“ Alex senkte leicht betreten den Kopf. „Nein, er ist uns entwischt. Wir haben Platz verloren, als wir dich rausgelassen haben, und der Jaguar hat auch einige Pferdchen unter der Haube. Und, das muss man ihm lassen, er wusste damit umzugehen.“ – „Was zum Kennzeichen?“ – „Es war ein gestohlener Leihwagen“ – „Mist!“, fluchte Semir. „Apropos Mist, wonach riecht es hier eigentlich?“ - „Jetzt fang du nicht auch noch an! Was ist mit der Krüger, zieht sie in eine Schutzwohnung?“ – „Nein, aber sie hat jetzt einem Personenschutz zugestimmt, Kollegen in der Wohnung und vor dem Haus“, erklärte Alex. „Hoffentlich reicht das, ich mach mich vom Acker, wir sehen uns morgen.“ - „Willst du nicht auch über Polizeischutz nachdenken, Semir?“

    „Und du? Alex, ich werde meine Familie schützen, aber wieder unterkriechen?“ – „Vielleicht sollten wir zusammen bleiben, bis wir ihn haben? Alex und ich könnten bei euch übernachten, dann kann immer einer von uns wach bleiben“, schlug Ben vor. Semir wollte schon dankend ablehnen, aber so dumm war der Gedanke gar nicht. So könnte aus seiner eigenen Wohnung eine Schutzwohnung werden. „Ben, das …wenn es euch nichts ausmacht, die Idee klingt nicht schlecht. Aber lasst mich erst mal Andrea alleine erklären, was geschehen ist. Gebt mir zwei Stunden, okay?“

    Alex und Ben nickten und schauten Semir hinterher, wir er in seinem BMW den Hof der PAST verließ.

    Während Ben und Kevin gerade einen schönen Musikerabend verbringen, macht Semir, der sich auf seinen Feierabend auf der Couch freut, schreckliche Bekanntschaft mit der Sturmfront. Der Steinwurf war an sich schon lebensgefährlich, aber seine jetzige Situation im Kreise seiner Entführung nicht minder. Hilfe ist weit, aber vielleicht gelingt die Entsorgung des BMW ja nicht so ganz wie geplant? Ansonsten wird es für Semir eine lange Nacht.